
Biennale von Venedig Wo "Francia" draufsteht, ist "Germania" drin
Streift man durch die idyllischen Gärten der Biennale von Venedig, dann hört man dort zwischen den Länderpavillons nicht nur Vogelgezwitscher, sondern stets auch die alte Leier, dass die Kunstpräsentation nach Nationen sich überlebt habe. Trotzdem wandelt man zwischen Zypressen und Oleander immer wieder mit kindlicher Wundertüten-Entdeckerfreude von Tür zu Tür.
Wenn am 1. Juni die 55. Biennale-Ausgabe für das Publikum öffnet, wird das Entdeckungsspiel ein wenig komplexer und die Idee nationaler Repräsentanz auf eine neue Art unterwandert sein: Frankreich und Deutschland tauschen ihre Pavillons. Wo "Francia" draufsteht, wird der deutsche Beitrag drin sein, und wo "Germania" über dem Portal prangt, die französische Schau.
Angeregt wurde der Tausch vor anderthalb Jahren von den Auswärtigen Ämtern Frankreichs und Deutschlands - gewissermaßen als Bonbon zum 50. Jahrestag des Elysée-Vertrags. Da sowohl die jeweiligen Kuratorinnen, Christine Macel vom Centre Pompidou und Susanne Gaensheimer vom Frankfurter Museum für Moderne Kunst, als auch die beteiligten Künstler zustimmten, kann die Kunstraum-Rochade nun beginnen.
Im deutschen Pavillon mit seiner 1938 von den Nationalsozialisten kantig, und monumental umgestalteten Fassade präsentiert der albanische Künstler Anri Sala den luftig-leichten französischen Beitrag. Seine Filminstallation "Ravel Ravel Unravel" spielt mit den Verben "to ravel" und "to unravel" (dt. "verwirren" bzw. "entwirren") und kreist mit Konzertaufzeichnungen und DJ-Remix-Variationen um das Klavierkonzert für die linke Hand von Maurice Ravel.
Standbein in Deutschland
In Sichtweite gegenüber liegt der französische Pavillon. Hinter seinem grazileren Säulenportal wird der deutsche Beitrag relativ schwere Kost anbieten. Kuratorin Gaensheimer versammelt in den vier Räumen vier Künstler, die auf den ersten Blick nur gemeinsam haben, dass sie keinen deutschen Pass besitzen.
Dayanita Singh reflektiert mit projizierten Fotos und Filmen autobiografisch ihr Leben als Frau in der indischen Gesellschaft und als nomadisch reisende Fotografin in der Welt. Und der südafrikanische Fotokünstler Santu Mofokeng erstellt eine Art Selbstporträt der schwarzen Bevölkerung, das erahnen lässt, wie sich die Schatten der Apartheid auf die kulturelle und spirituelle Identität der Menschen auswirken.
Von Romuald Karmakar, dessen Arbeiten häufig um deutsche Geschichte und deutsche Identität kreisen, werden Filme zu sehen sein. Ai Weiweis Beitrag besteht in einer neuen skulpturalen Arbeit. Gaensheimer kündigt sie als "abstrakte Metapher zum Verhältnis von Einzelnem und Gesellschaft" an.
Besonders für Ais Einladung hagelte es im Vorfeld Kritik: Unter der schönen Schlagzeile "Unser Ai in Venedig" kritisierte die "Frankfurter Allgemeine Zeitung", seine Arbeiten seien ohnehin "omnipräsent". Und Udo Kittelmann, Direktor der Berliner Nationalgalerie und in diesem Jahr Kurator des Russischen Pavillons, bemängelte, die mediale Aufmerksamkeit für den chinesischen Regimekritiker könne die anderen Teilnehmer in den Schatten stellen.
Ein wichtiges Argument für die Teilnahme Ais aber war für Gaensheimer, dass der Bürgerrechtler als Künstler im chinesischen Pavillon zurzeit nicht denkbar ist: "Damit wird eben auch deutlich, dass Deutschland unter dem Einfluss seiner spezifischen Geschichte ein Land geworden ist, in dem verfolgte Künstler Arbeits- und Entwicklungsmöglichkeiten finden."
Ohnehin war der "Aspekt, dass die Beteiligten ein Standbein in Deutschland haben", ein wesentliches Kriterium für Gaensheimers Künstlerauswahl: Karmakar arbeitet hier. Ai hatte im Münchner Haus der Kunst seine wichtigste Ausstellung. Mofokeng lässt seine Fotoarbeiten in Berlin drucken. Und Singh entwickelt ihre Buchprojekte beim Göttinger Steidl Verlag. Noch entscheidender für das Konzept des Pavillons aber ist: "Alle diese Künstler behandeln Fragen nationaler, politischer oder religiöser Identität und den Wandel von Identitätsvorstellungen in den Modernisierungsprozessen der letzten zehn Jahre."
So richtig euphorisch aber macht einen der deutsch-französische Pavillontausch samt der konkreten Gestaltung der beiden Präsentationen nicht. Es ergeben sich zwar amüsante transnationale Kollateraleffekte: Karmakar ist in Frankfurt geboren, hat aber einen französischen Pass. Und mit Anri Sala bestreitet ein Künstler den französischen Beitrag, der heute zumindest zeitweise in Berlin lebt.
Doch während der geistreich-elegante französische Beitrag inhaltlich die transnationale Raumvergabe ignoriert und auch an jedem anderen Ort gezeigt werden könnte, ist die deutsche Schau fast ein wenig fixiert auf ihre Rahmenbedingung. Vermutlich wird sie atmosphärisch an Okwui Enwezors documenta von 2002 erinnern, die ebenfalls stark von dokumentarisch-politischen Arbeiten geprägt war. 2013 in Venedig dürfte das wenig überraschend und eher angestrengt wirken - als würde die Identitätsfragen umkreisende Themenschau allzu musterschülerhaft auf den politisch motivierten Pavillontausch reagieren.