Debatte um Berliner Mitte Gebt das Schloss der Wissenschaft!

Was soll ins Berliner Stadtschloss? Der Kulturbeauftragte der Regierung lässt Experten eine Antwort suchen. Eine gute Gelegenheit, der Debatte eine neue Richtung zu geben, meint Christian Schwägerl: Wenn schon der Bau historisierend ausfällt, sollte wenigstens sein Inhalt in die Zukunft weisen.
Modell der Rekonstruktion des Berliner Stadtschlosses nach Plänen von Francesco Stella

Modell der Rekonstruktion des Berliner Stadtschlosses nach Plänen von Francesco Stella

Foto: HANNIBAL HANSCHKE/ REUTERS

Im Zentrum der Berliner Republik tut sich ein Loch auf. Ganz faktisch mit der leeren Fläche im Herzen Berlins - vor allem aber auch kulturell und gedanklich. Seit Jahren wird diskutiert, was mit dem Schlossplatz passieren soll. Trotz Haushaltsnot wird wohl in den kommenden Jahren mit dem Bau des rekonstruierten Schlossgebäudes begonnen werden. Doch was soll das Schloss beherbergen, wenn es fertig ist?

Die bisherigen Vorschläge sind blutarm und phantasielos. Eine Gemäldegalerie! Gibt es nicht schon genügend herausragende Kunstmuseen? Eine aus Dahlem transplantierte Ethnologiesammlung! Ist die Völkerkunde im Südwesten der Stadt nicht bereits wunderbar inszeniert? Es fehlt nur noch die Idee, eine Shoppingmall aufzuziehen, auf dass das Bruttosozialprodukt weiter steige. Der Kulturbeauftragte der Bundesregierung, Bernd Neumann, hat nun eine Arbeitsgruppe mit dem Schweizer Kulturstrategen Martin Heller an der Spitze berufen, um die Idee eines "Humboldt-Forums" weiterzuentwickeln. Doch was sollte das sein?

Es droht die Retro-Erstarrung

Die Stadt hat mehr verdient als einen Bürgertreff im Gedenken an Wilhelm und Alexander von Humboldt. Die Brüder haben das Geistes- und Wissenschaftsleben Berlins vor zwei Jahrhunderten enorm belebt. Das Berlin von heute nimmt es mit historischem Erbe dieser Art aber immer genau falsch herum: Die Stadt hat in großer Zahl Dichter, Denker, Wissenschaftler und Macher hervorgebracht, die das Bestehende ihrer Zeit umstürzten und Neues entwickelten. Doch dem offiziellen Berlin von heute fällt meist nicht das Neue ein, sondern nur, wie dem Alten möglichst schöne Erinnerungsstätten errichtet werden können.

Karl Friedrich Schinkel etwa war zu seiner Zeit ein genialer Revolutionär des Lichts. Seine Bauten sind eine ungeheure Inspiration. 200 Jahre später durfte der langjährige Senatsbaudirektor Hans Stimmann jedoch die Stadt mit seinem Plattenbau-Klassizismus füllen. Er setzte billigen Schinkel-Abklatsch durch, statt im Sinne des Altmeisters neue Revolutionäre des Lichts wirken zu lassen.

Eine ähnliche Retro-Erstarrung droht nun bei der konzeptionellen Gestaltung der Nutzung des künftigen Stadtschlosses. Doch noch ist die Entscheidung offen. In der Frage der Architektur haben sich die Freunde der historisierenden Schloss-Rekonstruktion weitgehend durchgesetzt. Nun aber sollten sie beweisen, dass sie nicht am liebsten in Gewändern des 19. Jahrhunderts durch die Stadt stolzieren würden, sondern einen Sinn für die Zukunft haben.

Berliner Wissenschaftler haben die Welt verändert

Ein Schloss, das diesem Anspruch gerecht würde, könnte dabei durchaus an eine stolze - und leider unterbelichtete - Berliner Geschichte anschließen. In Berlin haben Wissenschaftler das Element Uran und den Planeten Neptun entdeckt. Hier hat Hermann von Helmholtz die Thermodynamik entwickelt, Max Planck die Quantenmechanik begründet und Albert Einstein seine Theorien fortgedacht. Rudolf Virchow fand heraus, dass Lebewesen aus Zellen bestehen, Robert Koch führte den Kampf gegen Infektionskrankheiten an, Konrad Zuse baute den ersten Computer. In Berlin gelang die erste drahtlose Telegrafenübertragung, hier fuhr die erste elektrische Bahn. Flugverkehr, Kernspaltung und Raketentechnik nahmen hier ihren Anfang. Die Liste der wissenschaftlichen Durchbrüche, die das Leben auf der ganzen Welt verändert haben, ließe sich beliebig fortsetzen.

Sogar das alte Schloss selbst diente einst der Wissenschaft, bevor es die DDR-Kommunisten in die Luft sprengten. Von 1922 bis 1945 hatte hier die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft ihren Sitz. Aus der Organisation der deutschen Spitzenforschung wurde 1948, um sich von der Verwicklung in die Verbrechen des Nationalsozialismus zu distanzieren, die Max-Planck-Gesellschaft. Heute ist sie mit mehr als 80 Instituten in Deutschland und anderen Ländern vertreten und zählt zu den führenden Forschungsorganisationen weltweit.

Ein Denkzentrum für den Weltorganismus

Wie wäre es also, wenn man das Stadtschloss nicht als Retro-Kasten, sondern als Zukunftshaus definieren würde? Wenn Berlin dort etwa mit der Max-Planck-Gesellschaft, den Hochschulen und anderen Akteuren ein zukunftsweisendes Forschungsinstitut installieren würde? Ein Denk-, Forschungs- und Entwicklungszentrum, das auf die Probleme dieses Jahrhunderts antwortet und das zugleich das Gegenteil eines Elfenbeinturms ist, nämlich eine bürgeroffene Stätte der Wissenschaft?

Wie wäre es also mit einem "Wissenschaftsschloss", das die Bevölkerung in den Erkenntnisprozess einbezieht?

Der Name Alexander von Humboldt könnte zugleich für den Arbeitsauftrag eines solchen Instituts stehen. Humboldt sprach unter dem Eindruck der natürlichen Vielfalt, die ihn bei seiner Forschung faszinierte, vom "Weltorganismus". Er war einer der ersten modernen Umweltschützer. Der "Weltorganismus" ist im 21. Jahrhundert massiv bedroht. Klimawandel, Artensterben, Überfischung und Wüstenbildung sind die Schlüsselbegriffe einer ökologischen Untergangserwartung, der endlich etwas Positives entgegengesetzt werden muss.

Ein humboldtsches Wissenschaftsschloss sollte also den Lebensgrundlagen der Zukunft dienen. Ökonomen, Psychologen, Ingenieure, Biologen und Ethiker könnten darin einem erneuerten westlichen Lebensstil den Weg bereiten. Sie könnten ersinnen, wie Wohlstand ohne Umweltzerstörung wächst, wie neue Maschinen die Lebensvielfalt bereichern statt mindern, in welche Richtungen die westlichen Konsumgesellschaften reifen müssen. Im Dialog mit der Bevölkerung könnten sie neue Antworten auf die Frage entwickeln, wie sich im 21. und 22. Jahrhundert neun Milliarden Menschen einen ökologisch bereits gestressten Planeten teilen können.

Ein Wissenschaftsschloss wäre eine Neuerung, um die man Berlin im Silicon Valley und anderen Zentren des Wandels sehr schnell beneiden würde. Ein solcher Ansatz gehört deshalb auf den Tisch, wenn Martin Heller sich mit seiner Arbeitsgruppe trifft, um das Innenleben des Schlosses zu entwerfen. Vielleicht würde sich mit einem solchen Projekt auch die jüngere Generation für das Schloss-Projekt erwärmen lassen.

Und vielleicht gäbe es dann endlich ausreichend Geldgeber, um das Loch in der Mitte von Berlin in einen lebendigen Ort zu verwandeln.

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