
"Manifesto": Die Cate-Blanchett-Show
Kurzfilm-Installation Die 13 Gesichter der Cate Blanchett
Dutzende Kameras sind auf die adrette Nachrichtensprecherin gerichtet, nur noch wenige Sekunden bis zum Start der Sendung. Schnell tauscht sie ihre Fellstiefel gegen High Heels, die Maskenbildnerin zieht noch mal den Lippenstift nach. Drei, zwei, eins - dann dreht sich Cate Blanchett zum Zuschauer, lässt die makellosen Zähne blitzen und beginnt zu sprechen: "Guten Abend, meine Damen und Herren. Jede Kunst ist Fake. Nicht weil sie kopiert oder geklaut wurde, sondern weil sie keine Kraft, keinen Mumm, keine Leidenschaft enthält."
Nur wenige Meter daneben wankt auf einer Leinwand ein verwahrloster Obdachloser über ein verlassenes Fabrikgelände. Er hat ein blaues Auge und Wunden im Gesicht, grummelnd zieht er einen Handwagen mit Plastiktüten und Lumpen hinter sich her. Dann zückt er ein Megaphon und schreit in die Welt: "Wir fordern von allen Intellektuellen, Schriftstellern und Künstlern, die Illusion aufzugeben, dass Kunst um der Kunst willen existieren kann!" Die Überraschung: Auch diese Figur wird von Cate Blanchett gespielt.
In der neuen Videoinstallation "Manifesto" des Berliner Künstlers Julian Rosefeldt spricht die australische Schauspielerin in 13 verschiedenen Rollen über Kunst. Rosefeldt hat aus künstlerischen Manifesten der letzten 100 Jahre poetische Textcollagen zusammengestellt, Blanchett trägt sie in Kurzfilmen als Monologe vor. "Normalerweise sind es zornige junge Männer, die in Manifesten zum Bruch mit Traditionen aufrufen", sagt Julian Rosefeldt, 50, "nun werden sie von Frauenfiguren gesprochen, was die historischen Texte entstaubt." 60 berühmte Pamphlete flossen in seine Textcollagen ein, sie enthalten appellative Fetzen aus Fluxus, Pop-Art oder Futurismus, auch das Kommunistische Manifest findet sich wieder.
Träumereien und Beschimpfungen
Die Installation mit zwölf parallel laufenden 10-minütigen Filmen ist ab Mittwoch im Museum Hamburger Bahnhof in Berlin zu sehen. Rosefeldt hat sie als Hommage an die Tradition der Manifeste gedacht - aber viel mehr noch ist das Werk eine Ehrung seiner Muse. Oscar-Preisträgerin Blanchett, 46, ist in Rosefeldts Szenen teilweise kaum zu erkennen, spricht mit verschiedenen britischen Akzenten, spielt einmal auch einen Mann.
Dabei überzeugt sie in aufwendig inszeniertem Umfeld als Kranführerin, als Puppenspielerin, Börsenmaklerin. Mal trägt sie Träumereien, mal wüste Beschimpfungen vor. Als biedere Mutter spricht sie ein Tischgebet: "Ich bin für Kunst, die politisch-erotisch-mystisch ist, die mehr bewegt als in einem Museum auf dem Arsch zu sitzen." Eine trauernde Blanchett hält eine Grabrede über Dadaismus: "Dada ist immer noch Scheiße, aber von nun an wollen wir in verschiedenen Farben scheißen, um den Zoo der Kunst zu dekorieren."
So wie künstlerische Ideen von jeher miteinander konkurrieren, kämpfen auch im dunklen Ausstellungsraum des Museums die 13 Filme gegeneinander um die Aufmerksamkeit des Betrachters. Der schreiende Obdachlose stört die ruhige Kontemplation der Lehrerin, der antreibende Monolog der Börsenmaklerin lenkt vom Tischgebet der Mutter ab. Die vielseitigen Bilder Rosefeldts scheinen den zentralen Appellen der Kunstgeschichte neues Leben zu verleihen. "Im Alltag ist der politische Diskurs zu Phrasen und Gebrüll verkümmert", bedauert Rosefeldt.
Rosefeldts Arbeiten werden in renommierten Sammlungen gezeigt, unter anderem im Museum of Modern Art New York. Dass er aber mit einer der prominentesten Schauspielerinnen der Welt arbeiten konnte, verdankt Rosefeldt einer Zufallsbegegnung. Über gemeinsame Freunde wurden sie auf einer seiner Ausstellungen einander vorgestellt. Sie bot sich als Inspiration für eine seiner künftigen Arbeiten an.
Dass er nur zwölf Drehtage habe finanzieren können, habe die Arbeit sehr intensiv gemacht, "wie im Rausch", sagt Rosefeldt. Gedreht wurde im Dezember 2014 in Berlin. Blanchett habe ohne Gage gearbeitet und sich in kürzester Zeit in völlig unterschiedliche Rollen eingefunden. Weltstar befruchtet Berliner Videokünstler - durch die eindrucksvolle Leistung Blanchetts dürfte Rosefeldts Arbeit internationale Beachtung zuteil werden.
Julian Rosefeldt, Manifesto. 10. Februar bis 10. Juli, Hamburger Bahnhof - Museum für Gegenwart, Berlin