Deutschlandradio kürzt sein Programm "Die Nerven liegen blank"

Deutschlandradio-Turm in Köln
Foto: imago/ Future ImageIm Kölner Haupthaus des Deutschlandradio sitzt Intendant Stefan Raue an einem großen Konferenztisch im siebten Stock und versucht, seine Kürzungen zu erklären. Auch Programmdirektor Andreas-Peter Weber ist über einen Bildschirm aus Berlin zugeschaltet; im Berliner Haus, wo Deutschlandfunk Kultur sitzt, wirken sich die Sparmaßnahmen am drastischsten aus.
Zum ersten Juli wird der "Aktuelle Sport" wochentags ersatzlos gestrichen. Am Samstag soll die Sendung "Schlaglichter ", ein politischer Wochenrückblick von Deutschlandfunk Kultur, mit der aktuellen "Studio 9" zusammengelegt werden. Wochentags wird die Abendausgabe von "Studio 9" zudem künftig nicht mehr von zwei, sondern nur noch von einer Person moderiert werden. Die Kultursendung "Fazit " soll um drei Beiträge pro Woche reduziert werden. Bei den Nachrichtenschichten des Kultursenders prüfe man derzeit, ob jeweils eine Stelle wegfallen könne. Ab 2019 soll das Kinderprogramm Kakadu werktags eingestellt werden.
Raue sagt: Ja, es gebe ein Defizit im Haushalt, und ja, es müsse gespart werden. Aber das sei nichts Neues. Bereits in den vergangenen Jahren habe der Sender das Budget für feste Mitarbeiter um etwa eine Million Euro überschritten. Die Lücke habe man mit Reserven gestopft, die nun aufgebraucht seien, weil der Rundfunkbeitrag schon seit 2009 nicht mehr erhöht wurde.
Die Tarife für freie Mitarbeiter bei öffentlich-rechtlichen Sendern hingegen stiegen kontinuierlich, sodass auch der Sender den Etat für die Gehälter ebenfalls kontinuierlich, wenn auch moderat, erhöhe. Diese Tariferhöhungen kalkuliere die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) nicht ausreichend ein. "Was die KEF an Tarifsteigerungen annimmt, ist chronisch unter dem, was realistisch ist", sagt der Intendant.
Einige Mitarbeiter überzeugt das nicht: "Die Geschäftsführung versteckt sich hinter den Tariferhöhungen", sagt eine freie Mitarbeiterin, "es handelt sich wohl eher um grobe finanzielle Fehlkalkulationen." Ein Redakteur sagt: "Das wird deutlich zu Lasten der Inhalte gehen." Am härtesten, so fürchten viele, wird es die freien Mitarbeiter treffen.
Anfang Mai hatten der Programmdirektor Weber und der Programmleiter Hans-Dieter Heimendahl den Mitarbeitern auf einer Versammlung die finanzielle Lage des Senders als alarmierend geschildert: Die Ausgaben für das Programm des Kultursenders wiesen im ersten Quartal 2018 ein Defizit von 180.000 Euro aus, das "erhebliche Sparanstrengungen ab sofort in allen Programmbereichen" notwendig mache.
Mindestens 145.000 Euro sollen noch 2018 eingespart werden. Der ganze Sender, der aus den drei Sparten Deutschlandfunk, Deutschlandfunk Kultur und Deutschlandfunk Nova besteht, müsse bis zum Jahresende 600.000 Euro sparen, um am Ende der vierjährigen Gebührenperiode auf eine schwarze Null zu kommen.
"Das eine ist eine Programmreform, das andere eine Finanzdebatte"
Aus dem Fenster im siebten Stock des grauen Funkturms sieht man den Dom. Unten, in einem Saal im Erdgeschoss, findet ein Podium statt, auf dem auch der Intendant gerade noch saß und mit Vertretern von Verlagen, Sendern und Medienpolitik über die Zukunft der Öffentlich-Rechtlichen in der digitalen Welt diskutierte. Jetzt sagt er: Die Streichungen im Programm seien keine reinen Sparmaßnahmen, sondern auch Reaktionen auf den digitalen Wandel.
Beim öffentlich-rechtlichen Rundfunkt brüten derzeit alle darüber, wie sich die Digitalisierung bewerkstelligen lässt, während von der Politik Forderungen nach Verschlankungen kommen. Konkret wird aber keiner. Am Dienstag präsentierte die ARD zum Beispiel am Rande einer Intendantentagung nur vage Strategien.
Raue bleibt ebenfalls allgemein: "Radiosender müssen sich verändern, weil sich die Gewohnheiten der Hörer verändern." Die Zeiten, in denen Kinder abends das Radio einschalteten um "Kakadu" zu hören, seien vorbei - der Trend gehe zum Podcast. Bei der Kritik an den Kürzungen würden zwei Debatten vermischt, sagt Raue. "Das eine ist eine Programmreform, das andere eine Finanzdebatte."

Stefan Raue: "Was die KEF annimmt, ist chronisch unter dem, was realistisch ist"
Foto: imago/ Reiner ZensenDie Belegschaft wirft dem Intendanten noch etwas anderes vor: Die Stimmung im Berliner Funkhaus sei "katastrophal", ein Grund dafür: Die schlechte Kommunikation, "ein einziges Desaster", auch verkörpert durch den Programmdirektor Weber, wie mehrere Mitarbeiter berichten. Ihr Gehalt empfinde sie als Schmerzensgeld, sagt eine. Dass die Stimmung in der Hauptstadt "nicht entspannt" ist, räumt Weber, konfrontiert mit den Vorwürfen, ein. "Die äußeren Umstände ändern sich, da müssen wir uns bewegen", sagt er über den Bildschirm am Kölner Konferenztisch, "das führt zu Diskussionen."
Diskussionen, von denen der Personalrat und der Redakteursausschuss vor zwei Wochen ausgeschlossen werden sollten: Mitte Juni hatte der Programmleiter von Deutschlandfunk Kultur, Hans-Dieter Heimendahl, von den Einsparungen betroffene Mitarbeiter eingeladen. Auch Personalrat und Redakteursausschuss waren anwesend. Aber Heimendahl weigerte sich, die Sitzung in ihrer Anwesenheit abzuhalten. Die Personal- und Redakteursvertreter mussten gehen und wandten sich per Brief an Raue: "Bitte beenden Sie das Kommunikationsdesaster und sorgen Sie für Transparenz!"
"Wie viel Geld fehlt insgesamt, wie viel für Honorare und Personal, für Köln und Berlin, für Programm und Verwaltung, für 2018 und 2019?", will der Personalrat in einem im Intranet veröffentlichten Brief vom Intendanten wissen, und "Wie viele Stellen sollen 2018, 2019 und 2020 nicht wieder besetzt werden?"
Aber das kann oder will Raue nicht beantworten, auch nicht beim Interview: "Schließlich streichen wir ja nicht auf einen Schlag soundsoviele Stellen." Man überlege bei jeder Planstelle, die frei werde, ob sie neu besetzt werden müsse. Am Donnerstag ist wieder eine Betriebsversammlung geplant, dieses Mal mit Raue. Bei der Versammlung mit Heimendahl in Berlin hätten tausend Missverständnisse im Raum gestanden, sagt Raue. "Die Nerven liegen blank."