Debatte um "Tod eines Kritikers" Walser unter Feuer
Frankfurt/Main/Halle - Ohne das Manuskript gelesen zu haben, vermutet Ralph Giordano bei Walser absichtliche Provokation: "Der Mann ist doch nicht ganz normal, dass er sich wieder einen Juden vornimmt. Das erscheint mir nicht als Zufall", sagte Giordano gegenüber dem MDR. Juden zu kritisieren, sei in Deutschland nicht verboten, allerdings komme es darauf an, "wie, mit welcher Motivation." Giordano räumte ein, dass Marcel Reich-Ranicki in seiner Tätigkeit als Literaturkritiker Schicksal gespielt und viele Leute vor den Kopf gestoßen habe, "aber nicht weil er Jude ist, verdammt noch mal, sondern weil Reich-Ranicki so ist wie er ist".
"Das ist schäbig"
Rachegelüste gegenüber Reich-Ranicki wirft auch der Schriftsteller Günter Kunert Walser vor: "Das ist schäbig", sagte Kunert ebenfalls im MDR. "Wenn man schreibt und verrissen wird, hat man eben Pech gehabt, aber ein Charakterzug der Deutschen besteht darin, sich unentwegt als Opfer zu fühlen." Walser persönlich sehe sich dauernd als "Opfer des bösen Juden Reich-Ranicki".
Ebenfalls ohne "Tod eines Kritikers" gelesen zu haben, äußerte sich der Literaturwissenschaftler Walter Jens erstaunt über das Verhalten Walsers und des Suhrkamp Verlags: "Wenn das Buch wirklich antisemitische Töne hat oder so strukturiert ist, wie bisher behauptet wird, und der Hauptheld als Marcel Reich-Ranicki auszumachen ist, dann verstehe ich nicht, wieso Verlag und Autor die Stirn haben können, dieses Buch der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" ("FAZ") anzubieten, zu deren Galionsfiguren seit Jahrzehnten Reich-Ranicki gehört", sagte Jens gegenüber der Deutschen Presse-Agentur. Das sei "absolut unbegreiflich" und ein erstaunlicher Vorgang. "Das kann man doch einer Zeitung nicht antragen, einen ihrer verdienstvollsten Mitarbeiter im eigenen Blatt an den Pranger zu stellen", meinte Jens.
"Literarischer Selbstmord"
Hellmuth Karasek, Literaturkritiker und Mitherausgeber des "Tagesspiegels", bezeichnete Walsers umstrittenes Buch als zum Teil "verstörendes übles Pamphlet". In einem Beitrag für die Freitagausgabe des Berliner Blatts gab er dem "FAZ"-Herausgeber Frank Schirrmacher "in einem wesentlichen Punkt völlig Recht". Das Buch, dessen Vorabdruck die "FAZ" verweigert hatte, sei das "literarische Dokument eines schier übermenschlichen Hasses, der den Autor überwältigt, weil er sich sein Leben lang unter der Fuchtel von Reich-Ranicki sah und scheinbar ohnmächtig mitansehen musste, wie dessen Ruhm durch die verbale Vernichtung Walsers wuchs." Walsers Buch sei "von ungezügelter Mordlust" beherrscht, es handle sich aber doch eher um einen literarischen Selbstmord Walsers. Das Buch sei "thematisch besessen" und "engstirnig".
Der Frankfurter Suhrkamp Verlag teilte am Freitag mit, dass Anfang nächster Woche über das weitere Vorgehen entschieden werden solle. Ursprünglich wollte der Verlag den Walser-Roman Ende August herausbringen, dann gab es Überlegungen das Werk vorzuziehen. Das Berliner Bündnis gegen Antisemitismus und Antizionismus hat den Suhrkamp Verlag unterdessen aufgefordert, das Werk nicht herauszugeben.