Margarete Stokowski

Der wahre Kern der AfD Die Sehnsucht nach einem Führer (m/w)

Seine Partei sei gar nicht radikal, erklärt der AfD-Parteivorsitzende Gauland - und lobt die radikale Parteifreundin Sayn-Wittgenstein, weil sie "die Seele der Partei" angesprochen habe. Klingt wie eine Stellenausschreibung.
Alexander Gauland, Jörg Meuthen

Alexander Gauland, Jörg Meuthen

Foto: STRANGM/EPA-EFE/REX/Shutterstock

Advent kommt von "adventus" und heißt "Ankunft", da stimmt man sich schön auf die Ankunft des Herrn ein, oder auch: des Herrschers , auf jeden Fall erwartet man Großes. Die einen tun dies bei Kerzenschein und Zimtsternen, die anderen unter dem Applaudieren und Grölen von Parteikollegen. So zuletzt bei der AfD, die auf ihrem Parteitag in Hannover Alexander Gauland und Jörg Meuthen als Parteivorsitzende wählte.

Nun heißt es, die Partei sei weiter nach rechts gerückt, was bizarr klingen mag bei einer Partei, die eh schon so weit rechts ist, dass man es dort okay findet, von der Wehrmacht zu schwärmen, auf flüchtende Menschen zu schießen und eine Politikerin in Anatolien zu "entsorgen". Offensichtlich ist es in Deutschland immer möglich, noch "weiter nach rechts" zu rücken, solange man noch nicht dabei erwischt wurde, freudig erregt eine Hitlerbüste abzulecken.

Parteichef Gauland hat allerdings im Interview mit dem Deutschlandfunk einen solchen Noch-mehr-Rechtsruck vehement bestritten . Meuthen und er seien keine Mitglieder des sogenannten Flügels (die Rechtsradikalen unter den Rechten): "Wir sind beide, glaube ich, sehr bürgerlich, sehr gemäßigt und sind überhaupt keine Radikalen." Das "glaube ich" muss man sicherlich ernst nehmen. Man nimmt ihm glatt ab, dass er das glaubt. Und auch sein Co-Vorsitzender Meuthen sagte im ZDF: "Wir stehen in der Mitte der Partei" . Man könnte ihm fast aus schlichter Unaufmerksamkeit Glauben schenken, wenn er mit dem Charisma eines frisch geschiedenen Gebrauchtwagenhändlers erklärt, wie gemäßigt er ist. Die AfD-Spitze erkennt sich nicht als rechtsextrem, aber das würde vielleicht jedem so gehen, der auf so einem Parteitag tagein, tagaus durch dieselbe braune Brühe geschwommen ist: Man riecht das dann nicht mehr.

Der wahre Kern der AfD tritt dennoch deutlich zutage, wenn Gauland im selben Radiointerview von der Rede seiner Parteikollegin Doris von Sayn-Wittgenstein schwärmt: Die schleswig-holsteinische Landeschefin habe "die Seele der Partei" angesprochen. Sie habe "das mit einer Rede getan, die so gut war, dass viele plötzlich jemanden, der völlig unbekannt war, wählen würden." Das habe nichts damit zu tun, dass Sayn-Wittgenstein "radikal" sei, sondern - Achtung, logischer Kniff - ihre Rede sei eben so super gewesen. "Wenn eine Rede so wirklich gut ist, fragen die Menschen nicht, welches Lager ist die, wo kommt die her, sondern sie sagen, die ist gut, die gehört dahin."

Bedürfnis nach rhetorisch geschärftem Nationalismus

Nun ist Sayn-Wittgenstein offensichtlich keine Vertreterin eines wie auch immer "gemäßigten" Teils der Partei. Die Sportschützin und "Rechtsanwältin an der Familienrechtsfront" (Selbstbeschreibung) kam 2016 zur AfD, die ihr zuvor unter Bernd Lucke "nicht vielversprechend" schien, weil nicht "patriotisch" genug. Über die Selbstverortung der AfD sagt sie: "Ich möchte nicht, dass wir in dieser sogenannten Gesellschaft ankommen. Das ist nicht unsere Gesellschaft. Da werden wir ausgegrenzt. Und ich nutze hier diese Bühne heute, anzuprangern, dass ein Mitglied des Bundestages (...) von 15 Antifanten angegriffen und schwer verletzt worden ist."

Den Begriff "Antifanten", den sie so selbstverständlich benutzt, hat sie direkt aus der rechtsextremen Szene übernommen. Zur Frage nach Kulturpolitik fällt ihr als Erstes ein, dass es ja wohl nicht sein könne, dass bestimmte Gruppen "vom Verfassungsschutz beobachtet werden, weil sie vielleicht den Volkstanz üben oder eine besondere Heimatliebe an den Tag legen". Damit bezieht sie sich auf die "Identitäre Bewegung", die allerdings nicht aufgrund mangelnder Tanzkünste beobachtet wird, sondern aufgrund ihres Rechtsextremismus.

Die Sache mit den "Identitären" erklärt Gauland für "völlig harmlos", ein kleines Witzchen nebenbei. Wie könnte er es Sayn-Wittgenstein übelnehmen, deren Rhetorik er doch so schätzt, weil sie "die Seele der Partei" anspreche. Und das kann man dann nicht anders deuten, als dass es in dieser Seele wohl ein Bedürfnis nach rhetorisch geschärftem Nationalismus gibt, der sich längst als nichts anderes mehr tarnen muss. Dieses Lob Gaulands klingt nicht nach gemäßigten Konservativen, das klingt wie eine mündliche Stellenausschreibung für einen neuen Demagogen oder eine Demagogin, der oder die die AfD nach innen eint und nach außen stark wirken lässt. Höcke kann ja gerade nicht. Ach, was wäre jetzt so ein Führer, der nicht gerade ein Parteiausschlussverfahren am Hals hat!

Und da fällt einem doch direkt ein berühmter Deutscher mit österreichischen Wurzeln ein, der an der Kunstakademie seine rhetorischen Fähigkeiten sicher nicht so hätte ausleben können wie in seinem späteren Berufsleben. "Seine Redekunst wurde zum wichtigsten Instrument für seinen Aufstieg und womöglich auch für den seiner Partei", schrieb der Soziologe Norbert Elias mal über Adolf Hitler. Man kann der AfD in vielerlei Hinsicht vorwerfen, nichts aus der Vergangenheit gelernt zu haben. Aber sich von ihren ideellen Vorgängern was abzuschauen, das können sie dann doch.

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