Deutscher Fernsehpreis Der Knarzknochen war hungrig
So angewidert wie der ARD-Anchorman Tom Buhrow sein Gesicht verzog, hätte man annehmen können, dass er über eine abseitige Sexualpraktik spricht. Doch es ging aus öffentlich-rechtlicher Sicht um etwas viel Verdorbeneres: Werbung. Und zwar zur Primetime und in großen Blöcken. Buhrow, der kleine saubere Mann von den ARD-"Tagesthemen", hatte zuvor vom RTL-Moderator Marco Schreyl unvorbereitet ein Mikro unter die Nase gehalten bekommen und musste nun unfreiwillig zu den Produktinformationen des Konkurrenzsenders überleiten. Ein netter Überraschungscoup.
RTL hat bei der Ausrichtung des diesjährigen Deutschen Fernsehpreises also eigentlich alles richtig gemacht: Statt langweiliger Reden gab es trockene Häme. Für die öffentlich-rechtliche Konkurrenz genauso wie für das eigene Haus. Man kann das natürlich auch so sehen: Wer wenig zu verlieren hat, kann wenig falsch machen.
Denn der variationsarme Pädagogik-, Pyromanie- und Oldie-Pop-Sender selbst ("Die Super-Nanny", "Alarm für Cobra 11", "Die Chart-Show") heimste nur wenige Preise ein. Und einen davon dann auch noch in einer neuen obskuren Kategorie namens "Bester TV-Coach", die man wohl nur eingeführt hatte, um den Gastgeber ein wenig besser aussehen zu lassen. Da waren nämlich lediglich RTL-Ratgeber-Shows, von "Der Restauranttester" bis "Raus aus den Schulden", vertreten. Das Rennen machte schließlich die beliebte "Super-Nanny".
Und dann konnte der Kölner Sender noch in der Rubrik "Beste Informationssendung" abräumen. Aber dass sich "RTL aktuell" ausgerechnet gegen die öffentlich-rechtlichen Nachrichtenbastionen "heute journal" und "Tagesthemen" durchsetzte, war wohl eher ein programmpolitischer Fingerzeig der unabhängigen Jury an die direkte RTL-Konkurrenz Sat.1, wo man erst vor kurzem fast gänzlich die Informationssparte abgebaut hatte: Auch Privatprogramme, so die Botschaft, brauchen hochwertige Nachrichten.
Da kam keine Langeweile auf
Ansonsten ging die ARD als Sieger nach Punkten aus dem Rennen hervor. Deshalb konnte es die schlohweißen Programmgewaltigen, die man zwischen ihre attraktiven Stars platziert hatte, wohl ertragen, Opfer gezielter Attacken zu werden. Immerhin war RTL so frei gewesen, ein paar der populärsten Unterhalter auf die Bühne zu locken.
So sprach Cordula Stratmann, die einen Förderpreis an den tatsächlich sehr talentierten Franz Dinda ("Blackout Die Erinnerung ist tödlich") vergab, den ARD-Programmdirektor Günter Struve auf seinen frühkindlichen Stuhlgang an. Einfaltspinsel Oliver Pocher wirkte wie immer unter Starkstrom gesetzt und lieferte ebenfalls auf Kosten des Ersten Deutschen Fernsehens, wo er demnächst selbst seine Brötchen verdienen wird die unvermeidliche Eva-Herman-Pointe. Und der große Independent-Entertainer Kurt Krömer nutzte die Präsentation der "besten Dokumentation", um sich in Reflexionen auf den obszön späten Sendeplatz seiner Very-late-Night-Show in der ARD zu ergehen.
Da kam bei RTL keine Langeweile auf. In den vielen langen Pausen ging man dann in aller Ruhe aufs Klo und holte sich noch ein weiteres Bier. War man dann zurück vor dem Bildschirm, durfte man sich darüber freuen, dass fast immer genau die richtigen Personen und Produkte mit dem Fernsehpreis geehrt wurden. Kompliment an die Jury.
Aufklärung statt Verklärung
Herrlich zum Beispiel, dass als "bester Film" nicht etwa die zweiteilige Materialschlacht "Die Flucht" (ARD) mit seiner vordemokratischen Adelsverklärung ausgezeichnet wurde, sondern das kleine plietsche Post-68er-Drama "Rose" (ARD). Und begrüßenswert auch, dass sich ein ästhetisch und gesellschaftspolitisch so risikofreudiges Krimi-Projekt wie "KDD Kriminaldauerdienst" (ZDF) als "beste Serie" gegen den "CSI"-Abklatsch "RIS Die Sprache der Toten" durchsetzen konnte. Ebenso erfreulich, dass als bester Regisseur Lars Kraume mit der Trophäe bedacht wurde. Er zeigt in seinem Werk "Guten Morgen, Herr Grothe" (ARD), dass es im Fernsehen durchaus einen unaufgeregten, aber umso tiefer greifenden Umgang mit der hiesigen Bildungsmisere gibt.
Aufklärung und Experimentierfreude schlugen dieses Jahr also Verklärung und Epigonentum. Und gab es dann doch mal eine Trophäenvergabe, über die man sich wundern musste, so rückte das der Ausgezeichnete gleich in seiner Danksagung selbst wieder zurecht.
Dass ausgerechnet Matthias Koeberlin für den 180-Minuten-Trash "Tornado" (Pro Sieben) zum "besten Schauspieler" erhoben wurde, erschien doch arg gewagt. Der Gekrönte, der sonst ein fantastischer Vertreter seiner Zunft ist, im Katastrophenschocker aber einfach nicht gegen die vielen Windmaschinen anzuschreien vermochte, war über die Ehrung dann auch selbst ganz ehrlich erstaunt. Schließlich setzte er sich gegen einen irrwitzigen Ulrich Tukur (nominiert für die ZDF-Tragikomödie "Mein alter Freund Fritz") und einen sich kunstvoll selbstzerfleischenden Friedrich von Thun (nominiert für das ZDF-Sterbedrama "Der falsche Tod") durch. "Jaja, der Jungspund", nuschelte Koeberlin verschmitzt ins Mikro und wusste offensichtlich nicht so recht, ob er sich schämen oder freuen sollte.
Über den Gemütszustand des Götz George, der am Ende für sein Lebenswerk honoriert wurde, konnte an diesem Abend ebenfalls nur spekuliert werden. Da saß er nun, der große alte Knarzknochen des deutschen Fernsehens, lächelte die ganze Zeit versonnen hinter seiner verspiegelten Brille in sich hinein und hielt Händchen mit seiner Lebensgefährtin. Nach dreieinhalb Stunden kam der 69-Jährige dann endlich auf die Bühne, knuddelte von da oben herab verbal ganz sanft und ganz kurz all jene, mit denen er mal zusammengearbeitet hatte, und wollte nun endlich was zu essen kriegen.
Selten hat man eine so reelle Preisverleihung gesehen: Der private Anbieter hat eine wunderbar schleimfreie Show ausgerichtet, in der überwiegend öffentlich-rechtliche Produktionen ausgezeichnet wurden. So unverlogen kann deutsches Fernsehen sein.