Dr. Mitte Chaostage in Berlin

Nach monatelangem Hickhack um die Berliner Techno-Umzüge Love Parade, Fuckparade und Carneval Erotica ist die Verwirrung komplett. Wer tanzt überhaupt, wann, wo und warum, fragen sich viele Raver und Zuschauer.
Von Jürgen Laarmann

Zu "zivilem Ungehorsam" haben die Veranstalter der Fuckparade aufgerufen. Mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die Veranstaltung nicht als Demonstration anzuerkennen, sind sie nicht einverstanden. Sie veranstalten daher am 14. Juli eine "Demo für das Demonstrationsrecht". Damit die Party nicht zu einem Schweigemarsch verkommt, überträgt der öffentlich-rechtliche Sender Fritz die Musik der DJs, die eigentlich bei der Fuckparade auflegen sollten. Die Demo-Teilnehmer sind aufgefordert, Ghettoblaster und Radios mitzubringen. Kenner der Szene erwarten zudem, dass einige - der zum Teil seit Monaten präparierten - Sound-Trucks trotzdem versuchen werden, in die Nähe der Demo zu fahren.

Beim Carneval Erotica, dem einzigen als Versammlung genehmigten Techno-Umzug, lädt der Verein zur Förderung Hedonistischer Lebenskultur ebenfalls am Samstag auf den Kurfürstendamm. Dort wollen, so erwarten die Veranstalter, rund 5000 Feiernde für mehr sexuelle Freizügigkeit demonstrieren. Dass der "Carneval Erotica" genehmigt wurde, ist kein Zufall. Die Veranstalter arbeiteten schon im Vorfeld eng mit den Behörden zusammen und modifizierten ihr Konzept fortlaufend, um alle Bedingungen zu erfüllen. In der Praxis mündete dies in einer Vereinbarung, dass nur die Hälfte der Wagen Beschallungsanlagen haben, auf denen anderen dürfen Ansprachen und "Performances" stattfinden.

Da sich die politischen Forderungen der Hedonisten weitgehend mit denen der Fuckparade decken, erscheint die Reduzierung der Wagen mit Beschallung als Kriterium für eine Genehmigung des "Carneval Erotica" und eine Nicht-Genehmigung der Fuckparade fragwürdig. Trotzdem ist davon auszugehen, dass sich Anhänger der Fuckparade nach ihrer "Demo für das Demonstrationsrecht" der zwei Stunden später stattfindenden "Schnacksel-Demo" anschließen werden. Ausgang ungewiss.

Eine Eskalation droht auch im Tiergarten. Dort findet die Demo der Tiergartenschützer statt. Die Umweltschützer hatten den ursprünglichen Love-Parade-Termin scheitern lassen, weil sie ihre Gegendemonstration früher angemeldet hatten. Im Internet hatten Love-Parade-Anhänger daraufhin dazu aufgerufen, diese Demo zu unterwandern und trotzdem zu "feiern", nun könnten frustrierte Fuckparade-Anhänger hinzustoßen. Die Tiergartenschützer sind aber ohnehin schon demotiviert, da ihre Veranstaltung de facto zwecklos ist. Denn schon am nächsten Wochenende werden die Love-Parade-Teilnehmer den Park mit Tonnen von Müll und Kubiklitern von Urin in eine stinkende Kloake verwandeln.

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