Fotograf Danny Lyon Der ewige Underdog

Zwischen Bürgerrechtlern und Bikern: Danny Lyon dokumentierte mit seinen Fotos die Gegenkulturen der Sechziger, jetzt ehrt ihn eine Retrospektive in Berlin. Historische Bilder - und doch brandaktuell.

Danny Lyon, schlohweißes Haar, randlose Brille, steht am Rande seiner Ausstellung "Message to the Future" und wird von Presseleuten belagert, die meist auch Fans sind und Fotobücher signiert haben wollen. Geduldig schreibt er Widmungen. Und raunt dann doch ein "Let's get out of here".

Zu viel Trubel, zu viel Aufmerksamkeit. Das Lebensgefühl des Underdogs, der sich immer in der Opposition zum Mainstream wähnt, überführte Lyon in den Sechzigern in Fotoserien über Biker, Bürgerrechtler, Gefängnisinsassen. Dieses Lebensgefühl machte den heute 75-jährigen Fotografen berühmt. Und es ist noch immer da.

Durch den Vater zur Fotografie

Beim anschließenden Gespräch im Café des C/O Berlin, das den US-amerikanischen Fotografen derzeit mit einer umfassenden Retrospektive ehrt, holt Lyon dann auch passend aus zu seiner ganz großen Welterklärung: Begründet in einem Monolog, warum er findet, dass die Situation der Schwarzen in den USA heute mit der der Juden in Deutschland vor der Machtübernahme der Nazis vergleichbar ist. Kritisiert Online-Medien, das Internet überhaupt. "Goebbels hätte das Netz geliebt", sagt Lyon, "Was hätte der mit Facebook gemacht? Wahrscheinlich den Krieg gewonnen."

Lyons Thesen sind oft sehr groß, manchmal undifferenziert - aber dennoch mehr als nur Pose. Sie sind Teil seiner Lebensgeschichte. Der politische Protest ist ihm seit der Geburt eingeschrieben: Schon ein Onkel von Danny Lyon beteiligte sich an der Russischen Revolution von 1905. Wegen Mordes angeklagt, floh er in die USA. Und Danny Lyons Vater ging vor der Flucht vor den Nazis in München zur Schule, oft trank er ein Bier im Hofbräuhaus. "Hitler spazierte an ihm vorbei, beinahe jeden Tag, da die Braunhemden hier einen eigenen Raum hatten", sagt Lyon.

Der Vater war es auch, der Lyon später zur Fotografie führte: "Bei meinem zweiten Trip nach Europa, mit 17 Jahren, riet mir mein Vater, in München eine Kamera zu kaufen. Es wurde eine EXA, ein ostdeutsches Fabrikat." Seine ersten Bilder machte Lyon im Konzentrationslager Dachau, etwa 20 Kilometer von München entfernt.

Mit seinen Fotos untersuchte er so die eigene Geschichte, guckte aber auch genau dahin, wo das Nachkriegsdeutschland gerade nicht hinschauen wollte - eine Leidenschaft für die blinden Flecken einer Gesellschaft, die ihn nie losließ und die er immer wieder in ganz unterschiedlichen Bereichen anwandte: Mit Anfang zwanzig lebte Lyon mehrere Jahre lang mit dem gefährlichen Chicago Outlaws Motorcycle Club. Die Serie "The Bikeriders", die 1966 erschien, gilt als Teil des "New Journalism": Lyon fuhr mit ihnen durchs Land, fotografierte die Mitglieder, nahm Gespräche auf und dokumentierte sie.

Am besten ist Lyon, verzichtet er auf Romantisierung

Selbst Gonzo-Journalist Hunter S. Thompson, bekannt für Grenzerfahrungen im Milieu der Hells Angels, warnte Lyon in einem Brief eindringlich vor der Motorradgang. Aber Lyon ließ sich nicht abbringen: Er ärgerte sich über die einseitige Darstellung der Gang in den Massenmedien, die die Rocker als Kriminelle brandmarkten. "Es war meine Art zu sagen, ihr macht das so nicht richtig." Der TV-Realität will er seine subjektive Realität entgegenstellen: "Ich möchte den Menschen nah kommen. Nicht nur räumlich, sondern emotional."

Manchmal kommt in der Serie zu stark die Perspektive des Underdogs durch, Lyon verherrlicht dann mit seinen Schwarz-Weiß-Fotos den Lebensstil der Biker. Am besten ist er immer, verzichtet er auf jede Romantisierung: Für "Conversations with the Dead" besuchte Lyon Gefängnisse in Texas und dokumentierte das Leben hinter Gittern, zwischen Domino-Spielen und Zwangsarbeit.

Für "Destruction of Lower Manhattan" hielt er fest, wie amerikanische Arbeiter zerlegten, was andere einst aufgebaut hatten, um Platz zu machen für neue Gebäude. 1974 begleitete er mit einem Kurzfilm das Leben eines nicht-registrierten mexikanischen Arbeiters, der über die US-Grenze pendelte, 2011 dokumentierte er die Occupy-Bewegung.

Am stärksten sind die Fotos der frühen Serie "The Movement": Lyon, der damals noch Geschichtsstudent war, dokumentierte für eine Unterorganisation der Bürgerrechtsbewegung Sitzblockaden, Protestmärsche und Ausschreitungen im Süden der USA. "Ich wusste, wie Schwarze unterdrückt wurden. Man musste nicht clever sein, um zu verstehen, dass mit der Bewegung Geschichte geschrieben wurde."

Ein Bild zeigt einen jungen Schwarzen im Würgegriff eines Polizisten. Er hat den Mund geöffnet, schreit, versucht mit aller Kraft loszukommen. "Arrest of Taylor Washington" könnte heute entstanden sein, denkt der Betrachter; noch immer sind die Berichte aus Charlottesville oder Charleston im Kopf. Das Bild nahm Lyon aber in den Sechzigerjahren in Atlanta auf.


Eine Übersicht von Lyons Werken findet sich auf seiner Website.  Die Ausstellung: "Danny Lyon: Message to the Future" ist im C/O Berlin  bis 3. Dezember zu sehen.

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