
Deutsches Staubarchiv in Köln: Mehr als nur Häufchen
Deutsches Staubarchiv in Köln Gib mir deinen Inhalt, Sauger!
Die Akropolis, das Wahrzeichen Athens - hier ist sie reduziert auf das Wesentliche: Staub. Die Probe, entnommen im Frühjahr 2007, sieht aus wie zwei getrocknete Hasenköttel. Archiviert ist sie im "Deutschen Staubarchiv", erfunden von Wolfgang Stöcker .
Der fast zwei Meter große Staubarchivar mit den blonden Locken, die er zum Zopf trägt, sitzt auf einem roten Sofa und blättert in einem Ordner. "Die Chinesische Mauer ist nur ein kleiner Haufen Dreck", sagt er über Staubprobe Drei. Ein paar Klarsichthüllen weiter, bei Probe Elf, hält er inne: "Das ist der Louvre, ein ganz toller Staub." Die metallicfarbenen Partikel sehen zumindest eleganter aus als die Stäube der Akropolis und der Chinesischen Mauer.
Hier gibt es keine endlosen Gänge, Regale, Akten. Das Staubarchiv von Wolfgang Stöcker ist übersichtlich: Es besteht aus 200 Staubproben aus aller Welt, eingeheftet in zehn Aktenordnern. Die stehen in Stöckers lichtdurchflutetem Loft in Köln, wo er mit Frau und Kind lebt. Der Staub der Welt ist dort auf einem selbstgezimmerten Schreibtischregal zu Hause. Man übersieht es fast, wenn man zur Tür hereinkommt.
"Deutsches Staubarchiv - Dokumentation historischer Stäube" - das ist die Passion von Wolfgang Stöcker. Blödsinn? Der Staubarchivar sagt: "Es ist total spannend, was passiert, wenn man so ein Wort wie 'Deutsches Staubarchiv' in die Welt setzt und dann sehr ernsthaft darüber redet."
Hat Angela Merkel Fußpilz?
Staub, sagt Wolfgang Stöcker, sei ein "Anarcho". Weil er sich überall festsetzt. Diese Neigung teilt der Archivar mit der Substanz, die er archiviert. Auch Stöcker setzt sich gerne fest. Er schreibt mit höchst seriösem Briefkopf Kirchenverwaltungen, Museen oder Politiker an und bittet um eine Staubprobe. "Und dann müssen sich die Leute damit auseinandersetzen, ob sie wollen oder nicht." Der Limburger Dom wollte drei Jahre lang nicht. Nach etlichen Briefen schrieb Stöcker schließlich die Stadt Limburg an - und brachte dadurch eine irre bürokratische Befehlskette in Gang. Staub bekam er keinen, aber eine Antwort vom Dom. Und er hat "Verwaltungsvorgänge okkupiert", wie er sagt.
Weder Altkanzler Schröder noch Ex-Bundespräsident Köhler oder Bundeskanzlerin Merkel mochten der Bitte des Staubarchivars um eine Probe nachkommen. Obwohl Stöcker seinem Anschreiben an die Kanzlerin extra ein antiquarisches Buch über Fette und Öle beigelegt hatte, um die diplomierte Physikerin damit "einzuölen". Politiker seien eben extrem humorlos. "Die schicken nie was", so Stöcker. "Obwohl ich dazu schreibe, dass ich den Staub nicht analysiere. Aber die haben Angst, dass übermorgen in der Bildzeitung etwas steht wie: 'Angela Merkel hat Fußpilz'."
Positive Beispiele gibt es aber auch. So bat ihn der Erfurter Dom, seine Anfrage zu präzisieren: Wolle er den Staub lieber aus dem Seitenschiff oder vom dritten Pfeiler links? Wolfgang Stöcker wollte Staub vom berühmten Einhornaltar, dem "Rolls-Royce unter den gotischen Altären". Den bekam er auch. Stöcker guckt triumphierend und schlägt gemütlich ein Bein über das andere. "Dass Kunst in der Lage ist, Leute dazu zu bewegen, etwas zu tun, was sie sonst nie getan hätten, finde ich sehr faszinierend. Auch dass wir jetzt hier sitzen und darüber sprechen, ist Teil des Staubarchivs, Teil des Projekts."
Ohne Kultur kein Staub. Ohne Staub keine Kultur
Doch so witzig das Deutsche Staubarchiv auch erscheinen mag, hat es durchaus eine ernste Seite. Wissenschaftlich gesehen mag Staub einfach ein Wort für sehr feine Partikel sein, die sich ablagern. Für den Staubarchivar jedoch ist es "vielleicht das einzig wirkliche Kunst- und Kulturprojekt, das wir haben." Stimmt ja irgendwie: Nur Kulturprodukte können verstauben - in der Natur werden die Stäubchen meist verweht, weggeschwemmt oder von Bakterien und Insekten vertilgt.
Ohne Kultur kein Staub. Ohne Staub keine Kultur. Wo immer sich Kultur entwickelt, bildet sich auch Staub - als Kulturabfallprodukt. Und als Indikator für die Wertigkeit der Dinge. "Staub macht einem klar: Wenn ich nicht ständig Kraft und Energie aufwende, bröseln mir die Dinge weg. Die Frage ist: Lohnt sich der Aufwand?" Bei der Akropolis waren sich Menschen über Jahrhunderte einig, dass es sich lohnt. Und Museen geben jeden Tag eine Unmenge Geld aus, um kostbare Gemälde zu entstauben.
Die Idee zum Archiv komme von der Sammelleidenschaft seiner Großmutter, sagt Stöcker. Die hatte eine beeindruckende Sammlung an Kefirbechern. "Ich konnte als kleiner Gnom Pyramiden daraus bauen, die bis unter die Decke gingen", erzählt Stöcker, der in Bergisch Gladbach geboren ist und in Köln Kunst und Geschichte studiert hat. Die Faszination für das Sammeln von Alltagsgegenständen ist geblieben. Nach einer gescheiterten Wassersammlung ("zu aufwändig"), wurde schließlich das Staubarchiv geboren. Am 29. Mai 2004 mit Probe Nummer Eins - natürlich dem Kölner Dom.
Archiviert werden die Staubproben nach drei Kategorien: Erstens Kulturstäube: zum Beispiel Kirchen oder das Wohnhaus von Monet. Zweitens politische Stäube: jedweder Ort politischer Macht. Drittens kulinarische Stäube: Dreck aus berühmten Weinkellern. Die gehören nämlich zu den wenigen Orten, an denen Staub erwünscht ist. Manchmal ist die Kategorisierung aber nicht so leicht. Was zum Beispiel ist die Chinesische Mauer - Kultur oder Politik? Stöcker sieht das pragmatisch: "In China ist alles irgendwie Politik, daher läuft das bei mir unter politischem Staub."
Stöcker hofft darauf, für sein Non-Profit-Projekt bald einen Sponsor aus der "Staub-Branche" zu bekommen, aber das sei noch streng geheim. Seinen Lebensunterhalt verdient er mit Kunstaktionen, er malt, macht Stadtführungen und zeigt Besuchern den Kölner Melatenfriedhof.
Führen Sie ein Staubtagebuch!
Wenn Stöcker nicht selbst Staub wischt oder ihn sich schicken lässt, müssen seine "Staub-Scouts" ran, wie er sie nennt: Menschen, die für ihn auf ihren Reisen Staub sammeln. So kommt eine beachtliche Liste international bedeutender Stäube zusammen: Aus dem Kolosseum in Rom, aus der Verbotenen Stadt in Peking oder aus der Wüstenstadt Petra in Jordanien. Einige Stäube stehen aber noch auf seiner Wunschliste: Das Weiße Haus zum Beispiel antwortet nicht. Und an den Kreml hat er sich noch nicht herangewagt, mangels Russischkenntnissen.
Nach knapp sieben Jahren Deutsches Staubarchiv zieht Wolfgang Stöcker eine positive Bilanz: "Ich nehme mein Projekt heute viel ernster als am Anfang. Das hat auch mit den vielen Kooperationen zu tun, die daraus entstanden sind." Zum Beispiel hat er mit der Uni Köln Staub aus dem Dom analysiert und herausgefunden, dass sich darin auch Partikel aus der Sahara befinden.
Im Frühjahr kommt die BBC mit einem Filmteam zu Besuch. Und 2012 macht Stöcker im Mineralogischen Museum Bonn eine Staub-Ausstellung, in der die besten Proben und kuriosesten Korrespondenzen rund um das Staubarchiv zu sehen sein werden. Dafür sucht der Archivar noch Freiwillige, die bereit sind, ein "Staubtagebuch" zu führen, oder ihm die Staubsaugerbeutel eines ganzen Jahres überlassen. Vielleicht ja Sie, lieber Leser? Dann melden Sie sich hier . Aber vielleicht geht es ja bei Ihnen zu wie im Hause des ehemaligen Bundespräsidenten Horst Köhler? Dessen Sekretär schrieb Stöcker einst zurück, es sei dort so sauber, dass es gar keinen Staub gebe. Kulturbanausen!