
"Reduce/ Reuse/ Recycle": Der deutsche Biennale-Beitrag
Recycling-Architektur Nur wer nicht baut, baut gut
Ich dämme, also spar ich - kaum eine Idee erscheint Häuslebauern überzeugender als der Wintermantel für ihre Immobilie. Da wird Steinwolle auf Fassaden gepackt, als läge Deutschland in Sibirien, nach Erdwärme wird gebohrt wie nach Öl, und die Energieeffizienz wird so optimiert, dass das Haus als Kraftwerk dient. Doch die Ökohäuser sind eine Lebenslüge, die so dick aufgetragen wird wie ihre Dämmschichten.
Davon jedenfalls ist der Architekt Muck Petzet überzeugt, der als Kommissar des deutschen Biennale-Beitrags in Venedig eine widerborstige These aufstellt: Würde man eine Energiebilanz nicht nur für den Betrieb, sondern für den Lebenszyklus eines Gebäudes erstellen, dann sähen Passiv- und Plusenergiehäuser plötzlich alt aus. Denn in einer wahren Öko-Bilanz sind Materialherstellung, Transport von Baustoffen und Montage die entscheidenden Punkte, sagt Petzet.
Das zeigt sich besonders dann, wenn man für einen Neubau ein bestehendes Gebäude abreißt. "Je geringer die Änderung des Ausgangsprodukts und je geringer die eingesetzte Energie, umso besser ist der Prozess", sagt Muck Petzet. Denn nicht nur der Abriss selbst kostet Energie, auch der Bauschutt ist ein gewichtiges Problem. Er macht 23 Prozent des Müllaufkommens in Deutschland aus und, noch dramatischer, 57 Prozent jenes Abfalls, der in keiner Weise wiederverwertbar ist. Bauschutt taugt nur für die Halde.
Thermo-Hanf und Altpapier
Die Lösung dieses Problems kann nach Petzet nur in Bescheidenheit und Wiederverwertung liegen. Der Titel des deutschen Biennale-Beitrags ist dann auch wie ein Aufruf formuliert: "Reduce/Reuse/Recycle". Reduzieren und Wiederverwerten des Bestehenden kommt in dieser Rangfolge sogar noch vor dem Recyceln.
Tatsächlich ist Ausstellungskommissar Petzet mit seiner Einschätzung nicht allein. Erste Beispiele für eine gelungene Wiederverwertung werden gerade sichtbar - auch außerhalb des Pavillons. So hat Christoph Roselius mit seinem Partner Julian Hillenkamp eine Passivhaussiedlung für den Hamburger Stadtteil Sülldorf entworfen.
Sie besteht zum großen Teil aus gebrauchten Materialien. Die Fassade wird aus Ziegeln alter Mecklenburger Scheunen gemauert, dem Kalksandstein dahinter ist zermahlener Bauschutt beigesetzt, die Bodenplatte besteht aus Recycling-Beton, und der Keller ist mit Schaumglasschotter isoliert, einem Material, das aus alten Auto- und Fensterscheiben gewonnen wird. Als Dämmstoff setzen die Architekten Thermo-Hanf und Zellulose aus Altpapier ein. "Nur bei der Dachdeckung stießen wir an Grenzen", sagt Christoph Roselius, "da gibt es kein geeignetes Recycling-Material."
Immerhin, die Ökobilanz der Häuser konnte auf diese Weise nach Angabe der Architekten optimiert werden. "Bei der Dämmung kann man nicht mehr viel herausholen", sagt Roselius, "aber wenn man gebrauchte Ziegel einsetzt, spart man die Energie für den Brand." Doch auch das Recycling ist nur unter bestimmten Bedingungen sinnvoll, es rentiert sich lediglich dann, wenn es in einem Umkreis von 25 Kilometern stattfindet.

Ein Haus aus dem, was schon da ist
Weil das so ist, hat das Architekturbüro in Rotterdam seinen gesamten Entwurfsprozess vom Kopf auf die Füße gestellt. Die Planer schauen zuerst, was sich in der Umgebung des Bauplatzes an Material befindet. Erst danach entwerfen sie das Gebäude - es ist die Umkehrung herkömmlicher Designstrategien. Für ihre Villa Welpeloo in Enschede fanden sie das Holz für die Fassade in alten Kabeltrommeln, den Stahl für die Konstruktion in einer stillgelegten Textilfabrik. Immerhin 60 Prozent der Außenhaut und 90 Prozent des Innenlebens bestehen aus recycelten Materialien - bis hin zu den Küchenschubladen, die aus Metallwerbeschildern gefertigt wurden.
Doch manchem ist selbst diese Vorgehensweise nicht radikal genug. Nur wer gar nicht baut, verbraucht weder Energie noch Ressourcen. Geradezu vorbildlich findet Muck Petzet deshalb seine französischen Kollegen von Lacaton & Vassal, die einmal den Auftrag zur Umgestaltung eines Platzes in Bordeaux so interpretierten, dass er so bleiben konnte, wie er war. Statt Umbau wurden die Mittel nur für die Pflege des Bestehenden eingesetzt.
Derlei Strategien, weiß Petzet, sind auch ein Angriff auf das Selbstbild von Architekten, die sich selbst gern als "autonom schöpferische Lichtgestalt" sähen. Die Arbeit an einem existierenden Gebäude dagegen erfordert Demut. Der Architekt muss sich in Vorhandenes hineindenken und womöglich die Gedanken eines Vorgängers nachvollziehen. Wenn seine Tätigkeit dann auch noch mit Begriffen aus der Abfallwirtschaft belegt wird, wie Petzet es mit dem Titel seines Biennale-Beitrags tut, ist die narzisstische Kränkung perfekt.
Folgerichtig sind Petzets Thesen dennoch. Da das jährliche Neubauvolumen in Deutschland nur ein Prozent aller Gebäude ausmacht, können die Klimaziele besser mit den anderen 99 Prozent erreicht werden. "Es gibt", formuliert Muck Petzet leicht gedrechselt, "bisher keine geeignete Terminologie, um die komplexen Gebilde zu beschreiben, die bei architektonischen Transformationen entstehen."
Will sagen: Ein neuer Baustil, der Umbaustil der Energiewende, sucht noch nach seinem Namen.
Architekturbiennale 2012 . 29. August bis 25. November, Venedig