"Der Hässliche"-Uraufführung Krachledern und knallig
Berlin - Herr Lette hat ein ernsthaftes Karriere-Problem: Ihm fehlt jenes Gesicht, dem man mit Freude noch den größten Schwachsinn abkauft. Zwar verdankt die Firma den Hirnwindungen in Lettes unattraktivem Kopf eine neue elektrotechnische Sensation. Aber zur Präsentation des besagten "Starkstromsteckers" will der Chef den Assistenten schicken. Der hat zwar kein Diplom, aber eben auch kein derart geschäftsschädigendes Gesicht.
Da es sich nun aber bei Herrn Lette um einen durchaus erfolgswilligen, lernfähigen Arbeitnehmer handelt, unterzieht er sich kurzerhand einer Schönheitsoperation. Das Resultat: Ein optisches Ereignis, mit dem sich nicht nur der Starkstromsteckerabsatz umgehend verzehnfacht, sondern an dessen Garderobe zudem täglich Dutzende von Frauen Schlange stehen.
An diesem Punkt wird auch klar, warum der junge Mann in Marius von Mayenburgs neuem Stück unbedingt Stecker verkaufen muss und nicht Kühlschränke oder Computersoftware. "Der Hässliche" ist eine Farce, die aus "en detail" in kuscheligen Hotelsuiten vorzuführenden "40-Zentimeter-Steckern" und "kombinierten Stecker-Buchsen-Anwendungen" sattsam schlüpfriges Pointenkapital schlägt.
Von Mayenburg - Hausautor und dramaturg der Berliner Schaubühne - will hier weder den philosophischen Tiefgangspreis gewinnen noch den pädagogischen Zeigefinger schwingen, wie kurz der Weg von der plastischen Chirurgie zur genetischen Manipulation ist. Oder wie der (Selbst-)Vermarktungszwang uns alle unters Attraktivitätsdiktat nötigt und letzten Endes zu komplett entindividualisierten Hohlkörpern macht. Sondern "Der Hässliche" will in erster Linie richtig krachledernes Theater sein: Herzlich willkommen in der Boulevardkomödie am Kurfürstendamm!
Knallende Effekte
Entsprechend werden in Benedict Andrews` Urinszenierung an der Schaubühne mit lautem Knalleffekt Äpfel exekutiert, indem man sie mittels kleiner Schlauchkonstruktionen bis zur Explosion aufbläst. Vom Schnürboden hängen Strippen, auf dass der "Hässliche" (Lars Eidinger) sich angurte, nach seinem Gesichts-, sprich: Ich-Verlust, den vertrauten niederen Boden unter den Füßen verliere und lustig zappelnd durch höhere Sphären schwebe. Und das alte Ego wird in einer Operation weggefräst, -gesägt, -gesaugt und geschmatzt, dass es eine wahre Ohrenweide ist: Der effektsicher mikroverstärkte Eingriff am offenen, vom plastischen Chirurgenteam für die Zuschauer verstellten Gesicht klingt wie die Rodung und anschließende Kleinholzverarbeitung eines Kiefernwäldchens. Der große Clou aber besteht darin, dass der "Hässliche" nach diesem Soundmassaker keinen Deut anders aussieht als vorher: Schönheit und Hässlichkeit so viel Lehrstoff muss dann wohl doch sein sind nicht mehr als diskutable Behauptungen; relative, von außen definierte Größen. Deshalb spielen, vom Hauptakteur abgesehen, auch alle Schauspieler mehrere Rollen und switchen dabei unter ausdrücklichem Verzicht auf Verkleidungs- und Verstellungsmaßnahmen gern von einem Satz auf den nächsten zwischen den Identitäten.
Gute Schauspieler
So weit, so lustig. Das Problem ist nur, dass der Aufführung außer dieser kleinen Nachhilfestunde zur Relativitätstheorie der Schönheit, der Apfelexekution, den Stecker-Buchsen-Kalauern und dem fliegenden Eidinger tatsächlich nichts Nennenswertes einfällt. Und wir zu dem Zeitpunkt, da all dieses Theaterkomödienpulver verschossen ist, leider noch eine geschlagene Stunde vor uns haben. Nebst der gewichtigen Pointe, dass der brachiale plastische Chirurg (André Szymanski) Credo: "Ich bin kein Arzt, ich bin Künstler" seine am "Hässlichen" vollstreckte Schöpfung seriell weitervermarktet: Am Ende begegnet Herr Lette auf Schritt und Tritt seinem eigenen Gesicht, und seiner Frau (Bibiana Beglau) ist es egal, ob sie mit ihm oder mit seinem Assistenten schläft. Auch der hat nämlich inzwischen erfolgreich in die operative Maßnahme investiert: Eine Wendung, die hoffnungslos im immergleichen Obstgequetsche und seilakrobatischen Gezappel verpufft. Zumal die Verabredung, dass jeder sein unverfremdetes Gesicht behält egal, welchen Operationen er sich unterzieht und wen er gerade spielt da längst mehr als ausgereizt ist und gerade an jenem dramaturgischen Knackpunkt, an dem das Lette-Gesicht zur Massenware wird, in durchschlagender Belanglosigkeit versackt.
An den Schauspielern hat es nicht gelegen: Der tollen Bibiana Beglau merkt man zwar was ausdrücklich als Kompliment zu verstehen ist - an, dass ihr nuancenreiche Charakterrollen mehr liegen als bewusst stereotypisierte, gierig an operierten Männerohren schleckende Bedürfnisträgerinnen. Aber sie vollstreckt und das, mit Verlaub, muss man erst mal können - diese Schleckerei ohne Peinlichkeitsanflug. André Szymanski rotzt den Chirurgen-Künstler ebenso wie den Firmenchef mit unterhaltsamer, treffsicherer Beiläufigkeit aus sich heraus. Rafael Stachowiak lässt sich als Assistent ordnungsgemäß an der Nase und als missratener Muttersohn mit Würde von Mami an der Hundeleine herumführen. Und der schöne "Hässliche" Lars Eidinger schwebt sowieso formvollendet über dem Szenario.