
Deutsches Nationalgericht Donnerstag muss Dönerstag werden


Döner: Ein soooo deutsches Nationalgericht
Foto: iStockphoto/ Getty ImagesDönerbetreiber sind wirklich mutige Menschen. Egal wie abgelegen das Dorf ist, egal wie viele Glatzen rummarschieren, immer findet sich ein tapferer Dönerci, der sich vor Ort niederlässt. National befreite Zone? Ideal für den Dönerabsatz! Deutschland ist flächendeckend von Kebapbuden besiedelt und wäre ohne sie aufgeschmissen. In vielen Gegenden sind sie die einzigen Läden, die nachts noch offen haben und das Volk versorgen. Nichtnüchterne, nichtpazifistische Kunden gehören dabei leider zum Alltag.
Was viele nicht wissen: Die Geschichte der deutschen Einheit und des türkischen Drehbratens sind eng miteinander verwoben. Viele Ostdeutsche verbinden den Mauerfall mit dem Geschmack von Döner . Mit ihrem Begrüßungsgeld in Westberlin stellten sie sich erst mal beim Türken an und verfielen der Klappstulle mit Knoblauchsoße hoffnungslos. Die Imbissbetreiber sahen die langen Schlangen und erkannten: Auch der Ossi liebt Döner. Also machten sich viele nach der Wende auf, um den Bosporus-Burger auch im deutschen Morgenland zu verkaufen. Egal ob Cottbus, Chemnitz oder Hoyerswerda - die türkischen und kurdischen Pioniere leisteten jahrelang wichtige Integrationsarbeit.
Den anatolischen "Goldrausch im Osten" beschreibt der Journalist und Soziologe Eberhard Seidel in seinem Buch "Aufgespießt. Wie der Döner über die Deutschen kam". Seidel ist vermutlich der größte Döner-Experte der Bundesrepublik. Und weil der Drehspieß immer noch so beliebt ist , sein Buch aber von 1996 und vergriffen, arbeitet er gerade an einer Neuauflage.
Nach dem Terroranschlag vor einer Woche in Halle schrieb Seidel auf Facebook Folgendes:
"Der Angriff auf den Döner-Laden in Halle war natürlich ebenso wenig Zufall wie der Angriff auf die Synagoge. Der Kampf der Neonazis um eine Homogenisierung der Esskultur in Ostdeutschland dauert seit 1990 an. Es gibt ein dreißigjähriges Kontinuum von Gewalt mit weit mehr als 1.000 Angriffen gegen Einrichtungen der ethnischen Gastronomie [...]."
Laut Seidel ist diese Zahl eine "konservative Schätzung". Da es keine offiziellen Angaben gibt, hat er Fälle addiert und hochgerechnet. In Wirklichkeit sei die Zahl vermutlich viel höher, vor allem, wenn man die Übergriffe im Westen mitzählt und "Harmloseres" wie Hakenkreuz-Schmierereien. Aber auch ohne amtliche Statistik wissen anatolische Imbissbetreiber um die Gefahr ihrer Arbeit. Woher nehmen sie bloß den Mut, in abgelegenen Orten Kebap zu verkaufen?
Vermutlich verlassen sie sich auf einen unausgesprochenen Kodex zwischen Döner-Dealern und Neonazis: Letztere hassen zwar Türken, lieben aber - wie alle Deutschen - Döner. Sie wissen: Wer Kebap will, muss McMustafa am Leben lassen. Das Dilemma am Nazi-Döner-Kodex ist, dass sich viele Möchtegern-Arier für ihren Verrat schämen, während sie die orientalische Verführung schlemmen. Weil sie insgeheim fürchten, dass der Imbissbetreiber ein Vorbote der Umvolkung ist: Erst kommt einer, der Fleisch vom Spieß säbelt, dann kommen Tausende mit Säbeln und rücken nicht nur der Bratwurst auf die Pelle.
So gesehen ist der Döner ein Lackmustest der deutschen Demokratie. Wer ihn isst, ohne sich zu schämen oder um sich zu ballern, ist angekommen in der Moderne. Für Nazis aber ist der anatolische Spießbraten eine ständige Gefahr. Er gleicht einem multikulturellen Sirenengesang, der den teutonischen Gaumen vom rechten Weg abbringt.
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08.06.2023 01.07 Uhr
Keine Gewähr
Deswegen randalieren die Freizeitfaschos manchmal doch an der Kebapbude, Kodex hin oder her. Als Volksdeutsche, die sich gegen die ethnische Auslöschung der eigenen Rasse "wehren" (aus Sicht der Nazis läuft ja alles unter Selbstschutz), ballerten auch die NSU-Mörder mindestens zwei Mal in Imbissbuden . Ihr Nagelbomben-Anschlag in der Kölner Keupstraße wurde später im Bekennervideo kommentiert mit "Heute Aktion Dönerspieß".
Kommen wir also zu den Vorfällen in Halle. Das zweite Angriffsziel des bewaffneten Attentäters, der eigentlich in eine Synagoge stürmen wollte, war kein Zufall. Er wollte - wenn schon keine Juden - dann wenigstens Kanaken abknallen, übrigens nicht als Erster dieses Jahr. Als er den Imbiss sieht, sagt er laut Kameraaufzeichnung: "Döner, nehm wa." Wer aber in eine Dönerbude stürmt, um Kanaken zu terrorisieren, hat eine Sache nicht kapiert: Da sitzen meist gar keine Anatolier. Da essen Deutsche. Wie der arme Bauarbeiter, der ermordet wurde.
Zur Heimatkunde:
"Döner Kebap" ist türkisch und heißt so viel wie "drehender Spießbraten". So wie wir ihn kennen - mit Grünzeug, Kraut und rotweißen Soßen - wurde er in den Siebzigerjahren in Berlin erfunden. Echte Türken essen den Spießbraten ganz anders . Döner ist also ein deutsches Nationalgericht. In Anbetracht des enormen Kebapkonsums - zwei Millionen pro Tag, trotz etlicher Fleischskandale - kann man sogar sagen: Er ist ein Stück deutsche Leitkultur. Auch die Bundesregierung sieht das so und wirbt in ihrer neuen Einheitskampagne "Das ist sooo deutsch" mit einem Dönermotiv . Natürlich regen sich Rechte im Netz schon fleißig darüber auf.
Letzte Woche hat Bundesinnenminister Horst Seehofer erklärt, dass er jüdische Einrichtungen künftig stärker überwachen lassen will. Das ist in Anbetracht des wachsenden Antisemitismus und als Antwort auf den Terroranschlag von Halle absolut richtig. Aber wo bleiben die Sicherheitsvorkehrungen für Moscheen und Dönerbuden? Sollen sie weiterhin leichte Angriffsziele bleiben?
Damit Döneressen künftig nicht zur Mutprobe wird, schlage ich Folgendes vor: Bis die Bundesregierung einen umfassenden Masterplan gegen Rechtsextremismus vorlegt, könnten wir einen neuen Protest-Tag in der Woche einführen. Da Montag und Freitag schon vergeben sind, plädiere ich für Donnerstag, den Dönerstag für Diversität. Einmal die Woche sollen alle Menschen, die für eine offene Gesellschaft sind, symbolisch einen Döner essen. Wer auf Fleisch verzichtet, nimmt Dürüm mit Feta oder gebratenes Gemüse. Natürlich gelten auch Falafel, Schawarma und Gyros. Es geht ja ums Symbol.