Dramatiker Heiner Müller Worte als Waffen

Von Normen, Bonzen und Brigaden: Zwei Berliner Bühnen entdecken Heiner Müllers frühe Lehrstücke wieder. Was kann uns der große Ostdramatiker heute noch vermitteln? Vorhang auf für das Revival der Ideologiekritik.

"Solange Heiner Müller Lehrstücke schrieb, war er seinem Range nach mindestens ein Oberlehrer." So urteilte der große deutsche Theaterkritiker (West) Georg Hensel (1923–1996) über die frühen Stücke des großen deutschen Dramatikers (Ost) Heiner Müller (1929–1995). Ein zweifelhaftes Kompliment.

Dennoch werden zwei dieser Werke jetzt anlässlich ihres 50. Geburtstags wieder hervorgeholt: Am 2. September 1958 kamen im Berliner Maxim Gorki Theater sowohl "Der Lohndrücker" als auch "Die Korrektur" zur Uraufführung.

Das Gorki Theater selbst nimmt den Jahrestag zum Anlass, "Die Korrektur" in einer von Armin Petras eingerichteten szenischen Lesung zu präsentieren. Das Stück, das Heiner Müller zusammen mit seiner ersten Frau Inge schrieb, beschäftigt sich mit dem Bau des Gaskombinats "Schwarze Pumpe" in Hoyerswerda Mitte der fünfziger Jahre.

Die erste Hörspielfassung des Werks wurde von der Rundfunkbehörde abgelehnt, "Die Korrektur" vom September '58 ist also schon eine Korrektur der "Korrektur". Es geht um eine Brigade, in der geschummelt wird, um die Norm wenigstens auf dem Papier zu erfüllen. Der neue Leiter der Brigade will das nicht mitmachen und überzeugt nach harten Kämpfen alle. Der böse Bube im Kollektiv ist natürlich ein ehemaliger Nazi.

Ist das heute noch relevant oder nur unter historischen Gesichtspunkten interessant? Um solche und ähnliche Fragen wird wohl die an die Lesung anschließende Diskussion kreisen. Das Gorki Theater hat unter dem Stichwort "Korrekturen 2008" außerdem zwei zeitgenössische Autoren Felicia Zeller und Thomas Freyer mit Stücken beauftragt, die möglichst von Müllers Stück inspiriert sein sollen. Uraufführung soll im Januar nächsten Jahres sein, zu Müllers 80. Geburtstag.

Zufall oder nicht, auch die neue Produktion von Kerstin Lenhart (Regie) und Michael Böhler (Bühne) in den Sophiensälen beschäftigt sich mit Heiner Müller als Lehrstückschreiber: Die beiden bringen am 5. September "Der Lohndrücker" heraus.

Das Stück ist zeitlich vor der "Korrektur" angesiedelt, es geht aber um ähnliche Dinge: In einem volkseigenen Betrieb müssen die Arbeiter lernen, solidarisch zu sein; auch hier muss ein böser Demagoge mit SA-Vergangenheit besiegt werden - natürlich nur mit Argumenten: "Schlagt euch nicht die Schädel ein, zerbrecht euch lieber den Kopf!"


Die Korrektur. Lesung und Diskussion am 2.9. im Maxim Gorki Theater , Berlin, Tel. 030/20 22 11 15 ; Der Lohndrücker. Premiere am 5.9. in den Sophiensälen , Berlin, Tel. 030/283 52 66.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten