
S.P.O.N. - Der Kritiker Das Scheitern der Talk-Republik


Maischberger-Talk: Alle reden zurzeit dauernd und ausschließlich mit der AfD
Foto: WDR/Max KohrDie Talk-Republik Deutschland ist tot, verstorben in der vergangenen Woche vor den Augen derjenigen, die noch den Masochismus aufbringen, sich zu später Stunde dem Phantasma der Verständigung hinzugeben.
Es ging schon lange so, es zog sich seit Jahren hin, die Agonie dieses Rituals, das ein Relikt aus den frühen Neunzigern war, als sich die bundesrepublikanische Konsenskultur entwickelte - wir erleben mit dem Ende des Talks auch das Ende dieses Konsenses.
Dieser Konsens hat auf einmal Feinde, die sich nicht mehr durch Meinungen und Argumente unterscheiden, sondern die die Mistgabeln herausholen wollen und die Angst verbreiten.
Feinde, die mit Worten wie "Verrat" operieren und dauernd vom "deutschen Volk" schwafeln, als sei die Welt ihr Vorgarten. Feinde, die sich oft nur durch eine Krawatte von den Schlägertrupps unterscheiden, die hinter ihnen stehen und die endlich "ernst machen wollen", und das genauso drohend meinen, wie es klingt.
Die Frage ist, wie man mit diesen Feinden umgeht. Die Antwort darauf war bislang die alte, die eingeübte, das Ritual, das man für Demokratie hielt: reden, reden, reden.
Reden hilft, das war der Gedanke eines therapeutischen Zeitalters. Reden ist die Grundlage der Demokratie, das sagte Jürgen Habermas, der Philosoph der alten BRD, dessen Theorie des kommunikativen Handelns immer eine schwache Stelle hatte: Was passiert, wenn die Kommunikation gekapert wird von Leuten, die sich den Grundlagen von Fairness und Rationalität verweigern?
Der deutsche Panikmodus
Und so eröffnet das Scheitern der Talk-Republik, wie es die Sendungen von Anne Will, Frank Plasberg und Sandra Maischberger in der vergangenen Woche gezeigt haben, eine ganze Reihe von neuen Fragen.
Ist es zum Beispiel das Wesen der Demokratie, dass "alle mit allen reden", wie jetzt immer wieder wiederholt wird? Oder ist es das Wesen der Demokratie, dass sich alle an bestimmte Regeln halten und die gleichen Grundwerte teilen?
Dazu würde zum Beispiel gehören, dass man nicht auf Flüchtlinge schießt. Die AfD sieht das anders. Muss man deshalb mit ihr reden? Die Frage ist lächerlich, sie wurde in der vergangenen Woche auch wieder und wieder diskutiert, weil die SPD so dumm war, mal wieder in jede Falle zu tappen, die eigentlich niemand aufgestellt hatte.
Alle reden zurzeit dauernd und ausschließlich mit der AfD oder über die AfD, es ist fast schon eine Obsession: Es gäbe genug zu diskutieren, über den Klimawandel, TTIP, die globale Ungerechtigkeit, das Wesen des Kapitalismus, das Leiden der Menschen in Syrien, die Schönheit und den Schrecken des Islam oder auch nur die Zukunft der intelligenten Maschinen und den Platz des Menschen.
Aber im deutschen Panikmodus wird all das ignoriert - man ordnet sich dem Diskursgetrommel der Rechten unter, als habe man wirklich Angst, dass man sich sonst zum "Volksverräter" machen könnte. Rechte Ängste nimmt man eben ernster als linke Ängste.
Illustration dieses einen hässlichen Wortes: Volksverräter
Das ist das Klima dieser Tage - aber was soll man auch sagen, wenn selbst eine Zeitung wie "Die Zeit" auf ihrer Titelseite eine Zeichnung und eine Zeile zeigt, eine Illustration dieses einen hässlichen Wortes: Volksverräter oder eben Volksverräterin Merkel.
Die ist da zu sehen, wie sie eine bundesdeutsche Fahne in der Hand hält und lächelnd eine Menge seltsam dunkel gezeichneter Deutscher, nehme ich an, man kann das nicht richtig sagen, und wer wüsste auch schon, was ein Deutscher ist - auf den Abgrund zuführt.
Die Zeile dazu: "Sind die Deutschen verrückt?" Darunter steht zwar kleiner: "Oder ist es der Rest der Welt, der keine Flüchtlinge aufnimmt?" Aber auch das ist Unsinn. Und der Schaden ist da: Wenn eine politische Wochenzeitung der Mitte anfängt, die Politik auf diese Art zu pathologisieren und offen im Modus von Geisteskrankheit redet, dann ist das das Ende des rationalen Diskurses.
Dann kann man nicht einfach weitermachen wie bisher. Man kann sich nicht, wie es Sandra Maischberger getan hat, drei Rechte in die Sendung einladen und freundlich schauen und sagen, ich würde Sie so gern verstehen, aber Sie machen es mir so schwer.
Überhaupt ist die Balance in diesen Sendungen auf eine Art und Weise gekippt, dass man sich fragt, was sich die Redakteure dabei denken: Beatrix von Storch etwa, die Frau, die Angela Merkel rät, "aus Sicherheitsgründen" nach Chile auszuwandern, zusammen mit dem CSU-Mann Friedrich und dem CDU-Mann Laschet. Ist die CDU in den Augen der Redaktion von Anne Will tatsächlich eine linke Partei?
Stagnation des Diskurses
Seit Wochen blockiert die Gruselfaszination für die AfD die Sendungen, seit Monaten gäbe es wichtigere Themen, die man besprechen könnte - die Gründe etwa für die Kriege, vor denen die Menschen fliehen, das wäre ja mal ein öffentlich-rechtlicher Bildungsauftrag, der vermutlich mehr Verständnis erzeugen würde für die Not der Menschen, die zu uns kommen, als eine weitere Beatrix-von-Storch-Groteske.
In Syrien hungern die Menschen, warum ist das so, und was kann man dagegen tun? Die Türkei baut eine Mauer und verhindert die Flucht der Syrer, ist das gut, oder ist das schlecht, und kann man das bitte auch mal ohne Politiker diskutieren, die das öffentliche Gerede auf eine verfassungsschiefe Weise an sich gerissen haben?
Sie sollen ja "mitwirken" an der politischen Willensbildung, die Parteien, so heißt es im Grundgesetz - es reicht aber nicht, die Willensbildung an sie zu delegieren. Auf fatale Weise haben das die Rechten verstanden, die sich in Foren organisieren, auf der Straße mobilisieren, die als Akt der Willensbildung Häuser anzünden, Journalisten verprügeln, die drohen, hetzen, mordrufen.
Sie haben eine Parallelöffentlichkeit geschaffen, in der sie ihre Wahrheiten und ihre Hetze verbreiten. Sie brauchen im Grunde die mediale Struktur nicht, wie sie außerhalb ihrer Zirkel besteht, sie meinen eh, dass dort alle lügen.
Die Konstruktion der Kommunikation in den Talk-Shows ist damit von Anfang an schief und wird auch nicht weniger schief, wenn man diese Widersprüche einfach ausblendet.
Zu viel Gerede mit denen, die einen abschaffen wollen
Aber was macht eine Demokratie mit denen, die sie mit den Mitteln der Demokratie abschaffen wollen? Reden, reden, reden, wie es die etwas kirchentägliche Antwort der Talk-Shows ist, ein Ersatzparlament aus der Zeit, als Meinungen noch ausgetauscht wurden wie ein Trikot nach dem Fußballspiel?
Das kann es einerseits nicht sein. Und andererseits ist es die einzige Antwort. Die Frage ist nur, ob die Talk-Show dafür immer noch der richtige Ort ist. Und die Frage ist auch, ob man so viel weiter kommt, wenn man vor allem mit denen redet, die einen abschaffen wollen.
Man wird und man muss in einer Demokratie nicht alle erreichen. Man sollte sich lieber darauf konzentrieren, über die Werte und Wichtigkeiten zu sprechen, die im Zentrum der Demokratie stehen. Ohne Hetze, ohne Lügenvorwürfe, ohne Frauke Petry.
Es bringt sonst einfach nichts. Man weiß das vor so einer Sendung, man weiß das während so einer Sendung, man weiß das nach so einer Sendung. Diese Sendungen sind nicht nur Zeitverschwendung, sie sind schädlich, weil sie Demokratie simulieren und das Wesen der Demokratie auf die Fiktion des Konsenses reduzieren.
Es wird keinen Konsens geben
Diesen Konsens wird es mit Feinden der Demokratie wie der AfD nicht geben. Man wird sie nicht überzeugen, man muss sie auch nicht überzeugen. Wir müssen uns mit der AfD "auseinandersetzen", sagen jetzt viele. Das sei so in der Demokratie. Aber was soll das heißen? Wer sich auseinandersetzt, setzt sich ja gerade eben nicht zusammen.
Das Problem bei all dem ist einerseits die immer noch schief staatsidentitäre Arbeitsweise des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, wo sie den Eindruck haben und in vielem tatsächlich auch den Auftrag, alle an einen Tisch zu bekommen, alle ins Gespräch zu bringen. Das ist in manchem eine Selbstaufgabe.
Die Demokratie ist sehr vieles, sie birgt Gerechtigkeit und Menschenrechte für alle, sie ist nicht nur für Deutsche da, sie ist ein System von Helfern und Bürgern und Menschen mit Empathie für andere, sonst funktioniert sie nicht.
Sie ist nicht allein ein System von Wahlen, sie ist vor allem ein System von Werten. Sie ist nicht nur eine Fernsehdebatte. Und das Fernsehen ist auch nicht die Demokratie.