Dopingdiskussion bei "Hart aber fair" Kann denn Siegen Sünde sein?

Volkssport Doping: Schüler schlucken Psychopharmaka, Werber koksen, und für den Sex gibt's Viagra - Frank Plasberg und seine Studiogäste zeigten das ganze Spektrum einer Gesellschaft, die inhaliert und einwirft, was das Zeug hält. Radikal vor allem die Einsicht: Leistung allein kann Glück auslösen.
Von Reinhard Mohr

Schon zum Ende des 20. Jahrhunderts hat der Kabarettist und Philosoph Matthias Beltz die Sache - zugegeben etwas drastisch - auf den Punkt gebracht: "The heart full of hope, the ass full of dope!" So ist der Mensch seit jeher. Ob Kautabak oder Absinth, ob Rheinwein wie bei Goethe oder hektoliterweise Kaffee wie bei Balzac, ob Opium, Koks oder Gauloises, lüttje Lage, großer Krisenstab oder Whiskey on the Rocks – alles, was stimuliert, beruhigt, stärkt, hart macht und von der eigenen, allzumenschlichen Schwäche ablenkt, wird eingepfiffen, inhaliert, geträufelt, geschnupft, geschüttet und gerüttelt. Die einzige Frage war und ist: Gibt es eine Grenze des Erlaubten? Und: Wo genau verläuft sie? Mehr noch: Muss Doping wirklich sein?

Unter dem Motto "Erster sein ist alles – die gedopte Gesellschaft" verlangte Frank Plasberg bei "Hart aber fair" (ARD) am Mittwochabend gleich einen virtuellen Urintest von den Studiogästen, stieß damit bei dem Kabarettisten und Sportmoderator Werner Schneyder zunächst aber auf Gummi. Nein, im Fernsehstudio sei gewiss kaum jemand gedopt. Andererseits: "Viagra ist ja auch Doping." Wenn man will: unfairer Wettbewerb im Bett.

Dass Doping, die biochemische Stimulation zu höherer Leistung, längst zum gesellschaftlichen Massensport geworden ist, demonstrierte Plasberg, selbst ein Hochleistungsträger der Mediengesellschaft, anhand eines roten T-Shirts mit der Aufschrift "Abi 2020". Will sagen: Schon bei der Einschulung wird den Kleinen per "Braindoping" Beine, pardon: Leistungsdruck gemacht. Wenn es sein muss, mit Psychopharmaka. Um das Hundertfache ist deren Verbrauch bei Schülern innerhalb der vergangenen zehn Jahre gestiegen, und selbst in den Opern- und Konzertsaal haben die Betablocker Einzug gehalten – ein wahrer Walkürenritt auf Droge.

Koksende Werber und arbeitssüchtige Chefs

Wie von selbst war so das Metathema gesetzt: Leistung und Leistungsdruck. Auch hier fragt sich: Muss das sein? Und: Wo sind die Grenzen? Einer aus der Runde, der ehemalige Werbemanager Siegfried Lüer, hat sie schmerzhaft gespürt. Um den immer höheren Anforderungen im Job gerecht zu werden, nahm er regelmäßig Koks, dazu trank er. "Keiner hat’s gemerkt", berichtete er. Außer ihm selbst. Irgendwann war Ende der Fahnenstange. Nun ist er in einer beruflichen Reha-Maßnahme.

Ganz anders der alerte Vattenfall-Manager Stephan Biesenbach, den einige Fernsehzuschauer schon einmal gesehen haben dürften. Im vergangenen Jahr stand er im Mittelpunkt einer WDR-Dokumentation aus der Reihe "Menschen hautnah", die eindrucksvoll zeigte, wie das Familienleben eines internationalen Top-Managers mit 70-Stunden-Woche aussieht, der zwischen europäischen Metropolen pendelt und noch Freitagabends zu Hause im Arbeitskeller seine E-Mails checkt. Die Ehefrau, Mutter zweier Kinder, hatte sich ihr schönes Leben zwischen Garage, Einbauküche und Terrasse im Grünen offenkundig anders vorgestellt.

Inzwischen aber, so gab Biesenbach zu Protokoll, habe er sich gebessert, "signifikante Zeitanteile verschoben" – zugunsten der Familie. Die Phase der professionellen Selbstkritik und des mentalen In-sich-Gehens muss aber eher kurz und kursorisch gewesen sein, denn Biesenbach beharrte darauf, dass ihm seine Arbeit Spaß bereite: "Ich mache das gerne." Immerhin mal einer, der sich nicht beschwert.

Und tatsächlich, dass Leistung und berufliche Anstrengung Glück, Zufriedenheit und ein positives Selbstwertgefühl hervorbringen können, ist eine Wahrheit, die zur Sache gehört und vielen gar nicht mehr in den Sinn kommt: erfüllte, kreative Arbeit als geistig-moralisches Eigendoping.

Doch bot Biesenbach zugleich das Anschauungsmaterial für den scharfen Widerspruch, der bis in die Aporie führen kann: Während er sich offenbar im Beruf selbst verwirklicht, individuelle Sinnstiftung und Karriere al gusto verbindet, leidet die private Sphäre unter lebensweltlicher wie emotionaler Auszehrung.

Unablässige Selbstfindung als Karriereideal

Ob das alles eine Frage der exakt austarierten "Zielsetzung" ist, wie der Manager suggerierte? Denn der Kampf geht zugleich ja immer darum: Wer setzt die Ziele, wer setzt die Prioritäten? Und warum eigentlich? Werner Schneyder, der noch mindestens ein halbes Dutzend andere Berufe ausfüllt, darunter den des Übersetzers und Opernlibrettisten, hat da seine ganz eigene Philosophie: Er macht einfach, was er will, von gelegentlichen Ausrutschern abgesehen (die immerhin schönes Geld einbringen).

"Unabhängigkeit" lautet sein Karriereideal, das allerdings einen kleinen Makel hat: Es gilt nur für privilegierte Leistungsträger, für jene Ich-AGs de luxe, an deren Spitze etwa Hape Kerkeling und Harald Schmidt der unablässigen Selbstfindung nachgehen. Da gehört die Einjahrespause, das finanziell abgefederte "Downshiften" genauso wie das gepflegte Pilgern zu sich selbst zum selbstverständlichen autobiografischen Wellness-Programm. Man gönnt sich ja sonst nichts.

Die neuen Aussteiger bereiten auf diese Weise nur die nächste Phase des Aufstiegs vor, der ihren Marktwert noch weiter steigert. Glückliche Menschen, die dem Kommunismus - "Jeder nach seinen Bedürfnissen" - schon recht nahe kommen. Von diesem Elysium ist der im Einspielfilm porträtierte Sternekoch mit Stresssyndrom, der sich selbst zum Inhaber einer Frittenbude in Wattenscheid downgeshiftet hat, noch ein Stück entfernt.

Doping für alle?

Werner Schneyders höchstpersönliches Erfolgs-Doping dagegen besteht nur in den leicht schmerzenden Fingerkuppen beim kreativen Hauen in die Tastatur. Für den Rest der Welt hat er freilich nur harte Worte übrig: "Irrsinn", "blanker Irrsinn", "widerwärtig". Mit Sport habe diese olympische "Riesenindustrie" zum Beispiel doch gar nichts mehr zu tun, polterte er und warb für eine fast neoliberale Selbstreinigung der Marktkräfte durch die Freigabe des Doping. Motto: Soll doch jeder erwachsene Spitzensportler selbst entscheiden, was er seinem Körper antut. Dann wird man schon sehen. Wahlweise empfahl er, beim 400-Meter-Lauf die Zeitmessung einfach mal wegzulassen.

Den Gordischen Knoten derart, zwischen vormoderner Naivität und neumodischer Hauruckmethode, zu zerschlagen – das gefiel der Autorin, Dopingkritikerin und früheren DDR-Leichtathletin Ines Geipel überhaupt nicht. Dopingmittel wie das berüchtigte Epo seien stark krebserregend, und wer wollte wohl die Grenze ziehen zwischen jugendlichen Sportlern, die geschützt werden müssten, und älteren, denen man ein zynisches "Dann siegt mal schön!" zurufen könnte, während ihre Leberwerte explodieren? Ausgerechnet der größte und kräftigste Mann im Raum, der Diskuswerfer Lars Riedel, hielt sich bei alldem eher zurück. Wenn er gefragt wurde, bekannte er ein ums andere Mal, nie gedopt zu haben – auch nicht zu DDR-Zeiten. Ein Hintertürchen hielt er sich freilich offen: Was ihm möglicherweise in der Kindheit eingeträufelt worden sein könnte, wisse er nicht.

Am Ende wusste auch der Fernsehzuschauer nicht so recht, was er von dem Doping-Potpourri halten sollte, das hier und da zur "Märchenstunde" (Geipel) wurde. Festen Boden unter den Füßen hatten sie wieder nach den "Tagesthemen", als bei "Waldi & Harry" die deutschen Goldmedaillengewinner gefeiert wurden – die Fechterin Britta Heidemann und die Reiterstaffel im Vielseitigkeitswettbewerb. Im Nu war die Fundamentalkritik der Leistungsgesellschaft vergessen. Die La-Ola-Welle schwappte durchs Studio, es wurde gesungen und getanzt.

Hart aber wahr: So sehen Sieger aus.

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