Björk im MoMA Wie man Musik an Museumswände hängt
Das New Yorker Museum of Modern Art hat in den vergangenen Jahren beharrlich an Begrifflichkeiten gekratzt: Was ist ein modernes Kunstmuseum? Und was soll es leisten? Man verwandelte die Lobby in eine Bühne für Kraftwerks retrospektiven Konzert-Zyklus, man setzte Marina Abramovic ins Foyer, wo sie Besuchern in die Augen starrte. Man ließ Martha Rosler einen Flohmarkt im Museum veranstalten - und man sammelt seit einiger Zeit fleißig Videospiele und Apps.
Und nun also Björk. Ab dem Wochenende zeigt das MoMA eine Werkschau der isländischen Pop-Ikone und Multimedia-Künstlerin. Es soll der Blockbuster des Frühjahrs sein, die Show, von der alle sprechen. Sie soll noch mehr Menschen in die ohnehin dauerverstopften Hallen an der 53. Straße Manhattans locken.
Die Ausstellung ist ein lange gehegter Traum des Kurators Klaus Biesenbach, der am MoMA-Ableger PS1 in Queens seit Langem die Performance-Kunst fördert und sich leidenschaftlich dafür einsetzt, die einst strengen Grenzen zwischen Museumshochkultur und Pop weiter einzureißen. Wer würde da besser passen als Björk, eine Künstlerin, die sich mit ihrem vielschichtigen audiovisuellen Schaffen noch über jede Kategoriegrenze hinweggesetzt hat.
Dennoch hat es lange gedauert, bis der einstige Gründer der Berliner "Kunst-Werke" Björk ins MoMA locken konnte. Seit dem Jahr 2000, berichtet der Deutsche bei der Eröffnung der Show, habe er versucht sie herumzukriegen, lange Zeit ohne Erfolg. Björk habe sich nicht reif für eine Werkschau gefühlt, sagte die Künstlerin aktuell in einem Interview, außerdem habe sie sich die Schau nicht vorstellen können: "Ich meine, man kann einen Song ja nicht an die Wand hängen."
Mit dem Björk-Avatar auf Erlebnisreise
Letztlich willigte sie aber doch ein, "für die Frauen. Und für den Sound", wie sie sagt. Und gemeinsam mit Biesenbach habe sie sich eingehend Gedanken gemacht, wie man es interessant gestalten kann, wenn man Musik im Museum ausstellt. Kernstück der Schau ist eine Retrospektive, auch wenn Björk und Biesenbach sich Mühe gegeben haben aus der Werkschau ein neues Werk zu machen, einen Erlebnis- und Erfahrungsraum.
Mittels einer interaktiven App auf einem iPhone-ähnlichen Handgerät wird der Besucher durch eine Traumlandschaft geführt, die sich an Björks ersten sieben Solo-Alben ("Debut" bis "Biophilia") entlanghangelt. Über den Kopfhörer des Audioguides, der auf die Position des Nutzers im Raum reagiert, spricht der isländische Schriftsteller Sjön die lyrische Geschichte einer imaginären Figur, einer Art Björk-Avatar.
Man wandelt durch verschiedene Sets: eine karge, isländische Landschaft, das berühmte Videoclip zu "Big Time Sensuality", in dem Björk auf einem Lastwagen durch New York fährt, oder das 3D-Video, in dem Björks eingescannter Kopf durch das Weltall schwebt. "Sie wurde eins mit der Materie und dem Augenblick", sagt die Stimme, "und kam dann zurück zur Erde, um all das nachzubilden, mithilfe von Technik und Dichtung und ihrem Notizblock."
Statt also anhand von Daten und Fakten, Kostümen und anderen Artefakten durch die Biografie der Künstlerin geführt zu werden, wird der Besucher durch diese literarisierte Nacherzählung emotionaler Teil ihrer intellektuellen, spirituellen und kreativen Entwicklung. Das ist interessant. Aber "verändert" es das Museum, wie Direktor Glen Lowry schwärmt? Das scheint ein wenig übertrieben. Es ist ja nicht das erste Mal, dass ein Museum einen multimedialen Erlebnisraum schafft, man denke nur an die Show für Alexander McQueen am Metropolitan Museum, dessen berühmtes Glockenkleid für Björk auch im MoMA zu sehen ist.
Zu viel Kontrolle an die Künstlerin abgegeben?
Biesenbachs Ansatz ist nicht bahnbrechend neu, aber er ist auch nicht "infantil", wie das Power-Pärchen der New Yorker Kunstkritik, Roberta Smith ("New York Times") und Jerry Saltz ("New York Magazine"), behaupten. Beide stört, dass der retrospektive Teil der Ausstellung zu wenig Kontext und Erklärung liefere und es dem Besucher zu leicht mache: Biesenbach habe "offensichtlich die Kontrolle an die Künstlerin abgegeben."
Smith und Saltz fordern mehr klassische Museumsedidaktik, weniger Experimente. Das passt zu Saltzs Dauerklage, das MoMA biedere sich hemmungslos den Massen an und verliere dabei seine Identität. Doch wenn man schon einer Pop-Ikone wie Björk die Pforte zur global wichtigsten Einrichtung für moderne Kunst in die Hand gibt, ist es auch folgerichtig, mit neuen Formen der Vermittlung zu spielen.
Treffend ist indes der Vorwurf, dass das MoMa mit der Björk-Show nicht mutig genug war. Man hätte ihr durchaus mehr Raum geben können, als der zweistöckige Pavillon bietet, der für die Ausstellung in das MoMA-Foyer gebaut wurde. Wie Smith schreibt, hat das MoMA zu anderer Gelegenheit, "für wesentlich weniger wesentlich mehr Platz aufgewendet."
Neben der Retrospektiv-Performance ist nur noch eine Präsentation von Björks bemerkenswertem Video-Œuvre zu sehen. In einem Extra-Raum kann sich der Besucher in große Polster sinken lassen und sich nach Herzenslust in die kunstvollen Clips vertiefen - darunter Kollaborationen mit Filmemachern wie Spike Jonze, Chris Cunningham, Paul White und Thomas Huang. Nebenan ist, als Höhe- und Endpunkt der Ausstellung, schließlich die eigens für das MoMA produzierte 3D-Video-Installation "Black Lake" zu sehen, eine sehr persönliche Trauerarbeit über die gescheiterte Ehe mit Matthew Barney, basierend auf dem gleichnamigen Song von Björks jüngstem Album "Vulnicura" (Lesen Sie hier unsere Rezension).
Schließlich werden im Foyer noch Björks hinlänglich bekannte Instrumente gezeigt, wie die "Gravity Harp", die sie mit einem Roboter-Experten vom MIT gebaut hat oder den "Sharpsicord" von Henry Dagg. Beide waren bereits im Museum of Science and Industry in Manchester zu sehen.
Am Ende wirkt alles durchaus angemessen. Es gibt keinen Zweifel daran, dass eine innovative Künstlerin wie Björk, die über Medien und Genres hinweg arbeitet, einen Platz im Museum verdient hat. Die Akzeptanz dessen, was in eine Einrichtung wie das MoMA gehört und was nicht, ist abseits reaktionärer Kritik vielleicht schon viel weiter, als Biesenbach und Lowry ahnen. So hätte es den Kuratoren auch sicher niemand übel genommen, wenn sie Björk ebenso viel Raum gegeben hätten, wie im vergangenen Jahr Sigmar Polke oder William Kentridge.