

SPIEGEL ONLINE: Frau Ebert-Schifferer, wie schätzen Sie den Fund der angeblichen Caravaggio-Werke ein?
Ebert-Schifferer: Ich sehe das äußerst skeptisch. Die Zeichnungen, die entdeckt worden sind, sind schon lange Zeit bekannt. Ich zweifle daran, dass sie von Caravaggio sind.
SPIEGEL ONLINE: Warum?
Ebert-Schifferer: Es finden sich im Castello Sforzesco oft Schülerarbeiten. Aber niemand kann wirklich fest zuschreiben, von wem diese Arbeiten sind. Ich glaube auch nicht, dass die entdeckten Arbeiten eine Ähnlichkeit mit den Werken Caravaggios haben. Warum sollte auch ein 15-Jähriger Vorzeichnungen von Werken machen, die er erst Jahre später malt?
SPIEGEL ONLINE: Woran machen Sie das fest?
Ebert-Schifferer : Die Ähnlichkeit ist viel zu vage, sowohl motivisch als auch stilistisch. Und die Zeichnungen sehen auch untereinander so unähnlich aus, dass sie wahrscheinlich gar nicht alle von derselben Hand sind.
SPIEGEL ONLINE: Die Kunstexperten Maurizio Bernardelli Curuz und Adriana Conconi Fedrigolli haben ihren Fund also vorschnell publik gemacht?
Ebert-Schifferer: Es sind keine Kunstexperten, zumindest keine Caravaggio-Experten! Einer von ihnen hat ein Buch über eine Sammlung und über das 19. Jahrhundert geschrieben, der andere leitet eine Kunstzeitschrift. Das macht sie noch lange nicht zu Experten Caravaggios.
SPIEGEL ONLINE: Was werfen Sie den beiden vor?
Ebert-Schifferer: Die beiden hätten ihre Ergebnisse erst einmal im wissenschaftlichen Rahmen zur Diskussion stellen müssen, das wäre der normale seriöse Weg. Sie haben keine solide kunsthistorische Methode zur Überprüfung der Echtheit angewandt außer Ähnlichkeitsvergleiche. Ihre Vergleiche stehen völlig isoliert da: Die Typenstudien, die sie gefunden haben, gibt es wirklich haufenweise, sie gehören auch zur normalen Ausbildung und sind alle vage einander ähnlich.
SPIEGEL ONLINE: Wie hätten die Kunsthistoriker vorgehen sollen?
Ebert-Schifferer: Um überhaupt eine Vorstellung von Caravaggios Strich als jugendlicher Zeichner zu gewinnen, könnte man allenfalls seine Vorzeichnungen heranziehen, um sie mit den entdeckten Zeichnungen zu vergleichen. Die Vorzeichnungen kann man unter den Gemälden durch die zunehmende Verfeinerung der Infrarotreflektografie erkennen. Solche Vorzeichnungen sind aber noch nicht publiziert. Die beiden Kunsthistoriker haben nichts in der Hand, womit sie beweisen können, dass die Blätter von Caravaggio stammen, da bislang keine einzige gesicherte Zeichnung Caravaggios bekannt ist.
SPIEGEL ONLINE: Warum machen die Medien - wir können uns da leider nicht ausnehmen - dann so einen großen Wirbel um Zeichnungen, die womöglich nicht wirklich von Caravaggio stammen?
Ebert-Schifferer: Das haben wir doch jeden Sommer. Es ist ja Saure-Gurken-Zeit. Die Medien brauchen etwas, über das sie berichten können.
SPIEGEL ONLINE: Falls die Zeichnungen doch von Caravaggio stammen. Sind sie wirklich 700 Millionen Euro wert, wie die Medien berichten?
Ebert-Schifferer: Diese Zahl ist völlig aus der Luft gegriffen. Noch niemand hat Zeichnungen Caravaggios auf dem Kunstmarkt schätzen lassen, weil es bislang keine gab. Falls sie echt sind, würden sie den Wert der Ölgemälde auch nicht herabsenken.
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"Studie eines Kopfes": Eine von 100 Caravaggio zugeschriebenen Zeichnungen, die Experten laut Nachrichtenagentur Ansa im Mailänder Castello Sforzesco endeckt haben.
Die Kunsthistoriker haben die Zeichnungen im Castello Sforzesco gefunden, ein Schloss, das im Norwesten der Mailänder Altstadt liegt.
Mit seinen "Helldunkel"-Kompositionen - Chiaroscuro genannt - setzte Caravaggio neue Maßstäbe in der Malerei des Frühbarocks. Das Gemälde "Berufung des heiligen Matthäus" (1599 bis 1600) gilt wegen seiner Lichtführung als eines seiner revolutionärsten Werke.
Vergleichsstudie: Das Foto zeigt einen Ausschnitt aus dem Caravaggio-Werk "Die Bekehrung des Saulus" und - in schwarzweiß - einen aus einer jetzt gefundenen Zeichnung des Malers, um die Ähnlichkeit der Stücke zu illustrieren.
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