Bob Wilsons "Dreigroschenoper" Besenrein, aber nicht bieder

Design ist Programm: Robert Wilson inszenierte Brechts "Dreigroschenoper" am Berliner Ensemble als routiniertes Musical mit Micky-Maus-Effekten. So elegant hat man die Bettleroper schon lange nicht mehr gesehen.
Von Henrike Thomsen

Die Aufschrift auf der Brecht-Tafel vor der Bühne erinnert an den Schriftzug der Zigarettenmarke Dunhill: "die dreigroschenoper" steht da mit extrem lang gezogenen, extrem regelmäßigen Buchstaben geschrieben. Design also ist Programm, und wer es Sünde findet, den Inbegriff von Polit-Theater und schräger Gassenhauer-Ästhetik elegant aufgelöst zu sehen, sollte sofort seinen Sitz im Berliner Ensemble (BE) verlassen.

Denn Robert Wilsons Neuinszenierung lässt den Smash-Hit von Brecht und Kurt Weill endlich im Londoner Westend ankommen. Das BE, wo das Stück 1928 skandalös herauskam, wird wie in Wilsons "Leonce und Lena"-Produktion mit Musik von Herbert Grönemeyer zur Musical-Bühne. Wie am Schnürchen laufen die bis ins Detail choreographierten Szenen ab; die Licht-Stimmungen sind cinematografisch opulent; der raffinierte Sound scheint von einer externen Tonspur zu kommen und greift bis hin zum "Mickey-Mousing", also dem Aufsetzen akustischer Effekte auf die Bewegungen von Trickfilmfiguren, in die Animationskiste.

Dass diese Ästhetik bei Wilson als Teil der Hochkultur statt der Unterhaltungskultur anerkannt ist, hat mit seinen früheren Inszenierungen "Einstein on the Beach" oder "Hamletmaschine" zu tun, in denen die surreale Qualität der Bilder dichter und ihre sperrige Distanz zum Text noch reizvoller waren. Jetzt ist es milder, Dunhill light. Wilson ist ja auch schon über das Pensionsalter hinaus und vor allem routiniert. Wenn man dies alles aber akzeptiert und der politischen Dimension des Stücks nicht nachweint, kann man einen Unterhaltungs-Abend genießen, der es mit jedem Westend-Hit aufnehmen kann. Musikalisch und darstellerisch ist es die beste Inszenierung der "Dreigroschenoper" der letzten Zeit mit dem brillant kalten Stefan Kurt als Mackie Messer, der jugendlich zarten Christina Drechsler als Polly Peachum und der poetisch gewitzten Angela Winkler als Jenny.

Zu der Ouvertüre startete das Orchester vielleicht wegen Premierenfiebers schüchtern und wackelig, doch die Bilder sitzen auf Anhieb. Ein mit langem schwarzem Handschuh verhüllter Arm hält einen Stock so glatt und dünn wie Reitgerte auf die Bühne. Dann kommt Stefan Kurt mit blond gewellter Dandyfrisur, die Augen groß geschminkt und mit falschen Wimpern beklebt. Unter dem schwarz schillernden Anzug trägt er Fetisch-Wäsche, eine Art Korsett, das die fehlenden Brüste betont. Wenn er später kurz den Zylinder seines Freundes Tiger Brown aufsetzen wird (Axel Werner gibt diesen als hager schleichende Henkersfigur), sieht man Marlene Dietrich als Idealbesetzung des Parts aufschimmern.

Traumwelt aus Glas

Aber Stefan Kurt ist auch ein cooler Vamp, eine Domina, die mit kleinen Winken und Blicken ihre Umgebung beherrscht. Im Gegensatz zum braven Campino in Klaus Maria Brandauers "Dreigroschenoper"-Produktion vom vergangenen Sommer steht hier ein richtiger Anarchist, der Gentleman-Verbrecher als Produkt eines tiefen Weltekels. Fast ist es, als würde er um sein persönliches Happy End am Galgen betrogen, als der Straffreiheit stiftende Bote der Königin kommt. Als Bote und Stimme, die Brechts Kurz-Zusammenfassungen der Szenen vorliest, ist Walter Schmidinger nach dem Brandauer-Zwischenspiel auch hier mit von der Partie.

Man wünscht sich, dass Christina Drechslers Polly mehr von der jungen Louise Brooks als dämonische Kindfrau "Lulu" hätte, um jene Spur der sexuellen Obsession zu verdichten, die über Kurts Mackie Messer ausgelegt wird. Doch der Harem des Käptn wirkt im Gegensatz zu der matronenhaften Mutter Peachum (Traute Hoess) sehr rein. Dies liegt sicher vor allem an den glockenklaren Sopranen von Drechsler und Angela Winkler, die ihre Songs zu einem großen Genuss machen.

Winkler macht aus dem Solo, das Jenny nach ihrem zweiten Verrat des früheren Geliebten an die Polizei singt, eine eigene kleine Inszenierung. In ihrer schleifenden Aussprache versteht man die Worte kaum, sondern ihre im leichten Tremolo vibrierende Stimme scheint alles zu absorbieren und schafft für wenige Minuten eine Traumwelt wie aus zerspringenden Glas. In all seinem Manierismus ist es einer der schönsten Momente des Abends.

Brecht steckt in den Knochen

Ein Fall für sich ist Jürgen Holtz als Vater Peachum. Obwohl er mit der gleichen Clown-Weiß wie alle anderen geschminkt ist, obwohl er wie sie die von Wilson sorgfältig stilisierten Gesten und Posen wie auf Knopfdruck abliefert, fühlt man sich bei ihm in eine Inszenierung wie vor 30 Jahren zurück versetzt. Holtz hat als einer der führenden DDR-Schauspieler die Schule von Regisseuren und Brecht-Schülern wie Benno Besson, Adolf Dresen und Heiner Müller durchlaufen, der echte Brecht steckt ihm sozusagen in den Knochen. Bei ihm ahnt man daher noch den Ton von früher, der so schnodderig wie genau war und die Bedeutung der Worte regelrecht schmeckte.

Auf gewisse Weise unterläuft Holtz auf diese Weise das Regie-Konzept und erinnert an das was fehlt: das Schlampige, Schmutzige, das die Dreigroschenoper einst so inkomensurabel und damit politisch gemacht hat. Auch mahlen die Regiemühlen öfter zu langsam und gründlich, etwa, wenn Mutter Peachum im Dialog mit ihrem Mann endlos die Leuchtelemente auf der Bühne herumschiebt und zu neuen abstrakten Licht-Mustern formt.

Das Premierenpublikum benahm sich, wie es sich einem amüsierwilligen Musical-Publikum geziemt: Zwischenapplaus nach jeder Nummer, am Ende brandeten die Ovationen fast zehn Minuten. Berlin hat endlich den Musical-Hit, auf den es so lange gewartet hat.

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