
Theatercomic feiert Premiere: Crash! Boom! Bang!
Theater-Comic Captain America auf der Couch
"Was ist, wenn er uns verklagt?" Im Verlag sind nicht alle von der Idee begeistert, die Moshe Silberstein und Josef Katz 1941 vortragen. Die beiden jüdischen New Yorker haben eine neue Comicfigur erfunden: Sergeant Superpower, einen patriotischen Superhelden, der einen Sternenbanner-Strampler trägt, einen Kampfanzug in den Farben der US-Flagge. Er soll dem Superschurken jener Zeit, Adolf Hitler, ordentlich eins auf die Mütze geben - und so für den Kriegseintritt der USA werben. Aber was ist, wenn der Superschurke sie verklagt? "Wär es nicht besser, wir würden ihn anders nennen?", fragt ein Verlagsangestellter. "Hiller vielleicht?" Die Idee wird verworfen, der Superschurke beim Namen genannt.
Die Theaterautorin Rebekka Kricheldorf, in deren neuestem Stück die obige Szene auftaucht, hat sich vorsorglich dafür entschieden, die handelnden Personen nicht beim Namen zu nennen. Der Anwalt ihres Bühnenverlags habe ihr dazu geraten, berichtete sie nach der Uraufführung im Theater Heidelberg. Dabei ist die historische Vorlage ihres Stücks offensichtlich: der Superheld Captain America, 1941 erfunden von den beiden jüdischen New Yorkern Jack Kirby und Joe Simon.
Der Superheld wird immer regierungskritischer
Kricheldorf zeichnet in ihrem Stück die historische Entwicklung von Sergeant Superpower alias Captain America nach: Am Anfang kämpft er gegen Nazis, dann gegen Kommunisten, zuletzt gegen Terroristen. Sie mischt die fiktiven Kämpfe in den Comics mit den realen Kämpfen in der Redaktion, deren Mitglieder um die politische Botschaft der Comics ringen.
Mit der Zeit wird Sergeant Superpower dabei immer reflektierter und regierungskritischer: Ende der Sechziger agiert er zusammen mit dem ersten schwarzen Superhelden der Comic-Geschichte (bei Kricheldorf "der Adler", in den Original-Comics "Falcon"). In den Siebzigern legt er nach der Watergate-Affäre vorübergehend sogar sein Sternenbanner-Kostüm ab - und mit ihm seine Identität. Er nennt sich nun "Der Staatenlose" (in den Orginal-Comics "Nomad"). In den neunziger und den nuller Jahren hadert er immer mal wieder mit der kriegerischen Außenpolitik der USA; militärische Interventionen sollten oft nur den Zugang zu Erdöl sichern, kritisiert er.
Sergeant Superpower alias Captain America dient Kricheldorf als personifizierter Zeitgeist: als Quelle und gleichzeitig als Anschauungsmaterial für eine Mentalitätsgeschichte der USA. In einer Szene legt sie ihn auf die Couch eines Psychiaters, lässt ihn am kapitalistischen System zweifeln, am US-Imperialismus, an der Monogamie - an all den Werten, für die er als Symbolfigur steht. Der Psychiater erkennt schnell, woran sein Patient krankt: Er sei nun mal in erster Linie Ideenträger, dürfe erst in zweiter Linie Charakter sein.
Just daran krankt auch Kricheldorfs Stück: Sie nutzt Sergeant Superpower in erster Linie als Ideenträger, und so bleibt er als Figur, als Charakter recht blutleer. Sie instrumentalisiert ihn für eine Geschichtsstunde, für einen stellenweisen amüsanten, aber insgesamt doch eher spröden Volkshochschulkurs in US-Historie.
Kricheldorf klotzt mit kräftigen Farben
Kricheldorf, 39, ist bekannt als Komödienspezialistin: 2010 wurde sie mit dem Kasseler Förderpreis für Komische Literatur ausgezeichnet; ihre satirischen Texte gelten als gutes Schauspielerfutter. Inspiration liefern ihr immer wieder Stoffe aus der Literaturgeschichte: Theaterklassiker (etwa Tschechows "Drei Schwestern"), Märchen (etwa Grimms "Von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen"), Comics (etwa "Batman"). Mit Comics haben viele ihrer Stücke die Plakativität gemeinsam: Kricheldorf zeichnet nicht mit feinem grauem Strich, sie klotzt mit kräftigen Farben.
In "Sergeant Superpower rettet Amerika" jedoch klotzt sie leider nicht kräftig genug. Das Stück ist überzeichnet, aber nicht überzeichnet genug, es ist grell, aber nicht grell genug. Es ist, das muss man so hart sagen, zu lahm für den doch recht banalen, vor allem aber bekannten Inhalt.
Auch Erich Sidler, der designierte Intendant des Deutschen Theaters Göttingen, vermag das Stück mit seiner Inszenierung nicht rauszureißen. Ihm fehlt es an Mut und an Übermut: an dem Mut, auch mal eine der Passagen zu streichen, in denen Kricheldorf allzu pseudo-dialogisch Zeitgeschichte nacherzählt, und an dem Übermut, das Stück häufiger in den Gagaismus zurückzutreiben, in den albernen Kosmos des Comics, aus dem es entwachsen ist. Es würde dem Stück gut tun.
Manchmal entstehen solche Momente des Übermuts: etwa wenn der Musiker Jakob Dinkelacker einen Dialog mit live hergestellten Soundeffekten kommentiert, ihn verzerrt und veralbert. Oder wenn einer der raschen Rollenwechsel ansteht, zu denen die Schauspieler gezwungen sind, weil jeder von ihnen mehrere Figuren spielt. Es sind Momente, in denen die Comic-Ästhetik sich des historischen Stoffs bemächtigt, Momente voller Tempo und Spielfreude. Leider gibt es viel zu wenige solcher Momente, und so ist der zweistündige Abend das, was auch das Stück ist: nichts Halbes und nichts Ganzes, weder greller Comic noch kluge Analyse.
Was auch daran liegt, dass der Plot so absehbar ist, so durchschaubar, dass er sich so sehr entlanghangelt an den allseits bekannten Eckdaten der US-Geschichte. Wer schon mal in ein Geschichtsbuch geschaut hat, wer eventuell sogar die Vorlage des patriotischen Superhelden Sergeant Superpower kennt, der wird von Kricheldorf nicht überrascht, an keiner Stelle. Ihr Stück enthält nicht mehr historisches Wissen als der Wikipedia-Eintrag zu Captain America.
Es bietet Weisheiten in Sprechblasen.
Rebecca Kricheldorf: "Sergeant Superpower rettet Amerika" .Theater Heidelberg , Alter Saal.
Weitere Termine 17. und 18. Oktober, 5., 6. und 13. November.
Karten unter Telefon 06221/5820000.