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Berliner Architektur-Schau: Ikonen auf 5,6 Quadratmetern

Foto: BARarchitekten, Berlin

Berliner Architektur-Schau Seegang über Baumwipfeln

Die wahrscheinlich kleinste Galerie Berlins zeigt eine Ausstellung über den großen Architekten Ludwig Leo. Anlass ist die Sanierung seines berühmten Umlauftanks aus rosafarbener Rohrschleife und blauer Rechteck-Laborhalle am Tiergarten.

Praktisch jeder Berliner und zahlreiche Berlin-Besucher kennen das Bauwerk, obwohl es noch nicht mal eine Postkarte davon gibt. Die Rede ist von einer 120 Meter langen rosafarbenen Röhre und einem darauf aufsitzenden himmelblauen Laborhaus, das auf der Schleuseninsel seitlich der Straße des 17. Juni steht und auf dünnen grünen Stützen hoch über die Bäume des Tiergartens ragt.

Ludwig Leo, der vor einem Jahr 88-jährig starb, ist der Architekt des Umlaufkanals der Versuchsanstalt für Wasserbau und Schiffbau der Technischen Universität, wie das spektakuläre rosablaue Gebilde heißt, in dem man den Wasserwiderstand und das Seegangverhalten von Schiffen und Booten in der riesigen Ringrohrleitung wissenschaftlich testete. Geplant wurde die Versuchsanstalt 1967, und der 1974 fertiggestellte Bau wurde bald zu einer Architektur-Ikone der sechziger und siebziger Jahre. Doch seit rund zehn Jahren wird diese Ikone praktisch nicht mehr genutzt, und obwohl das Gebäude unter Denkmalschutz steht, verkam es mehr und mehr.

Große Architektur auf 5,6 Quadratmetern

Jetzt allerdings hat sich die Wüstenrot-Stiftung des Gebäudes angenommen und wird den Umlauftank sanieren. Grund genug für Antje Buchholz, Jack Burnett-Stuart, Michael von Matuschka und Jürgen Patzak-Poor von BARarchitekten und für den Architekturhistoriker Gregor Harbusch, im Rahmen dieser Sanierung das Ausstellungsprojekt "Ludwig Leo - Ausschnitt" auf die Beine zu stellen, und zwar in der genau 5,6 Quadratmeter kleinen Galerie die raum, in einem von BARarchitekten gebauten Haus.

Dort wollen die Kuratoren mit vier ausgewählten Projekten einen "aussagekräftigen Querschnitt" durch Leos Arbeit zeigen. Zwei davon wurden ausgeführt: die Sporthalle Charlottenburg ist ein kompromissloser Sichtbetonbau, bei dem Leo jede Kante, Stufe, und jedes Geländer sowie die Farbigkeit durchdacht und konsequent ausgeführt hat. Wie die Halle und seine Details heute genutzt werden, zeigen Fotografien von der Streetdance-Meisterschaft 2013. Der zweite Bau ist die DLRG-Zentrale am Pichelsee in Spandau, das als anspruchsvollstes Gebäude Leos gilt. Seine schräge, dreieckige Form zeigt seine Funktion als Winterlager für Rettungsboote an, die direkt per Lift in dafür vorgesehene verglaste Lagerräume gezogen werden. Außer Farbdias aus den siebziger Jahren ist ein eigens dafür gedrehter Animationsfilm zu sehen, der die komplizierten Funktionsabläufe vermitteln soll.

Als Tapete an die Wand geklebt ist ein schmaler Ausschnitt aus Leos großer Entwurfszeichnung für die Laborschule Bielefeld zu sehen, der im vergrößerten Maßstab 1:1 das Prinzip der halbgeschossigen Gliederung der Großraumschule erklärt. Und das Modell eines Wohnmoduls für das Landschulheim am Solling zeigt ein Doppelzimmer, für das Leo einen Raum im Studentendorf Eichkamp mit seiner neuen Vorstellung überlagerte und zu einem kompakten zweigeschossigen Wohnraum weiterentwickelte.

Scheuer Mensch und "einziger Architekturmythos der Nachkriegsarchitektur"

Ludwig Leo hätte die kleine Ausstellung sicher gefallen. Denn er, von vielen Kollegen als einer der wichtigsten deutschen Architekten verehrt und vom Architekturkritiker Dieter Hoffmann-Axthelm als der "einzige Architekturmythos der Nachkriegsarchitektur" bezeichnet, war immer ein Verfechter von "Raumökonomie", das bewies er schon mit dem Ausbau seines VW-Busses in ein funktionales fahrendes Mehrbettzimmer mit Küche. Dass er ein "Mythos" ist, das hätte ihm allerdings nicht gefallen. Denn Leo mied die Öffentlichkeit rigoros, er wollte seine Person niemals zum Thema machen, verweigerte Interviews, trat nicht in der Öffentlichkeit auf, arbeitete zurückgezogen - und verblüffte mit jedem seiner neuen Entwürfe. Nur neun Bauten realisierte er in Berlin zwischen 1957 und 1975 - dann gab er seine Karriere als bauender Architekt aus unerklärlichen Gründen auf und lehrte bis 1982 als Professor an der Berliner HdK.

Sozial statt bizarr

Mit Sicherheit hat dieses kompromisslose Ende zu seinem Mythos beigetragen, auch weil er später niemals über sich Auskunft gab, weil es keine Veröffentlichungen über seine Bauten gab, aber berühmte Kollegen wie der Brite Peter Cook ihn bewunderten oder der New Yorker Charles Jencks ihn 1979 in sein berühmtes Buch "Bizarre Architekturen" aufnahm. Ein völliges Missverständnis, denn Leo war ein kompromissloser Verfechter des sozialen Wohnungsbaus, und im Mittelpunkt seiner Entwürfe standen immer die zukünftigen Nutzer der Bauten, sowohl in ihren Bedürfnissen als auch als soziale Akteure.

Das wollen auch die Kuratoren mit ihrer Ausstellung über Leo zeigen, denn BARarchitekten und Harbusch, der gerade über Leo promoviert, waren mit dem scheuen Leo persönlich bekannt. Im Vorwort eines kleinen Katalogs zur Ausstellung schreibt Jack Burnett-Stuart darüber, dass er und seine Kollegen sich mit Leo trafen, um über ein Wohnungsbauprojekt zu diskutierten, an dem sie arbeiteten. Leo sei hochinteressiert gewesen, er habe Fragen über Fragen zu ganz praktischen Nutzungsszenarien gestellt, er habe "mit Selbstverständlichkeit" seine Beobachtungen und Erlebnisse in architektonische Ideen übersetzt, weil er in seine Architektur das "Soziale" statt nur Funktion mit einbeziehen wollte. Und dass er entgegen des allgemeinen Eindrucks keinesfalls isoliert gearbeitet habe, trotz seiner Zurückgezogenheit.

So wird man in Zukunft hoffentlich noch viel mehr über Leo erfahren, nicht nur durch das Interesse der jungen Architekten, sondern auch durch Leos Archiv, das er noch zu Lebzeiten der Akademie der Künste vermacht hat. Denn es besteht aus 4100 Plänen, 3000 Fotografien und viel Archivmaterial, und alles ist noch lange nicht erforscht.


Ludwig Leo - Ausschnitt. Berlin. Galerie die raum,  Oderberger Straße 56. Bis 27.10.

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