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"Die Jüdin von Toledo": Erst Worte, dann der Krieg

Foto: Jörg Brüggemann/ Ostkreuz

Neustart am Schauspielhaus Bochum Die Mauer muss weg

Der neue Intendant Johan Simons inszeniert in Bochum "Die Jüdin von Toledo" als Lehrstück über Toleranz und männliche Kriegslust.

Im Zentrum des Geschehens steht eine riesige weiße Wand. Das heißt, sie steht nicht, sie hängt frei von der Decke, sodass sie sich um die Längsachse drehen lässt. Diese kahle Wand wirkt, als herrsche am Bochumer Schauspielhaus ein Bilderverbot, ganz wie es das muslimisch erzogene Mädchen Raquel im Stück einmal anmahnt, nachdem es verstört von all den Götzenbildern aus einer katholischen Kirche kommt.

Der Mann, der diese weiße Wand ins Zentrum seiner Inszenierung hängt, ist allerdings kein Muslim, sondern durch und durch Protestant, wie er oft betont hat: Es ist der niederländische Regisseur Johan Simons, 72, der mit seiner Inszenierung von "Die Jüdin von Toledo" als neuer Intendant des Schauspielhauses Bochum antritt. Als wollte er noch einmal unterstreichen, was den Protestantismus vom Katholizismus unterscheidet, setzt er ganz und gar auf das Wort an diesem Eröffnungsabend.

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"Die Jüdin von Toledo": Erst Worte, dann der Krieg

Foto: Jörg Brüggemann/ Ostkreuz

Es gibt aber auch eine Menge zu erzählen. Der 1954 erschienene Roman von Lion Feuchtwanger, den Simons und sein Dramaturg Koen Tachelet als Vorlage ihrer Fassung verwenden - es gibt auch ein gut hundert Jahre älteres Drama von Grillparzer zu dem historischen Stoff - hat rund 500 Seiten. Erzählt wird eine Geschichte über religiöse Toleranz und Intoleranz aus dem zwischen Christen und Muslimen umkämpften Spanien des 12. Jahrhunderts - und die komplizierten Wechselbeziehungen zwischen Religion, Politik und Privatem. Die Juden, als dritte Religionsgemeinschaft im Reich, werden von beiden Seiten mal mehr, mal weniger drangsaliert. Das ist auch der Grund, warum der weise Jehuda lange Zeit als Muslim gelebt hat, nun aber, als Berater des toleranten katholischen Königs Alfonso am Hof von Toledo, wagt, sich wieder zum Judentum zu bekennen - und auch seine vom Islam geprägte Tochter Raquel nun eben zur "Jüdin von Toledo" wird.

Bis die Fetzen fliegen

Schon diese Vorgeschichte will erst einmal erzählt werden. Damit das vor der weißen Wand (Bühnenbild: Johannes Schütz) nicht in einen allzu nüchternen Vortrag ausartet, lässt der Regisseur Simons seine Darsteller währenddessen an einem großen schwarzen Tuch zerren, so lange, bis es in Fetzen geht. Spanien liegt in Trümmern.

Das ist ein guter Trick, und Simons, der genug Erfahrung hat mit der Dramatisierung von epischen Stoffen (und oft ihrer Statik erlegen ist), wendet ihn auch im Verlauf des weiteren Abends an: Er hält seine Figuren in Bewegung, um so ein Gegengewicht herzustellen zum Umstand, dass eigentlich immer nur berichtet, nicht gehandelt wird.

Dazu stellt der Regisseur seine zehnköpfige Truppe auf die Drehbühne: Wer gerade spricht, wird nach vorn bewegt und verschwindet danach wieder am Rand oder hinter der weißen Wand, fast wie bei einer Spieluhr. Vor allem der Alfonso-Darsteller Ulvi Erkin Teke erinnert anfangs an eine mechanische Puppe: kein König, sondern ein tumber Junge, der mit schief gestelltem Kopf grimassenhaft lächelt, seine Sätze aufsagt wie auswendig gelernt und von seiner so patenten wie pragmatischen Frau Leonor (Anna Drexler) in ein groteskes schwarzes Reifrock-Kleid gesteckt wird.

Bestürzend aktuell - aber doch deutlich von gestern

Später trägt er Knickerbocker und Bomberjacke zur wilden Haartolle (Kostüme: Greta Goiris) - und führt sich auf wie ein bockiges Kind, für das Krieg nur ein spannendes Abenteuerspiel ist. Auch seine Liebe zu Raquel, die alle Beteiligten ins Verderben stürzen wird, ist eher ein unreifes "Habenwollen" als echte Leidenschaft.

Wie junge Hunde toben Teke und die mit eckigem, eindeutig an der Berliner Volksbühne erlerntem Kratzbürsten-Charme auftrumpfende Raquel-Darstellerin Hanna Hilsdorf über die Bühne. Das ist ein hübscher Kontrast zu ihren wohlgeformten Sätzen ("Du setzt dein Leben für törichte Dinge ein, weil Ritter das nun mal so tun"), die sie dabei in stets forciertem Quietsche-Ton von sich gibt, aber auf Dauer doch ein bisschen eindimensional und nicht besonders glaubwürdig.

Aber um Psychologie geht es ohnehin nicht an diesem Abend. Die Figuren sind im Wesentlichen Funktionsträger - der stets für Frieden plädierende, leicht kauzige Jehuda (Pierre Bokma) etwa hat im weltoffenen, aufgeklärten Musa ein muslimisches Pendant. Der dritte im religionstoleranten Bunde ist der Priester Rodrigue (Michael Lippold), während Guy Clemens den radikalen katholischen Glaubenskrieger Don Martín gibt.

Was sie verhandeln, ist teils bestürzend aktuell: Sind die jüdischen Flüchtlinge, die ins Land drängen, Chance oder Bedrohung? Wie instrumentalisiert man den Antisemitismus für seine politischen Zwecke?. Teils wirkt das aber doch deutlich von gestern: Die Frauen etwa sehnen sich nach Helden, Politik dient ihnen nur dazu, ihre Männer zurückzuerobern.

Ein Ensemble von ansteckender Energie

Mag sein, dass Simons auch deswegen Musa mit einer Frau besetzt hat, um das wieder gutzumachen - der Muslim und Vertraute von Raquel ist die modernste Figur im Stück. Die junge dunkelhäutige Schauspielerin Gina Haller spielt ihn mit wacher Präsenz - eine echte Entdeckung.

Überhaupt steckt das neue Bochumer Ensemble voll ansteckender Energie - und kann das vor allem im zweiten Teil des Abends zeigen. Denn da ist Schluss mit dem Reden, der Krieg beginnt: Zunächst wird die Wand eingeschlagen, die zuvor sowohl Palastmauer, Straßenecke als auch Klagemauer war - kein Akt der Befreiung, sondern der Zerstörung. In den Styropor-Trümmern kämpft dann jeder gegen jeden, dass einem wirklich Angst wird um die Schauspieler - und plötzlich versteht man: Die Kämpfe von Raquel und Alfonso waren nur das Vorgeplänkel für das hier.

Liebe und Krieg, das sind zwei Seiten derselben Medaille. Aber stimmt das wirklich? Egal, für kurze Zeit ist man mitten drin im Geschehen. Für kurze Zeit kann sich das Spiel gegen das intellektuelle Konzept behaupten. Aber nur kurz. Dann folgt ein Fazit, das sich länger hinzieht als nötig. Und als längst alles gesagt ist, gesteht Alfonso dem Geist der toten Raquel, dass er gehandelt habe "wie ein Kind". Das hatte man nun wirklich ausführlich vorgeführt bekommen. Simons bleibt ein Bilderskeptiker. Das Bochumer Publikum dagegen kennt keine Skepsis: Die Zuschauer feiern ihren neuen Intendanten, sein Team und vor allem sein Ensemble mit langem, lauten Applaus.

"Die Jüdin von Toledo". Regie Johan Simons. Schauspielhaus Bochum; nächste Vorstellungen am 3., 4., 7. und 16.11., www.schauspielhausbochum.de 

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