Janko Tietz

Neueigentümer der "Berliner Zeitung" Gestern Star, heute Narr

Die Neueigentümer der "Berliner Zeitung" erleben gerade, wie es ist, sich unvorbereitet in die Öffentlichkeit zu begeben. Es gibt aber Vorwürfe, die sich Silke und Holger Friedrich gefallen lassen müssen.
Holger und Silke Friedrich

Holger und Silke Friedrich

Foto: Britta Pedersen/ DPA

Wenn man dieser Tage bei Twitter die Suchbegriffe "Silke und Holger" eingibt, könnte man meinen, Rezensionen einer Soap-Opera beizuwohnen. "Der Bullshit kommt vor allem von Holger. Silke hat noch eine Chance" steht da. "Würde man nicht alle hypen, die aussehen, als würden sie in Prenzlauer Berg Fahrräder aus Gurkengläsern und Bambus bauen, dann wäre man auch weniger enttäuscht", schreibt jemand anderes. "'Silke und Holger' ist das neue 'Trump und Putin'", so ein weiterer Kommentar.

Das ist alles erschreckend und unterhaltsam zugleich. Aber nur für jene, die gerade nicht den Berliner Verlag mitsamt Druckerei und der "Berliner Zeitung" gekauft haben, beziehungsweise dort arbeiten. Und das sind immerhin rund 400 Menschen. Die standen am Freitag fassungslos in der Redaktion, um sich von ihrem Neueigentümer Holger Friedrich sagen zu lassen, dass er Ende der Achtzigerjahre Mitarbeiter der Stasi war - zeitgleich veröffentlichte die "Welt am Sonntag" eine entsprechende Recherche.

Bestimmte Themen unterliegen einer gewissen Konjunktur, mal steht man im Fokus, mal lässt die Aufmerksamkeit nach. Mal ist man der Star, mal der Narr. Die "Berliner Zeitung" hat diese Dynamik zuletzt im Zeitraffer erlebt. Vom Kölner Verlag DuMont kaputtgespart und runtergewirtschaftet, wurde die Hauptstadtzeitung Ende September an das Unternehmer-Ehepaar Holger und Silke Friedrich verkauft. Erleichterung bei der Belegschaft, spannende Figuren als neue Besitzer, Aufbruch, Neuanfang.

Zwei Monate später - könnte man meinen - dreht sich das Ganze ins Gegenteil: Frust und Schmerz bei der Belegschaft, unbedarfte Figuren als neue Besitzer, Zusammenbruch, Ende. Vorbei, bevor es richtig begonnen hat?

Holger Friedrich gibt an, in einer Zwangssituation gewesen zu sein

Das ist natürlich Unsinn. Denn ob die "Berliner Zeitung" eine Zukunft hat, entscheiden in erster Linie die Leserinnen und Leser und nicht Twitter oder Medienjournalisten. Die Abonnenten und Käufer werden beurteilen, was von der Stellungnahme Friedrichs zu seiner Stasi-Vergangenheit zu halten ist, die er in der "Berliner Zeitung" veröffentlichte. Er gibt an, in einer Zwangssituation gewesen zu sein und wegen eines geplanten Versuchs der Republikflucht sowie einer damit verbundenen Desertation von der NVA verhaftet worden zu sein. Wenn das stimmt, ist zumindest davon auszugehen, dass Friedrich nicht der glühende Anhänger des SED-Regimes gewesen ist, als der er nun dargestellt wird - nicht zuletzt, weil das Paar auch in einem kürzlich erschienen Editorial wohlmeinende Sätze für Egon Krenz übrighatte.

Die Themen Stasi und DDR-Biografien sind viel zu komplex, als dass man reflexartig mit Begriffen wie "Spitzelei" und "Verrat" umherwerfen sollte. Niemand weiß wirklich, was damals vorgefallen ist, außer Friedrich selbst und seine vermeintlichen Opfer, die man erst mal befragen müsste, um zu urteilen. Nicht jeder in der DDR hatte den Mut, sich in einer Notsituation mit dem Regime anzulegen, im Zweifel ins Gefängnis zu gehen, oder das Land zu verlassen. Wie sagte kürzlich die Kanzlerin: Auch im Westen gab es nicht nur "Mutbolzen".

Umso befremdlicher wirkt die Verve, mit der Wohlstandskinder aus Hamburg-Othmarschen, die vor 30 Jahren gerade das Lesen und Schreiben gelernt hatten, sich heute als Hobby-Dissidenten inszenieren und Sprüche raushauen, die "Berliner Zeitung" sei nun wieder fest in Stasi-Hand.

Gelegenheit verpasst, mit seiner Vergangenheit offen umzugehen

Was man Friedrich wirklich vorwerfen kann, ist, dass er so naiv war zu glauben, er müsse seine Biografie nicht selbst erzählen. Noch vor wenigen Tagen ist der Neuverleger zu seiner Zeit kurz vor dem Mauerfall in der DDR von der dpa befragt worden. "Ich war zu dieser Zeit bei der Armee, bin wenige Wochen vorher von der Armee entlassen worden", sagte Friedrich auf die Frage, ob er die Leute verstehen könne, die sich darüber empören, wenn in seinem Editorial von einem Dank an Egon Krenz zu lesen ist. Spätestens da war Gelegenheit, mit seiner Vergangenheit offen umzugehen. Chance verpasst.

Viel bedenklicher als die Geschichten, die 30 Jahre zurückliegen, und bei denen keiner richtig beurteilen kann, wer Opfer und wer Täter war, ist der Umstand, dass die Friedrichs die "Berliner Zeitung" offenbar als Verlautbarungsorgan begreifen. Die lange "Berliner Botschaft" kann man sich ja noch gefallen lassen. Springer-Chef Mathias Döpfner soll mitunter auch schon seine Aufsätze in einer der Springer-Zeitungen gedruckt haben. Kritisch wird es, wenn man sich von seiner eigenen Chefredaktion interviewen lässt und kurz darauf auch noch das dpa-Interview in voller Länge in der eigenen Zeitung veröffentlicht.

Eine Grenze ist jedoch überschritten, wenn man den Fragebogen der "Welt-am-Sonntag"-Kollegen selbst vorab im Original veröffentlicht, wenn in der Zeitung wohlmeinende Artikel über Unternehmen erscheinen und man Leserinnen und Leser im Unklaren darüber lässt, dass der Eigentümer der Zeitung auch Miteigentümer jener Firma ist, über die man gerade ein Jubelporträt liest. Das alles offenbart ein seltsames Verständnis von Journalismus. Das Versprechen der Führung der "Berliner Zeitung" jedenfalls, man stehe "für unabhängigen Journalismus" und werde wie bereits in der Vergangenheit seinen "Beitrag zur Aufarbeitung der DDR-Geschichte leisten", wirkt irgendwie leer, ob der Aktionen der Friedrichs.

Nun steht auch nicht in jedem "Bild"- oder "Welt"-Artikel ein Disclaimer darunter, dass der Springer-Konzern sich beispielsweise 2012 als Großinvestor an Airbnb beteiligt hat, wenn dort über das Internetunternehmen berichtet wird. Und es ist auch ein bisschen bigott, wenn Chefredakteure von Wirtschaftszeitungen bei PR-Awards Lobreden auf Lobbyisten halten, die sie eigentlich aus kritischer Distanz beobachten sollten.

In ihrer Unerfahrenheit mit dem Mediengewerbe sind Silke und Holger Friedrich solche Fehler nun auch passiert. Das sollten sie aber nicht, wenn man großflächig kritisiert, wie verkommen die Branche sei und mit einer Bugwelle verkündet, alles besser machen zu wollen.

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