Multimedia-Star Aitken Der Mann, der die Zeit einfängt
Eine Frau ohne Geschichte. Sie sitzt vor dem Laptop in einem billigen Motelzimmer, sie steht auf einem einsamen Flughafen, über dem sich rostgelbe Staubwolken als apokalyptisches Unheil zusammenbrauen. Die Geschichtslosigkeit in Doug Aitkens Installation "Black Mirror" ist umfassend: Auf drei Bildschirmen gibt die Schauspielerin und Indie-Ikone Chloë Sevigny eine digitale Drifterin, auf den Spiegelwänden in dem fensterlosen Raum sind die immer gleichen Szenen von Entzwurzelung und Vereinsamung zu sehen.
"Never stagnate, never stop", sagt Sevigny, ihr Blick im Ungefähren, zwischen Bedürftigkeit und Kälte. "Exchange, connect and move on." Das rhythmische Klirren des Schlüsselbunds in ihrer Hand gibt nur formal eine Ordnung vor. Denn in Aitkens Szenen der verschachtelten Rastlosigkeit ist längt nichts mehr da, das noch zu ordnen wäre, weil als Lebensgefühl der permanente Transit regiert.
In den USA ist Doug Aitken ein Star der Kunstszene, arbeitete neben Sevigny etwa schon mit Björk, Beck und Tilda Swinton zusammen, stellte im MoMa aus. Nun soll der 47-jährige Kalifornier auch in Europa bekannter werden: Nächste Woche kommt sein experimenteller Dokumentarfilm "Station to Station" in die deutschen Kinos, eine Reise durch die Kunstszene Amerikas - dem Projekt ist noch bis zum 27. Juli eine große Ausstellung im Londoner Barbican Centre gewidmet. Zudem hat die Schirn in Frankfurt dem Künstler 1400 Quadratmeter freigeräumt, ihre gesamte Ausstellungsfläche.
Aitken bewegt sich frei in allen möglichen Disziplinen. Er arbeitet mit Skulpturen und mit Fotografie, setzt Installationen aus Film und Lichtkästen zusammen, organisiert Performances. Ein Thema aber eint alle seine Arbeiten: die Faszination am Rastlosen. In den besten Momenten funktionieren seine Werke als düsterer Kommentar auf eine Gesellschaft, die sich durch eine Beschleunigung aller Lebensbereiche selbst abhandengekommen ist.
In der Schirn zeigt Aitken neben den Sevigny-Episoden etwa "Song 1": Szenen über entwurzelte Großstädter, die kaum mehr einen Blick miteinander austauschen, nur noch auf der Tonebene durch ein gemeinsames Lied geeint sind. Sie werden auf eine zylinderförmige Leinwand projiziert, die den Betrachter fast komplett umgibt. So bekommt dieser nach einigen Minuten das unheimliche Gefühl, aus einer linearen Zeiterzählung auszusteigen.
"Ich will Momente erschaffen, die ganz losgelöst sind davon, an welchem Punkt wir uns in der Geschichte tatsächlich befinden", sagt Aitken. Für einen 47-jährigen Mann, der sich nur für das Jetzt interessiert, sieht er nach erstaunlich viel Geschichte aus, in blauem Hemd und Turnschuhen attraktiv zerknittert, ein bisschen wie eine Mischung aus einem Popmusiker, der in die Jahre gekommen ist, und einem Kennedy-Sohn.
"Die absolute Gegenwart ist das, was ich am meisten schätze." Selbst an diesem Morgen, seine Ausstellung in Frankfurt ist zum ersten Mal begehbar, vergräbt er sich noch mit dem Laptop zwischen grünen Schaumstoffdreiecken im Kinderbereich der Schirn. Vielleicht aus Nervosität, vielleicht aus rastlosem Arbeitswillen, man würde es ihm zutrauen.
"Ich denke an das nächste Projekt", sagt er, höflich, trotzdem wird man danach das Gefühl nicht los, dass man ihn mit dem Gespräch stört, weil es ihn zum Innehalten zwingt. Ja, die Schau sei eine große Herausforderung gewesen, weil er in die Vergangenheit schauen musste. "Ich habe mich aber daran gewöhnt, weil ich meine Arbeiten als Notizen begriffen habe, aus denen eine neue Komposition entsteht."
Und die düsteren Untertöne, die Einsamkeit, die Zivilisationskritik? Was macht ihm am meisten Angst, wenn er auf die US-amerikanische Gesellschaft blickt? Die Frage sei zu weit, sagt er. "Mich interessiert, wie sich die Dinge weiterentwickeln."
Aitken bleibt bei der Faszination des Moments. Manchmal klingt er dabei wie die Voice-over-Stimme aus einem besonders menschelnden iPhone-Werbespot. "Wir leben in einer Gesellschaft, die so sehr an die Vergangenheit geknüpft ist und immer überlegt, was in der Zukunft passieren könnte. Die reine Gegenwart ist selten geworden."
Auch in seinem Werk gibt es manchmal Objekte, bei denen dieses Gegenwartsmantra so sehr dominiert, dass der ästhetische Genuss jedes kritische Innehalten ausschaltet. Dann wird man als Betrachter unsicher, weil etwas verwischt bei Aitken. Arbeitet sich hier einer ab? Oder ist er selbst nur Symptom einer haltungslosen Beschleunigung?
Für seine erste Videoinstallation "Diamond Sea" etwa, die 1999 auf der Biennale in Venedig ausgezeichnet wurde und auch in der aktuellen Ausstellung der Schirn gezeigt wird, bereiste Aitken ein verwaistes Wüstengebiet in Namibia. Nachdem hier Anfang des 20. Jahrhunderts deutsche Kolonialherren auf Diamanten stießen, wurde die Gegend systematisch ausgebeutet, danach zum Sperrgebiet erklärt.
Aitken filmte Geisterstädte, in denen der Sand durch die Dächer läuft und rostige Bettgestelle verwittern, mit einer flüchtigen, ungeschliffenen Rauheit. Er enthob die ehemaligen Diamantengruben durch diese Ästhetisierung aber auch des Orts und der Geschichte. Es entsteht der Eindruck eines Niemandslands, das überall sein könnte.
Doug Aitkens Arbeiten werden vom 9. Juli bis 27. September in der Frankfurter Schirn-Kunsthalle ausgestellt.