Debatte um Islamkritiker Im Zweifel für den Populisten

Wer den Abgeordneten Wilders in seinem Büro in der Zweiten Kammer des niederländischen Parlaments in Den Haag besuchen möchte, muss sich viel Zeit nehmen. Nach der normalen Personen- und Taschenkontrolle am Eingang heißt es erst einmal warten, bis ein Mitarbeiter des Abgeordneten kommt und den Besucher identifiziert. Während die meisten Parlamentarier ihre Gäste in der Cafeteria empfangen, verlässt Wilders sein Büro nur, um zum Plenarsaal oder auf die Toilette zu gehen, und auch das immer in Begleitung zweier Bodyguards.
Der Weg zum Büro des Abgeordneten Wilders führt quer durch das Parlamentsgebäude, vorbei an den Büros der anderen Abgeordneten, vorbei an den Räumen der Fraktionen und vorbei an Aktenlagern. Die neun Abgeordneten der niederländischen Partei für die Freiheit, der niederländischen Freiheitspartei, die Wilders vor den Wahlen von 2006 gegründet hat, residieren in einem Seitenflügel des Gebäudes, wie Dienstboten in einem Herrenhaus. Ganz am Ende des Flurs, in einer Art Sackgasse, liegt das Büro von Geert Wilders. Davor sitzen zwei Männer an einem Tisch, die nicht aussehen, als seien sie zu Scherzen aufgelegt. Auch sie kontrollieren die Besucher und deren Taschen.
Die Tür zu Wilders Büro kann nur von innen geöffnet werden. Es ist klein, aufgeräumt und leicht schummerig, weil die Fenster verhängt sind. In dieser Zelle also verbringt der oft als Rechtspopulist bezeichnete Mann, über den sich halb Europa aufregt, seine Arbeitstage, bevor er am Abend das Parlament über einen Nebenausgang verlässt, um mit seinen Leibwächtern an einen geheimen Ort zu fahren, der nur der Staatspolizei bekannt ist. Wilders ist neben der rechten Abgeordneten Rita Verdonk der einzige Abgeordnete des niederländischen Parlaments, der aus Sicherheitsgründen keinen festen Wohnsitz hat, zumindest keinen, der im Handbuch des Parlamentes angegeben wird.
Vergangenen Mittwoch hat er das Parlament sehr früh verlassen, schon um kurz vor 12 Uhr. Er musste nach Amsterdam, wo er einen Termin vor Gericht hat. Denn seit dem 20. Januar muss sich der Abgeordnete Wilders wegen Volksverhetzung und Aufstachelung zum Hass vor Gericht verantworten, das Parlament hat seine Immunität aufgehoben. Schon vor dem ersten Prozesstag haben die Medien ihr Urteil gesprochen: schuldig im Sinne der Anklage.
Wilders verglich den Koran mit Hitlers "Mein Kampf"
"Es ist ein in der Geschichte der niederländischen Demokratie einmaliger Vorgang", sagt Wilders Anwalt, Abraham Moszkowicz. Der ist, ebenso wie sein Mandant, ein Don Quichote im Land der Tulpen und Windmühlen, nicht nur der bekannteste Strafverteidiger zwischen Maastricht und Groningen, ein Spezialist für hoffnungslose Fälle, sondern auch ein Bonvivant mit Vorliebe für teure Anzüge, schnelle Autos und dramatische Auftritte.
Während Wilders, 1963 in Venlo geboren, aus kleinen Verhältnissen kommt, gehört Moszkowicz zur Amsterdamer Society. Seine Kanzlei hat er in einem Haus aus dem 17. Jahrhundert eingerichtet, Herengracht Ecke Nieuwe Spiegelstraat, eine sehr feine Adresse. Gehört das Haus zum Familienbesitz? "Ja", sagt Moszkowicz, "seit ich es gekauft habe." Sein Vater war schon Rechtsanwalt, seine drei Brüder sind es auch. Der Großvater wurde nach Auschwitz deportiert und kam nicht zurück. Der einzige aus der Familie, der das Lager überlebt hat, war sein Sohn Max, der Vater von Abraham Moszkowicz.
Wilders ist der erste Politiker, den er verteidigt. Nicht nur, weil er überzeugt ist, dass jeder Angeklagte, egal was ihm vorgeworfen wird, einen Anspruch auf ein faires Verfahren und einen guten Anwalt hat, sondern weil er um das politische System der Niederlande fürchtet. "Ein Skandal. Dieses Verfahren hätte nie eröffnet werden dürfen. Wenn nicht einmal ein frei gewählter Abgeordneter seine Meinung äußern darf, wer dann?"
Wilders, so steht es in der Anklageschrift, habe eine Gruppe von Menschen diskriminiert, eine Religion beschimpft und zum Hass aufgerufen. Wenn er sich allerdings darauf beschränkt hätte, seine islamkritischen Ansichten im Parlament zu verbreiten, hätte er dies im Schutze seiner Immunität tun dürfen. Weil er es aber auch außerhalb des Hohen Hauses tat, zum Beispiel in einem Brief an die sozialdemokratische Tageszeitung "Volkskrant", in dem er den Koran mit Hitlers "Mein Kampf" verglich, und weil er sich auch sonst keine Zurückhaltung auferlegt, wenn er über den Islam und seine Anhänger redet, wurde er wegen Volksverhetzung angezeigt.
Mörder von Filmemacher van Gogh als Zeugen benannt
Die Staatsanwaltschaft ermittelte monatelang, analysierte Wilders' Auftritte und Reden und schaute sich auch seinen Kurzfilm "Fitna" an, der im wesentlichen aus Koran-Zitaten besteht und aus Bildern von islamistischen Terrorakten.
Am Ende kam die Staatsanwaltschaft zu dem Schluss, dass keine Straftat vorliegt, die Ermittler fanden nicht einmal einen Anfangsverdacht und lehnten die Einleitung eines Verfahrens ab. Worauf die holländischen Menschenrechtler und Vertreter muslimischer Organisationen, die Wilders angezeigt hatten, das übergeordnete Gericht anriefen. "Klageerzwingungsverfahren" nennt man so etwas in Deutschland. Nicht ganz so dramatisch lief es in Berlin, wo auch schon gegen den ehemaligen Finanzsenator Thilo Sarrazin und den Neuköllner Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky wegen abfälliger Bemerkungen über Muslime oder die Unterschicht ermittelt wurde, wenn auch erfolglos. Im erzliberalen Holland wies das Appellationsgericht die Staatsanwaltschaft an, ein Verfahren gegen Wilders zu eröffnen - gegen die Überzeugung der Ankläger, die auch bei der Verhandlung Anfang Februar wort- und lustlos im Gerichtssaal saßen und mit ihren Blicken Löcher in die Luft bohrten, während der Vorsitzende in einem halbstündigen Vortrag fast alle Anträge der Verteidigung ablehnte.
18 Zeugen benannt, die Wilders Sicht bestätigen sollten
Moszkowicz hatte 18 Zeugen benannt, die Wilders Ansicht bestätigen sollten, dass der Islam eine gefährliche, gewaltaffine und intolerante Ideologie ist, die ihre Angehörigen ebenso unterdrückt, wie sie die "Ungläubigen" diskriminiert und verfolgt. Auf der Liste der Zeugen standen Historiker, Islamkundler, Ex-Muslime und Überzeugungstäter wie der Mörder des Filmemachers Theo van Gogh, Mohammed Bouyeri, der auch nach seiner Verurteilung zu "lebenslänglich" keine Spur von Reue zeigt. Bouyeris Aussage, das war die Idee von Wilders und Moszkowicz, sollte den Richtern deutlich machen, dass der Koran, wörtlich genommen, eine "Anleitung zur Gewalt" ist.
Mohammed Bouyeri ist ein in Holland geborener Muslim, seine Eltern kommen aus Marokko. Doch die Richter wollten ihn nicht anhören, wobei man ihnen zugestehen muss, dass sie nicht die Vernehmung eines Mörders scheuten, sondern wohl eher den Krawall vermeiden wollten, der mit seinem Erscheinen vor Gericht verbunden gewesen wäre. Denn nichts wäre dem Gericht peinlicher gewesen als eine Demo der Bouyeri-Freunde vor oder im Gerichtssaal, die ebenso wie ihr Idol überzeugt sind, dass Theo van Gogh durch sein respektloses Verhalten gegenüber dem Islam seine Ermordung selbst verschuldet hat. Und dass Wilders keinen Deut besser ist und die gleiche Strafe verdiene.
Sein Anwalt spricht von einem "politischen Prozess"
Die drei Zeugen der Verteidigung, die das Gericht zugelassen hat, sollen nun nicht in öffentlicher Sitzung sondern von einem Untersuchungsrichter hinter verschlossenen Türen gehört, ihre Aussagen dem Gericht als schriftliche Zusammenfassung vorgelegt werden. Moszkowicz spricht von einem "politischen Prozess", bei dem die Rechte des Angeklagten einer höheren Räson geopfert werden. Tatsächlich könnten sich angereiste Prozess-Besucher fragen: Haben die Holländer noch alle Speichen am Rad? Geht es in dem Verfahren um ein Delikt? Oder um eine Demonstration, dass Holland seine Beziehungen zur islamischen Welt nicht unnötig strapazieren möchte? Wer bedroht wen? Wie viele islamische Hassprediger, die zur Gewalt aufrufen, habt ihr bis jetzt vor Gericht gestellt? Das Verfahren gegen Wilders wird sich eine Weile hinziehen. Ein Jahr oder auch länger.
Wilders sagt, er habe "kein Vertrauen in das Gericht, das an der Wahrheit nicht interessiert" sei. Alles, was er über den Islam und den Koran gesagt habe, sei erstens wahr und zweitens vom Recht auf Meinungsfreiheit gedeckt. Moszkowicz, der Jurist, sieht die Sache etwas anders als sein Mandant. Das Gericht habe nicht über richtig oder falsch, wahr oder unwahr zu entscheiden, sondern allein darüber, ob Wilders gegen irgendein Gesetz verstoßen habe. Und das sei "einfach nicht der Fall".
Über die Behauptung, der Islam sei eine "Religion des Friedens" könne man ebenso geteilter Ansicht sein wie über einen Vergleich des Koran mit "Mein Kampf". "Aber sind die, die sagen, dass der Islam eine Religion des Friedens sei, schon mal vor ein Gericht gestellt worden, obwohl sich jeder Zeitungsleser täglich vom Gegenteil überzeugen kann?", fragt Moszkowicz. Allein die Tatsache, dass Wilders rund um die Uhr bewacht werden muss, während seine Gegner frei agieren können, ohne um ihr Leben fürchten zu müssen, sei schon anschaulich genug. "Nicht die Islamisten leben gefährlich, sondern diejenigen, die sich mit dem friedliebenden Islam anlegen", so der Anwalt.
Notfalls bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte
Sowohl Wilders wie Moszkowicz sagen, sie würden damit rechnen, dass sie den Prozess erst einmal verlieren. Beide sind jedoch fest entschlossen, den Fall bis vor das Oberste Gericht der Niederlande zu bringen und auch vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte als letzte Instanz. Bram Moszkowicz richtet sich auf eine längere Strecke ein.
Dabei liegt die größte Herausforderung noch vor Wilders, es sind die Parlamentswahlen im Mai kommenden Jahres. Nachdem Wilders Partei für die Freiheit bei den Europawahlen 2009 nur einen Sitz weniger errang als die Christdemokraten und damit zur zweitstärksten politischen Kraft in den Niederlanden wurde, hat sie inzwischen noch weiter zugelegt und liegt in den Umfragen auf Platz eins - vor den Christ- und den Sozialdemokraten, die sich in Holland entweder die Macht teilen oder einander abwechseln.
Dennoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass er im Falle eines Wahlsieges den Auftrag zur Regierungsbildung bekäme, mehr als gering. Aber möglich wäre es schon, dass eine der etablierten Parteien mit der Partij voor de Vrijheid koalieren würde. Dann könnte Geert Wilders Innen- oder Justizminister in der Regierung ihrer Majestät werden. Und der erste amtierende Minister, der sich zugleich wegen "Volksverhetzung" vor einem Gericht verantworten müsste.