Sibylle Berg

Demokratie in Gefahr Bewegt euch!

Viele Menschen leben gerne in einer Demokratie. Sie sitzen aber nur zu Hause rum, gucken Serien und twittern ab und zu was Kritisches. Ob das reicht?

Die AfD hat alles richtig gemacht. Die Probleme des Moments erkannt. Sich schnell organisiert. Sich noch nicht so zerstritten wie die Piraten nach ihrer Gründung. Die Bewegung nutzt die Mittel der Meinungsfreiheit, um gegen Meinungsfreiheit zu sein, optimal.

Das ist noch nicht die neue gute Nachricht, die ich ab heute teilen möchte, damit wir nicht alle komplett durchdrehen. Sondern: Wir leben noch in einer Demokratie! Wow. Vergessen wir das Klima, das bedrohlicher ist als die albernen Endkämpfe hier unten - vergessen wir die Menschheit.

Das sind viel zu abstrakte Themen, denken wir an uns. Jeder an sich. Das tun all jene, die in AfD und NPD ihre geistige Heimat gefunden haben. Ich wende mich an die anderen. All jene, die gemütlich meckernd in einer modernen, offenen Gesellschaft leben und Politik als Dienstleistung begreifen, die von den anderen geliefert wird. Jeder, der irgendwie zufrieden ist, aber dennoch, zu Recht, viel zu meckern hat.

Wann wird endlich Umweltschutz zu einem der Hauptkampfziele, statt die Wirtschaft mit unseren Geldern weiter zu subventionieren? Wie rüsten sich die da oben eigentlich für die Folgen der Völkerwanderung, wenn sie nichts gegen den Klimawandel tun? Wann wird Kinderbetreuung nicht nur zulasten der Frauen gehen? Sollen sich künftig Rentner umbringen, weil sie von ein paar Hundert Euro nicht überleben können? Wie konnte das mit der Eurozone nur so katastrophal falsch laufen?

Es braucht eine Änderung des Finanzsystems. Zauberformel Bitcoin. Und ein bedingungsloses Grundeinkommen, um gegen den Wegfall von 50 Prozent aller Arbeitsplätze gewappnet zu sein. Was man halt so twittert oder seinem Sofa erzählt. Wenn man nicht Che Guevara ist, Rosa Luxemburg oder Sophie Scholl, dann ist, neben wählen zu gehen, der wirkungsvollste Weg, seine Ideen zu verwirklichen, Teil von einer Bewegung zu werden, die wir meist Partei nennen.

Was habt ihr eigentlich gemacht, als damals die neue Zeit begann?

Entgegen aller Rechtsaußen-Parolen gegen die Eliten, die angeblich die Politik beherrschen, scheinen viele nicht verstanden zu haben: Wir sind die Politik! Demokratie bedeutet, jeder kann an der Gestaltung von Gesetzen und Richtlinien mitarbeiten. Blabla. Es geht sehr einfach. Demonstrationen sind ein netter Weg, seinen Unmut zu bekunden. In Deutschland gingen 1932 einhunderttausend gegen die Politik der NSDAP auf die Straße. Keine Pointe.

Der einzige Weg, der mir einfällt, ist, sich in einer Partei seiner Wahl zu engagieren. Die Themen, die verhandelt werden, dort mitzuprägen. SPD, Grüne, Linke, FDP, whatever, nerven? Ja, vielleicht, aber sie nerven dich, weil dein Nachbar sich dort engagiert, während du Netflix anstarrst. Was habt ihr eigentlich gemacht, als damals die neue Zeit begann? Als die Demokratie beendet wurde? Bevor die Theater geschlossen, die Kunst nicht mehr subventioniert wurde, bevor es akzeptiert war, schwarze Deutsche zusammenzuschlagen, bevor ein Klima der gegenseitigen Bespitzelung und der Angst alltäglich wurde?

Was habt ihr gemacht, fragen junge Menschen in zehn Jahren, wenn sie in einer Diktatur leben, auf einem kollabierenden Planeten. Och, ich hab mich ein bisschen aufgeregt. Das ist kein Spaß mehr. Kein "Och, wird schon werden". Sich an immer unangenehmere Umstände zu gewöhnen, ist keine Qualität der menschlichen Spezies, sondern ihre größte Schwäche.

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