
Computer-Schrott in Ghana: Giftiges Recycling
Digitalschrott-Fotografie Deutscher Handy-Müll vergiftet Kinder in Ghana
Ein junger Mann lehnt sich auf einen Holzstab, er sieht erschöpft aus, Schweiß rinnt ihm übers Gesicht. Sein Hemd, seine Hose sind schmutzig. Ein anderer schiebt eine Schubkarre vor sich her, eine junge Frau balanciert eine Schüssel auf dem Kopf. Kühe dämmern gelassen zwischen den sanften Hügeln vor sich hin, auch mal ein Schaf. Qualm steigt auf.
Was an bäuerliche Szenen im Morgengrauen erinnert, sind fotografische Momentaufnahmen einer Apokalypse. Statt aus Natur besteht diese Welt nur aus von Menschenhand Gemachtem: Die Deponie Agbogbloshie am Stadtrand von Ghanas Hauptstadt Accra ist Slum und Arbeitsplatz in einem - für Hunderte junger Menschen, die meisten davon sind Waisen.
Doch mit dem Holzstab stochern sie nicht in irgendeinem Müll, sondern zwischen CDs und Harddrives. In der Schubkarre türmen sich Kabelberge, die Gehäuse von PC-Bildschirmen wurden zu Hockern umfunktioniert. Und was da aus dem Erdmüllmatsch ragt, ist keine Knospe, sondern eher die Ecke einer Tastatur.
Diese Porträts, Stillleben, Landschaftsszenen des südafrikanischen Fotografen Pieter Hugo, dokumentieren ein verdrängtes Phänomen unseres Informationszeitalters: Der Export unseres Technoschrotts nach Ghana, Nigeria oder China ist ein fataler "Permanent Error", wie der jüngst erschienene Bildband überschrieben ist.
400 Schiffscontainer im Monat
Der irreparable Systemfehler liegt in den versteckten Bestandteilen unseres digitalen Daseins: Auf der Jagd nach wertvollem Kupfer, Stahl und Aluminium, das die Menschen am Rande Accras aus dem Müll herausbrennen, bekommen sie auch das ganze Blei, Phosphor, Kadmium, Brom und Quecksilber ab, das mit verbaut wurde - Recycling in seiner toxischsten Form. Allein die Liste mit den Abkürzungen des E-Waste, die den Fotos im Buch vorausgeschickt wird, ist drei Seiten lang. Die Menschen leben vom Digitalen, aber ihr Leben ist eine analoge Schufterei, die an die europäische Industrialisierung erinnert.
Der Mitt-Dreißiger Hugo, geboren in Johannesburg, hat die Folgen von Kolonialherrschaft und Apartheid zum Leitfaden seiner Arbeit gemacht, immer den Blick auf das gerichtet, was sonst unbeachtet bliebe. In früheren Serien porträtierte er schwarze Albinos, die oft wie Aussätzige behandelt werden, oder die nigerianischen "Hyena Men", die mit gezähmten Raubtieren durch die Lande ziehen.
Und dann zog es ihn 2009 und 2010 eben nach Ghana, um seine Kamera auf den blinden Fleck der westlichen Zivilisation des 21. Jahrhunderts zu richten. Jene Welt, in der die Halbwertszeit von Gadgets rapide sinkt, die nach dem iPad 2 giert, nach dem neuesten Smartphone, die all ihre klobigen Bildschirme aus Büros und Wohnzimmern entfernt, auf der Jagd nach dem zollstärksten HD-Flatscreen. Laut Unep, dem Umweltschutzprogramm der Vereinten Nationen, produzieren wir mittlerweile 500 Millionen Tonnen dieses E-Waste im Jahr.
Etwa 400 Container davon landen Monat für Monat in den Häfen Ghanas. Die Sticker auf dem Müll zeigten, woher genau der Computer-Schrott kommt: vom britischen Verteidigungsministerium, aus Schulen in Philadelphia, von der US-Armee oder, ausgerechnet, von einer holländischen Umweltschutzbehörde.
In den USA, heißt es, werden 80 Prozent der alten Computer exportiert. In Europa recycelt man etwa ein Viertel aller Elektronikgadgets, wohin der Rest verschwindet, wird verdrängt. Dabei ist es gerade in Zeiten, in denen langwierig über Atommüllendlager diskutiert wird, absolut überfällig, sich einmal klarzumachen, wo unser Techno-Schrott landet, wenn wir ihn wegschmeißen. "Wir müssen kapieren, dass 'weg' ein Ort ist", heißt es im Begleitessay des Bildbands.
Wie dieser Ort namens "weg" aussieht, hat Pieter Hugo uns gezeigt. Gefragt, wie sie den Platz nennen, an dem sie die Bildschirme, Prozessoren, Speicherplatten in höllischen Feuern abfackeln, antworten die Menschen von Agbogbloshie allerdings stets das gleiche: "Für diesen Ort haben wir keinen Namen."