DDR-Fernsehen Schnitzlers Schnitzer

Er war der größte Hetzer, den Honeckers Fernsehen zu bieten hatte: Karl-Eduard von Schnitzler. Wissenschaftler haben den Propagandisten ("Der schwarze Kanal") nun als Fälscher entlarvt.

Selbst im hohen Alter war der gerade gefeuerte Chefpropagandist der DDR über jegliche Kritik erhaben. "Bis zum heutigen Tag", triumphierte der damals 72-jährige Karl-Eduard von Schnitzler 1990 nach über vier Jahrzehnten auf dem Äther, sei es nicht gelungen, "mir nachzuweisen, dass ich jemals etwas aus dem Zusammenhang gerissen oder verfälscht hätte".

Das änderte sich zu seinen Lebzeiten auch nicht mehr. Doch irgendwie hat der adlige Genosse vom "Schwarzen Kanal", der 2001 an einer Lungenentzündung starb, einen so nachhaltigen Eindruck hinterlassen, dass sich Medienwissenschaftler seiner auch posthum annahmen. Und sie wiesen nun nach, was sein teils amüsiertes, teils entgeistertes Publikum in Ost und West schon immer vermutet hatte: Der Agitator mit dem bohrenden Blick war ein besonders dreister Fälscher und ein handwerklich unbegabter Filmemacher dazu.

Die Experten der Universität Leipzig, die das Œuvre des Meister-Hetzers jetzt erstmals umfassend analysiert und bewertet haben, förderten so viele Ungereimtheiten zu Tage, dass sie seine Filme abqualifizierten als "Bau- und Brutstätten sozialistischer Ikonografie". In dem mit dem Nationalpreis zweiter Klasse dekorierten Dokumentarfilm "Du und mancher Kamerad" (1956), für den Schnitzler als Co-Autor fungierte, entdeckten die Leipziger 23 "inszenierte und manipulierte Sequenzen".

Selbst der Führer war in dem 99-Minuten-Streifen vor dem kommunistischen Eiferer, der sein Handwerk in der Kriegsgefangenschaft bei der BBC gelernt hatte, nicht sicher: Schnitzler unterlegte einen Hitler-Stummfilm aus den frühen dreißiger Jahren mit getürkten Tonpassagen, um ihn für seine Propagandazwecke passend zu machen. Das in der DDR hochgelobte Werk - "jede Aufnahme ist ein historisch nachprüfbares Dokument, jede geschichtliche Einzelheit ist auf ihre Richtigkeit hin überprüft" ("Neues Deutschland") - präsentiert für den Medienwissenschaftler Tilo Prase bei genauer Betrachtung "eine durchgehende Kette an manipulierten Bildern". Nur mit "beträchtlicher Gutwilligkeit" könne man den Film des Mannes, der sich selbst gern als Klärwerker des Fernsehens bezeichnete, gerade noch als Dokufiktion durchgehen lassen.

Die Schlüsselszene des Stückes ist eine Hitler-Sequenz, die den Politiker angeblich vor dem Industrieclub im Düsseldorfer Parkhotel zeigt. Darin bietet der spätere Reichskanzler den Industriellen die Eroberung Russlands an - und wird dafür stürmisch gefeiert. Beim Schnitt hat es der im Volksmund "Sudel-Ede" genannte Parteigenosse Schnitzler - "Ich bin ein Politiker, der den Beruf des Journalisten ausübt" - gleich mehrfach nicht so genau genommen mit der goldenen Regel der Dokumentarfilmer, nur die Wahrheit abzulichten.

Das stumme Bildmaterial wird heute zwar als historisch eingestuft, aber nicht als zwingend authentisch für den Auftritt in Düsseldorf. Und der nachsynchronisierte Text ist wild zusammen-geschnitzlert: aus Teilen der überlieferten Industrieclub-Rede und Hitlers Buch "Mein Kampf". Der Plot war für die Genossen zu verführerisch: Hitler als "Handlungsbeauftragter des Monopolkapitals" war von den deutschen Konzernherren aufs Schild gehoben worden. Und deren Erben im damaligen Westen, jene "Bonzen, Gauner und Schlotbarone" (Schnitzler), würden es jederzeit wieder tun.

So fand die gefälschte Sequenz zwischen 1961 und 1989 Einzug in sieben weitere "Dokumentationen"; zwei zusätzliche Lehrfilme überbrachten die Warnung vor der real nicht existierenden Gefahr bis in die letzte Schule auf dem Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik. Da fiel es kaum noch auf, dass auch Kaiser Wilhelm II. in dem angeblich authentischen Machwerk mindestens dreimal nachgespielt wurde und lange vor Erfindung des Tonfilms eine Stimme hatte, KZ-Gefangenentransporte imitiert und selbst Friedrich Engels durch Chargen ersetzt wurde.

Das Handwerk des geläuterten Aristokraten war auch später nicht solider, als der Nachfahr des 99-Tage-Kaisers Friedrich III. in den siebziger Jahren für seine DDR "Zwischen Euphrat, Tigris und Golan" mit einem Kamerateam auf Motivsuche war. Was herauskam, lässt die Leipziger Wissenschaftler noch 30 Jahre später ratlos zurück. Von Moslems, Schiiten und Sunniten war an keiner Stelle des Films die Rede. Ein einziger Gläubiger betete im Wallfahrtsort Kerbela, von ihm schwenkte die Kamera mehrfach auf die goldene Kuppel der Moschee - wo natürlich die rote Fahne wehte. "Oberflächlich im wörtlichen Sinne", sind die Bilder für Tilo Prase. Und schiere Propaganda, weil weder die Kurdenpolitik, noch der Antikommunismus des al-Bakr/Hussein-Regimes thematisiert wurden.

In seinen späten und harmloseren Heimatfilmen zwischen Ostsee und Thüringer Wald war das handwerkliche Niveau des chronisch verbissenen Fernsehmannes, den das Volk auf den Demonstrationen 1989 abwechselnd in den Tagebau oder die Muppet-Show wünschte, noch weiter gesunken. "Der inhaltlichen Abfolge der Reportagen fehlt jede Chronologie", bilanziert Judith Kretzschmar vom Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft. Sie seien sprunghaft in der Erzählung, ermüdend gleichförmig in der Darstellung.

Das spiegelte sich selbst in der geheim gehaltenen Quote des DDR-Fernsehens wider: Im Durchschnitt gerade einmal sieben Prozent der 17 Millionen Ostdeutschen mochten die seichten Filme über das sozialistische Vaterland sehen. Damals war für den gelernten DDR-Bürger die kürzeste Zeiteinheit im Osten ohnehin längst ein "Schnitz". Das war jener Teil einer Sekunde, den man im Wohnzimmer brauchte, um nach Erscheinen des Chefkommentators auf dem Bildschirm den Fernseher auszuschalten. Noch ehe der Name ausgesprochen war, war die Röhre dunkel.

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