Chinas Willkür-Justiz "Huhn töten, Affen erschrecken"
Mo Shaoping, 48, arbeitet ganz nahe am Zentrum der Macht. Zwischen der Verbotenen Stadt und dem verschwiegenen Regierungsviertel Zhongnanhai hat er seine Kanzlei in einem traditionellen Hofhaus im Sun Yat-Sen-Park. Von hier aus legt sich der Anwalt und Rechtsprofessor immer wieder mit den Gewaltigen auf der anderen Seite der roten Mauern an: Seit 1994 verteidigt er Regimekritiker, Cyber-Dissidenten, Journalisten Männer und Frauen, die wegen "versuchten Umsturzes", "Verrats von Staatsgeheimnissen" oder "Gefährdung der Stabilität" verhaftet wurden.
Sein jüngster Fall ist der bislang spektakulärste und zeigt, dass die Beteuerungen der KP, sie wolle mehr Rechtstaatlichkeit walten lassen, hohle Worte sind: Es ist der Prozess gegen den Journalisten Zhao Yang, einen Assistenten der "New York Times" in Peking. Zhao war am 17. September 2004 in einem Shanghaier Pizza-Hut-Restaurant verhaftet und monatelang ohne Kontakt zu Anwalt und Verwandten festgehalten worden. Die Vorwürfe: "Verrat von Staatsgeheimnissen an Ausländer" und Betrug.
Den Maulkorb enger schnallen
Chinas Regenten schlugen zu, nachdem die "New York Times" in einem - völlig korrekten - Exklusivbericht den bevorstehenden Rücktritt des Chefs der mächtigen Militärkommission, Jiang Zemin gemeldet hatte. Die Geheimdienstler vermuteten, Zhao habe die Informationen beschafft, was der Pekinger "New York Times"- Bürochef Joseph Kahn energisch abstreitet.
Nun will die KP mit Zhao, der sich jahrelang für die Rechte chinesischer Bauern eingesetzt hatte, ein Exempel statuieren frei nach dem Sprichwort: "Ein Huhn töten, um die Affen zu erschrecken". Berichte aus dem Innenleben der Partei sind tabu. Die Verhaftung dient zugleich als Warnung an alle chinesischen Mitarbeiter und Informanten ausländischer Korrespondenten, fremde Medien nicht mit Interna zu versorgen. Zwei Jahre vor den Olympischen Spielen versuchen die Funktionäre derzeit, den Maulkorb für Journalisten immer fester anzuziehen. Jüngstes Beispiel: In Katastrophenfällen sollen, so sieht ein Gesetzesentwurf vor, Medien nur das melden dürfen, was die Propaganda ihnen vorschreibt. Wer sich nicht an die Vorschrift hält, muss mit Geldstrafen rechnen.
Anwalt Mo, ein sorgfältig frisierter Mann mit randloser Brille, hält Veröffentlichungen über politische Personalien für kein Verbrechen: "Die Bürger haben das Recht, so etwas zu erfahren", sagt er. Der Jurist beugt sich über ein Papier, in dem er gewissenhaft den Hergang des Verfahrens niedergeschrieben hat. Eine Buddhafigur, Modelle der Freiheitsstatue und einer Marsch-Rakete stehen im Zimmer. In einem Aquarium schwimmen Goldfische. An der Wand hängt ein Rollbild, das ihn als jungen Anwalt zeigt. 2003 hat ihn das US-Magazine "Time" zu einem der "Helden Asiens" gekürt.
Unter Ausschluss von Zeugen
Auf die Festnahme Zhaos folgte eine juristische Farce, grotesk selbst für chinesische Verhältnisse. "Zwei Mal hat die Staatsanwaltschaft den Fall wegen mangelnder Beweise an die Staatssicherheit zurückverwiesen", sagt er. "Zhao hätte also am 17. März 2006 freigelassen werden müssen." Als Mo erfuhr, dass die Behörden nicht in der Lage waren, eine Anklage zusammenzuzimmern, kündigte er bereits erfreut die Freilassung seines Klienten an.
Doch dann geschah Seltsames: Die Staatsanwälte rollten den Fall wieder auf. Die Dokumente, die sie nun vorlegten, unterschieden sich nicht einmal im Komma von den ursprünglichen Schriftsätzen. "Absurd", sagt Mo. Auch beim zweiten Anklagepunkt "Betrug" beugten die Behörden das Recht. Solche Fälle dürften eigentlich nur die örtlichen Behörden in Zhaos Heimatprovinz Jilin oder in seinem früheren Wohnort Harbin - untersuchen, nicht aber die Staatssicherheit in Peking.
Schließlich machte das Zweite Pekinger Mittlere Volksgericht Zhao am 16. Juni den Prozess. Der Journalist beteuerte in der eintägigen Verhandlung ununterbrochen seine Unschuld. Doch kein einziger Zeuge wurde im Saal 6 gehört. "Das ist verfahrenstechnisch erlaubt", sagt Mo, "aber juristisch nicht angemessen."
Signal des Ärgers
Warum ließen die Behörden das Verfahren gegen Zhaos nicht fallen? Warum ließen sie den Mann nicht laufen? Anwalt Mo zuckt die Achseln. Politisch will er die Affäre nicht bewerten. "Ich bin Verteidiger, ich sehe das alles nur durch die juristische Brille." Was er nicht sagt: In China leben nicht nur Journalisten, sondern auch Anwälte gefährlich. Wer zu viel sagt und zu viel wagt, wer gar Kritik an der Obrigkeit übt, riskiert selbst Gefängnis, wie Dutzende Kollegen von Mo derzeit schmerzlich erfahren müssen.
Doch dann berichtet er, scheinbar zusammenhanglos, über den Fall eines anderen Klienten, des inhaftierten Dissidenten Yang Jianli. Kurz vor dem USA- Besuch von Staats- und Parteichef Hu Jintao bekam er im Gefängnis den Befehl, seine Sachen zu packen. Er werde bald auf freien Fuß gesetzt, erklärten die Wärter. Ein paar Tage später war von Freiheit aber nicht mehr die Rede.
Was Mo auch nicht sagt: Die Gründe der Kehrtwende könnten, wie im Fall von Zhao, in der höheren Politik liegen. Womöglich wollte KP-Chef Hu den Mann als freundliche Geste gegenüber den Amerikanern laufen lassen, so wie es die Pekinger Regierung bei ähnlichen Anlässen gerne tut. Doch die Washington-Visite verlief nicht so, wie der oberste Mandarin es wollte. Nun war offenbar statt eines Zeichens des guten Willens ein Signal des Ärgers gefragt Yang musste im Gefängnis bleiben.
Zynischer kann Politik kaum sein. Auch der Journalist Zhao, dem mindestens zehn Jahre Gefängnis drohen, könnte Opfer einer schlechten Laune der Mandarine gegenüber von Mos Anwaltskanzlei sein. Spätestens am 25. Juli müssen die Richter nach den Regularien über sein Schicksal entschieden haben. Über dem Schreibtisch seines Verteidigers Mo hängt eine Kalligraphie: "Sei gleichgültig gegenüber weltlichen Dingen, sei entschieden bei deinen Idealen." Sollte Zhao verurteilt werden, will Mo den Richterspruch anfechten.