Margarete Stokowski

S.P.O.N. - Oben und unten Die sitzen ja gar nicht vor Zahlentapeten

Ja, ja, Hacker sind Männer mit Kapuzenpullovern, Hacker tragen Guy-Fawkes-Masken, Hacker tun geheime Dinge. Haben Sie schon mal einen Hacker getroffen? Oder gar eine Hackerin? Besser wär's.
Hacker und Binärcode (Symbolbild aus dem SPIEGEL-ONLINE-Archiv): 1100011110

Hacker und Binärcode (Symbolbild aus dem SPIEGEL-ONLINE-Archiv): 1100011110

Foto: Corbis


Hannah Arendt hat mal geschrieben, es liege im Wesen der Wissenschaft, "jeden einmal eingeschlagenen Weg bis an sein Ende zu verfolgen". Es ist auf eine gewisse Art die akademische Version des Witzes "Warum leckt sich der Hund am Schwanz? Weil er's kann." Das scheint auch eine Art Motto auf dem Chaos Communication Congress zu sein, der am Mittwochabend zu Ende gegangen ist.

"Das ist ja das Schöne hier", sagt mein Freund M.: "Man macht so viele Sachen einfach, weil man's kann." Und dann zeigt er mir seinen Mittelfinger und sagt "guck" und hebt eine Ein-Cent-Münze vom Tisch mit dem Fingernagel auf, weil er jetzt einen Magneten am Finger hat, aufgeklebt in Nadja's Magnetic Nail Art Studio  auf dem Congress. Praktisch, praktisch.

Das Schöne war auf dem Congress nicht nur, zu sehen, was "man" in technischer Hinsicht so alles kann - aus Milchaufschäumern Malroboter bauen , eine Sparkassen-App knacken und Partymachen aufm Klo  -, sondern auch der Hackercommunity dabei zuzugucken, was für eine Sorte von Community sie ist. Ich würde sagen: eine ziemlich beeindruckende.

Beeindruckend, weil sich sehr verschiedene Menschen auf interessante Art gegenseitig zu etwas sehr sympathischem Großen zu integrieren scheinen, anhand von vielen kleinen Regeln, die sie sich selbst geben. "Be excellent to each other!" steht irgendwo auf einem Plakat und "all creatures welcome" auf einem anderen, und es scheint ganz gut hinzuhauen. Die Unisex-Toiletten sind nur ein kleiner Schritt, ebenso wie die Tatsache, dass die Keynote dieses Jahr von einer aus Kenia und Somalia geflüchteten Frau gehalten wurde: Fatuma Musa Afrah.

"Eine schwarze Rednerin mit Kopftuch vor einem überwiegend weißen, männlichen Publikum illustriert eindrücklich, dass auch die Tore der Hackercommunity nicht ganz so offen sind", schrieb die "taz" darüber , in Anspielung auf das Jahresmotto "gated communities". Würde ich anders sehen.

Ich würde sagen, eine solche Rednerin illustriert, dass sich da Leute offenbar Mühe geben und lauter kleine Schritte vorwärts machen. Natürlich war Afrah eine Überraschung und keine Selbstverständlichkeit - aber sie war eben da und hat gesprochen und später auch noch einen Workshop geleitet.

"Chaospatinnen" helfen Neulingen

Eine Podcasterin erzählte, bei ihrem allerersten Congress vor einigen Jahren sei sie an der Tür wieder umgedreht und abgehauen. Zu viel Angst. Das wäre heute vielleicht nicht mehr so wahrscheinlich, denn neben den vielen freiwillig helfenden "Engeln", die überall im Einsatz sind, gibt es auch noch die "Chaospatinnen", die alle Neuen, wenn sie wollen, an ihrem ersten Tag empfangen und nach ihren Interessen rumführen. Unter ihnen ist auch jemand speziell für Menschen mit Autismus zuständig. Wer trotzdem nicht kommen will oder kann, kann sich die Talks von zu Hause angucken, mit Übersetzung oder Untertiteln. Viele kleine, nicht selbstverständliche Schritte, damit möglichst viele Leute mitmachen können.

Es mag unterschiedliche Vorstellungen von Hackern und Hackerinnen geben. Wenn man in die Google-Bildersuche "Hacker" eingibt, kriegt man lauter Bilder von Männern mit Kapuzenpullovern und Guy-Fawkes-Masken, die vor einer Tapete mit Einsen und Nullen geheime Dinge tun. Von denen gab es auf dem Congress eher nicht so viele. Eher sieht man jemand mit Einhornmaske. Leute mit Kindern. Leute ohne Beine.

Dabei ist der Begriff des Hackens durch sogenannte "Life Hacks" zur Zeit etwas allgegenwärtiger, als vielleicht nötig wäre. Was die "Brigitte" vor 10 oder 20 Jahren als "Tipps und Tricks in Haushalt" vorgestellt hätte, sind heute "33 Life Hacks, die uns das Leben leichter machen ": Wie schäle ich eine Orange und wie trockne ich meine dreckigen Schuhe.

Irgendwo zwischen der Google- und der Brigitte-Vorstellung vom Hacken lag meine eigene. Bis vor ein paar Jahren hatte ich mir den Chaos Communication Congress als ziemlich düstere Angelegenheit vorgestellt: Kabel und schlecht gelaunte Menschen.

Dann entwickelte sich mein Freundeskreis so, dass plötzlich ständig Leute um mich waren, die Suchmaschinen oder Robotergehirne bauten und Spiele entwickelten, in denen Maulwürfe auf Skateboards fliegen, bis letztes Silvester unsere Party fast komplett aus Leuten bestand, die gerade vom Congress kamen und irgendwas über ein Rohrpostsystem redeten und völlig verständnislos feststellten, dass die feuerbeheizte Badewanne vor dem Haus nicht mit einem Thermometer ausgestattet ist, das die Wassertemperatur an eine bunte LED-Anzeige ins Wohnzimmer schickt, damit man nicht immer rausgehen muss, um zu gucken, ob das Wasser schon heiß ist. Wäre doch so einfach.

"Algorithmen sind wie Kinder"

Es ist der Kern der Hackerkultur, Dinge zu fixen, hat CCC-Sprecher Frank Rieger in einer seiner Veranstaltungen gesagt. Vielleicht versteht man die Hackercommunity etwas besser, wenn man noch dazunimmt, was der Künstliche-Intelligenz-Forscher Joscha Bach gesagt hat: In den meisten Gruppen richten sich Menschen nach der Meinung derer, die sie umgeben.

Dabei sind soziale Normen so etwas wie japanische Papierwände: Weil Leute sagen, dass es Wände sind, sind es Wände. Sie sind da, aber man kann sie verschieben. Nerds aber sind manchmal nicht so geschickt darin, sich an soziale Normen anzupassen, und wollen lieber Kategorien wie "wahr" und "falsch" haben.

Also schaffen sie eigene Regeln. Das heißt aber vielleicht auch, dass die Regeln, die sie sich als Gemeinschaft geben - wenn sie sich welche geben -, zwangläufig ziemlich reflektiert sind. Das kann auch schiefgehen, wie mit den "Creepercards " vor drei Jahren.

Die Soziologin Susann Wagenknecht hat Ansätze zusammengetragen, die den Begriff des Hackens beschreiben. Das Image vom Hacken sei noch zu negativ besetzt und zu nah am "Kaputtmachen" - sie würde es gern entkriminalisieren, hin zu etwas, das eher praktizierter Liberalismus und kreatives Neumachen ist. Wirkt sinnvoll - und wäre etwas, was sich noch sehr viele Leute von der Hackercommunity abgucken könnten.

"Das war alles sehr harte Arbeit", sagt T., "bis die Community so wurde wie heute. Früher gab es so viel Ausschluss und Diskriminierung." Ich treffe ihn in einem Talk, in dem es darum geht, ob nicht nur Menschen, sondern auch Algorithmen Menschen diskriminieren können. (Der Sprecher, Andreas Dewes, findet: ja. Algorithmen sind wie Kinder, sie sind schlau und wollen lernen, aber man sollte aufpassen, was man ihnen beibringt.)

Es ist natürlich nicht alles Popcornessen auf dem Congress. Hässliche Dinge wie das Gamergate sind präsent - aber sie dominieren nicht die Stimmung. Insgesamt ist es auffällig entspannt und gut geregelt. Vielleicht sei die Planung diesmal so anstrengend gewesen, dass "keiner mehr Kraft hatte, um sich sinnlos über Kleinigkeiten aufzuregen", schrieb Blogger Fefe. Wäre vielleicht auch okay.

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