Georg Diez

Sinnentleerte Christdemokratie In der Mitte wird's gefährlich

Die Linke wird oft kritisiert, kein Konzept für neuen sozialen Zusammenhalt zu haben. Das gilt aber auch für die Mitte. Gerade gemäßigte Parteien und Medien geben sich deshalb der Agitation hin und befördern den Rechtsruck.
Die CDU-Mitte

Die CDU-Mitte

Foto: DPA

Es ist, was den Umgang mit rechtem und antidemokratischem Denken angeht, ein breites Medienversagen zu konstatieren. Man muss derzeit nur die Komplexität der Welt so weit reduzieren, dass noch jedes Ressentiment den Rang einer wertvollen Meinungsäußerung bekommt, und schon bekommt man Platz in den Fernsehsendern, im Radio, in den Zeitungen: Jüngstes Beispiel, diese "Erklärung 2018" von den ewig gleichen Leuten, die seit Jahren schon gegen die deutsche Flüchtlingspolitik agitieren und Angela Merkel für eine Verbrecherin halten; oder der Feuilletonist Jens Jessen, der sonst immer erklärt, dass konservativ so etwas wie das Gewicht an der Waage der Geschichte ist, sich aber nun nicht mehr zurückhalten konnte und seinen Arbeitgeber, die "Zeit", dazu gebracht hat, Sätze zu drucken von tweedsakkohafter Scheußlichkeit: "Aber worauf wollen die Aktivistinnen der #MeToo-Bewegung mit ihrem neuen feministischen Volkssturm hinaus", schreibt er, "diesem Zusammentreiben und Einsperren aller Männer ins Lager der moralisch Minderwertigen".

Befreiung also als neuer Holocaust. Es sind, unter anderem, diese hysterischen Vergleiche, die so verstören an der gegenwärtigen rechten Panik - die dann aber eben nicht in den verschwörerischen Salons bleibt, von denen ebenfalls die "Zeit" ganz aufgeregt geraunt hat. Sondern die auf ein mediales Umfeld trifft, das - so scheint es mehr und mehr - das Nachdenken über Wertung, Werte, Wichtigkeit aufgegeben hat und den Sinn für Balance und Proportionen verloren hat und alles, was von rechts kommt, so händeringend hochpustet, dass eine Bedeutung entsteht, die erst dadurch entsteht, dass man es eben hochpustet.

Oder, anders gefragt: Wo sind denn die vier Seiten Feuilleton über die erste Entgegnung auf die Erklärung von rechts , die mit dem einfachen Satz beginnt: "Menschenrechte enden an keiner Grenze dieser Welt"?

Warum also gibt es Debatten zurzeit vor allem, wenn sie von rechts angeschoben werden? Warum wird noch jede Messerattacke zum Staatsproblem gemacht, aber nicht die täglich stattfindenden Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte? Warum nennen sie bei der CSU den Antisemiten Orbán einen Freund, pochen aber auf das "jüdisch-christliche Erbe", sobald es gegen Muslime geht?

Knetmasse der Manipulatoren

Warum sehen so viele Medien nicht, dass jemand wie Donald Trump durch zum Teil gedanken- oder gewissenlose Medien groß gemacht wurde, die noch auf jede Provokation hereinfielen und dabei ihre eigenen Prinzipien vergaßen? Warum also erscheint die Öffentlichkeit gerade so weich wie Knetmasse in den Händen der Manipulatoren der Irrationalität, des Hasses und der Ausgrenzung?

Und je länger man über diese Fragen nachdenkt, desto deutlicher wird eine Antwort, die nur deshalb so überraschend ist, weil zurzeit immer von der Krise der Linken und des linken Denkens die Rede ist: Tatsache ist, dass die Rechte in einer viel größeren Krise steckt, jedenfalls die Rechte, wie sie sich traditionell im Kontext der BRD und der europäischen Nachkriegsordnung gezeigt hat, als Christdemokraten, die aus dem Zweiten Weltkrieg gelernt hatten und sich von der Nation als Idee verabschiedet hatten, wie es der immer sehr präzise Politologe Jan-Werner Müller gerade erklärt  hat und zu dem Urteil kommt: "Der Opportunismus der Mitte kann fatale Langzeitfolgen für die politische Kultur als Ganzes haben."

Was also, so eine beliebte Frage, ist konservativ? Die CDU versucht das gerade herauszufinden. Die Vertreter des "Konservativen Aufbruchs" treffen sich an diesem Wochenende und planen ein Manifest und fordern, im Pakt mit Pegida, einen Rückzug von Angela Merkel. Doch wie auch bei der "konservativen Revolution", von der Alexander Dobrindt von der CSU träumt, wird sich auch hier zeigen: Die Rechte weiß nicht, was sie will - außer zurück in ein Gestern, das es so nie gegeben hat. Garniert mit einer neuen Diskussion über Abtreibung und Heimat und dem Dauerbrenner innere Sicherheit. Dieser Mangel an Überzeugung oder Ideen, die für eine moderne Gesellschaft geeignet sind, das macht Politikwissenschaftler Müller deutlich, ist ein Problem, das weit über die Sinnkrise hinausgeht.

Müller, der in Princeton lehrt und ein grundlegendes Buch über den Populismus geschrieben hat, beschreibt in seinem Text in "Foreign Policy" genau das, was gerade geschieht und so gefährlich ist: Die Christdemokraten der jüngeren Generation haben keine Beziehung mehr zu den Ideen, die die Generation vor ihnen hatte, Europa im Speziellen und die Frage, was nach dem Nationalstaat kommt. Sie haben ihr Erbe vergessen, das darin bestand, sowohl Klassen- wie auch Kulturkämpfe zu vermeiden. Und genau darin, so Müller, bestand die Aufgabe und der Erfolg der europäischen Christdemokraten generell - dass sie in der Lage waren, die Konflikte von Identität und Interessen auszugleichen. Mit dem Zusammenbruch dieses Denkens wiederum öffnen die Konservativen die Flanken zu den Rechten und Rechtsextremen. Jede Art von Anerkennung oder Zusammenarbeit, so Müller, führt nur zu deren Stärkung.

Christdemokratie ohne Idee

Was Müller im Kern beschreibt, ist die Erkenntnis, dass die letzte halbwegs eigene Idee der christdemokratischen, konservativen, liberal-konservativen, bürgerlichen oder wie man sie sonst nennen will: Mitte, die sie zu ihrer Politik machen konnte, fast 70 Jahre alt ist. Seither herrscht Stillstand. Seither herrscht Verwaltung des Status Quo, seither herrscht Politik als Praxis ohne Vision, seither entleert sich langsam der Sinngehalt dessen, was eben eine Politik sein könnte, die weder konservativ ist noch rechts davon, sondern christdemokratisch im durchaus emanzipatorischen Sinn. Die Rechten, wie der Übervater all der derzeitigen Republikstürzer Armin Mohler, haben die CDU immer dafür verachtet, und genau das war die Stärke, genau das war der Daseinsgrund dieser Partei.

Wegen des konservativen Zynismus gegenüber rechts, so Müller, wird es aber leider wohl so laufen, dass Parteien wie die CDU oder die CSU oder andere Christdemokraten in Europa entweder direkt mit den Rechtsextremen kollaborieren, sie kopieren oder heimlich mit ihnen zusammenarbeiten. Sie werden, anders als es Emanuel Macron an diesem Wochenende vorführt, keine empathische Haltung zu Europa finden, das ursprünglich auf Ideen gebaut war und nicht auf Verwaltung.

Die ideelle Schwäche also, das Sinnvakuum, das sich rechts von der SPD auftut, führt dazu, dass die Rechte gestärkt wird. Weil sie keine Ideen haben, bleiben ihnen nur Parolen: Sicherheit etwa, der zurzeit lauteste Schlachtruf.

Die Reaktionen auf die "Erklärung 2018" machen deutlich, wie wenig das klassische konservative Milieu dem Angriff von rechts entgegenzusetzen hat. Zu beobachten ist aber auch, wie mit zwei läppischen Sätzen eine mediale Aufmerksamkeit erzeugt wird, die in keinem Verhältnis zur Substanz und Komplexität dessen steht, was diskutiert werden sollte, wenn es um die Grundlagen unserer Gesellschaft geht. Deprimierend ist die Oberflächlichkeit und Willfährigkeit der Debatte, die sich nach Akzenten wieder, ob gewollt oder nicht, ein Stück weit nach rechts verschiebt.

Es ist die Mitte, die die Rechte stark macht, die ideenlose, driftende Mitte, nicht die Linke. Es wäre an der Mitte, der konservativen Mitte, die Rechte mit emanzipatorischer und aufklärerischer Politik zu bekämpfen, anstatt sie zu kopieren. Es geht um diese Demokratie.

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