Ozean-Ausstellung in Hamburg Blaue Hölle

Das Meer ist nicht nur schön, es wurde auch zu Krieg und Unterdrückung benutzt: Die Ausstellung "Streamlines" in den Hamburger Deichtorhallen zeigt die Ozeane aus völlig unromantischer Perspektive.

Gleich am Eingang ragt das Ungeheuer auf: mächtig, versengt, korrodiert, verstaubt. Aber auch fragil und desolat wie ein krepierendes Urwesen, dessen massiger Leib auf viel zu schwachen Krücken lastet.

Geht man näher ran, gleicht die Skulptur des belgischen Bildhauers Peter Buggenhout mal einem zerschossenen Panzer oder Hubschrauber, mal den Relikten eines Flugzeugcrashs. Immer aber verweist die Arbeit mit dem Titel "The Blind Leading the Blind" auf eine Katastrophe, kündet sie von einem Zustand der Welt, der außer Kontrolle geraten ist und in dem "die Blinden die Blinden führen".

In der Deichtorhallen-Ausstellung "Streamlines" steht das Zivilisationswrack da wie ein Menetekel. Und tatsächlich zeichnet die Schau über die "Stromlinien" des Welthandels und der Migration, die über die Ozeane und Meere ziehen, ein eher düsteres Bild der Welt im Ganzen. Die Arbeiten der 15 zeitgenössischen Künstler erforschen die Spuren des Kolonialismus und des Sklavenhandels, sie beleuchten den Kampf ums Erdöl und die Arbeitsbedingungen auf Containerschiffen.

Zu verdanken ist diese komplexe Ausstellung Koyo Kouoh. Die in Kamerun geborene, international agierende Ausstellungsmacherin leitet im senegalesischen Dakar ein Kunstzentrum. Der Deichtorhallen-Intendant Dirk Luckow hatte die Kuratorin nach einem Treffen am Rande der Venedig-Biennale 2013 eingeladen, eine Ausstellung mit globalem Fokus für die Deichtorhallen zu konzipieren. Kouoh entwickelte darauf ein Projekt, das die Warenzirkulation auf den Ozeanen und das Leben auf dem Meer durch See- und Hafenbilder in der zeitgenössischen Kunst reflektieren sollte.

Wo die Kräne geisterhaft kreisen

Jetzt ist, so Luckow, eine Schau entstanden, "die einen anderen Blick auf das Wasser wirft, die es nicht romantisch verklärt als schöne Unendlichkeit und unendlich Schönes auffasst, sondern als ein Territorium, das von Geschichten und Interessen nicht frei ist."

Thomas Rentmeister etwa hat eine Spur des jahrhundertealten Handels mit Kakao auf dem Boden der Ausstellungshalle ausgelegt: Tausende von Kakaomilch-Packungen bilden einen schön mäandernden Warenstrom, der untergründig an die ausbeuterische Kakaoproduktion erinnert: an den einst mit dem Transport von Rohstoffen verbundenen Sklavenhandel und an die Gewinne, die in Hafen-, Handels- und Produktionsorten wie Hamburg erwirtschaftet wurden.

Die Künstlerin Bouchra Khalili zeigt mit ihrer Videoarbeit den menschenleeren Hamburger Containerhafen, in dem nur Kräne geisterhaft kreisen. Dazu erzählt die Stimme eines philippinischen Seemanns von der eintönigen Arbeit und der Isolation an Bord der Schiffsriesen und dem Gefühl, machtloser Spielball merkantiler Interessen zu sein.

Viele der Arbeiten sind, nachdem die Künstler zu einer ausgiebigen Hafenerkundung nach Hamburg angereist waren, eigens für die Ausstellung produziert worden. Mark Boulos' Videoinstallation "All That is Solid Melts into Air" ist dagegen schon 2008 entstanden, aber immer noch wirkmächtig.

Vor den Küsten Europas ertrunkene Hoffnungen

Sie konfrontiert Bilder von hektischen Erdöl-Termingeschäften an der Chicagoer Börse mit Aufnahmen von den militanten Rebellen, die gegen die Zerstörung und Ausbeutung des Nildeltas durch Ölgesellschaften kämpfen. Der Betrachter (und Erdölkonsument) steht dabei im Sperrfeuer der beiden Filmprojektionen, am Schnittpunkt der entgegengesetzten Interessen der beiden Gruppierungen.

Zum Thema Migration zeigt Kader Attia neben seinen Leuchtkastenfotos von sehnsüchtig gen Europa blickenden Menschen in Algier eine vielleicht etwas zu leichthändig zusammengesammelte Installation von Kleidungsstücken, die wie angelandet aussehen - so als stammten sie von denen, die mit ihren Hoffnungen vor den Küsten Europas ertrunken sind.

Trotz der düsteren Gegenwartsbilder geht es Koyo Kouoh auch um eine potenzielle Wiederaneignung "eines vom Handel extrem definierten Terrains" und um das utopische Potenzial der Weltmeere, wie sie es in dem Buch "Der sechste Kontinent. Geopolitik der Ozeane" des französischen Physikers Pierre Papon beschrieben sieht. "Alle Weltgegenden", so Kouoh, "sind durch das Wasser untrennbar verbunden und die Meere sind ein Niemandsland, das ungeheure Weiten umfasst und alles vermischt, birgt, trägt und durch sich hindurch gegen lässt."

Für diese positive Aufladung steht für sie die Arbeit von Theo Eshetu. Sein Videoessay mischt Bilder von organischen, schwebenden und paradiesischen Unterwasserwelten mit Aufnahmen der mächtig aufstrebenden Bauten der Hamburger Speicherstadt, die für die ökonomische Verwertung der mit dem Meer verbundenen Möglichkeiten steht. Und parallel dazu verwebt die Tonspur den sanft wabernden Gesang buddhistischer Mönche mit den strengen Rhythmen der "Matthäus-Passion".

Kouoh ist mit dieser Schau eine Reflexion über die weltumspannenden Stromlinien von Handel und Häfen gelungen, die zugleich poetisch und politisch daherkommt. Und Hamburg, das sich so gern als offen, als "Tor zur Welt" denkt und dessen Wohlstand auf seinem Hafen gründet, steht es gut an, sich diese kritische Befragung ins Haus zu holen.


Streamlines. Ozeane, Welthandel und Migration. Deichtorhallen Hamburg  , bis 13. März 2016

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