
"Dreigroschenoper" in Hamburg: Brecht auf der Bühne
"Dreigroschenoper"-Premiere am Thalia Theater Pferd muss man haben!
Der Autor war anwesend, buchstäblich. Und er zeigte sich gleich zu Beginn dieser "Dreigroschenoper" im Hamburger Thalia Theater auf der Bühne. Wie Jörg Pohl den Londoner Bettlerkönig und Elendsunternehmer Jonathan Jeremiah Peachum gab, das war Brecht pur, auch visuell. Im blauen Arbeiter-Outfit, mit Brecht-Brille und obligater Zigarre ließ er keinen Zweifel daran, dass es heute Abend nicht allein um die Geschichte des Mackie Messer, Missetaten und Verrat ging, sondern ums Ganze. Mensch und Politik, analysiert mit den Mitteln des epischen Theaters. Und dessen Prinzipien wurden gleich mal erklärt, auf leerer Bühne, denn die Imagination des Zuschauers fordert der Autor, nicht die Illusion des bürgerlichen Theaters. Dazu viel Zigarrenrauch, die Sprache im süffig persiflierten Brecht-Original-Sound, mit einem Schuss Reich-Ranicki. Was zunächst wie ein müder Gag wirkte, entpuppte sich im Laufe des Abends als tragfähiger roter Faden, denn der abenteuerlustige Jung-Regisseur Antú Romero Nunes konnte auf einige Aktivposten zählen. Um im Comedy-Jive zu bleiben: Viel Rauch um Einiges.
Verblüffung über Brecht-Kostüme
Denn es wurde viel geraucht. Schließlich trat fast das ganze Thalia Ensemble im Brecht-Kostüm auf. Die Feuertaufe der ersten Viertelstunde hatte die Inszenierung damit bestanden, denn die Verblüffung des Publikums ob der Brecht-Parade wandelte sich bald in wohlige Lacher. Die doppelbödige Inszenierung gewann schnell an Fahrt. Der zunächst oberlehrerhaft anmutenden Erklärbär-Haltung nahm Nunes durch den Sprach-Gestus und die komödiantische Kompetenz der Akteure die pädagogische Spitze - und erklärte eben doch das Theater.
Peachums Gattin Celia,von Viktoria Trauttmansdorff als weibliches Brecht-Double fast mit Überpräsenz ausgespielt, kam minutenflink auf Betriebstemperatur, ebenso wie der jugendliche Mackie Messer, den Sven Schelker (gab schon ein Gastspiel in "Homeland") als muskulösen Proll-Macho mit weichem Kern entwickelte. Zigarre im Anschlag.
Mit fast rührender Trotzköpfigkeit verweigerte Regisseur Nunes jedwede wohlfeile Aktualisierung der betagten "Dreigroschenoper", was sich aber die Spieldauer von immerhin satten drei Stunden als vorteilhaft erwies. In seinem Konzept geht es eh um den Überbau - in Gesellschaft und Politik wie in der Kunst. Keine Frage, dass die von Peachum ausgestattenen Londoner Bettler zuweilen ballettös und clownesk agierten, das menschliche Elend karikierten, um das wirkliche Elend des Kapitalismus zu entlarven. Man lacht als Zuschauer, aber man lacht mit Niveau. Womit man schon wieder in eine dieser vielen kleinen Nunes-Fallen getappt ist.
Der Text ist der Star
Denn das gehört zu den Wundern dieser Inszenierung: Durch die dauernde Ansprache im Volkshochschul-Teil der Aktion darf man die Kulinarik des Theaters genießen, bekommt aber anschließend die Absolution der Distanz gleich zurück. Sicher im Sinne Brechts, dessen Texte bei aller teilweisen Klamaukigkeit der Darstellung stets der Star bleiben. Wenn Franziska Hartmann als Spelunken-Jenny ihre traurigen und bösen Lieder singt, wenn Anna-Maria Torkel als Lucy Brown ihren Opernsopran von der Leine lässt, schmilzt man dahin. Dass allerdings ausgerechnet der Jenny/"Seeräuber-Song" nur angespielt wurde, verwirrt. Selbigem Stück widmet das Programmheft einen dreiseitigen, grandiosen Text von Bob Dylan (aus seinen "Chronicles"). Schwer verständlich. Achja, und man warte nicht auf den "Haifisch", der bekanntlich Zähne hat: gestrichen. Was soll's, man kann sich denken, wie der geklungen hätte. Imagination!
Überragende Bühnen-Band
Dafür fügte der Regisseur das bewegende Brecht-Gedicht "An die Nachgeborenen" ein, welches dann doch noch für ein paar giftige Tropfen beklemmender Aktualität sorgte: "Das arglose Wort ist töricht...Was sind das für Zeiten, wo ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist, weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschliesst". Sogar für Selbstkritik war noch Platz: Chapeau!
Und immer setzte die Musik in Erstaunen: Was das achtköpfige Ensemble (überragende Leitung: Schlagzeugerin Carolina Bigge), ungünstig ganz hinten auf der Bühne platziert, an präzisen Akzenten, perfekt ausbalanciertem Klang und virtuosen Einzelleistungen (tolle Trompete: Anita Wälti) aufbot, war für die Schausspieler mehr als nur Begleitung. Aber auch Stützkorsett für die Inszenierung. Antú Romero Nunes lässt seine Produktionen gern mal gegen Schluss chaotisch ausmäandern, was bei der "Dreigroschenoper" fatal gewesen wäre. Denn die Geschichte braucht ja die ironische Schlusspointe.
Letzliche siegt die Ironie
Selbst mit der spielt Nunes noch einmal didaktisch herum und lässt Paul Schröder, der den Filch und Smith aus der Gangster/Bettler-Brigade spielt, einen rasenden Exkurs zum Thema Leben, Schein und Sein abspulen, dass man für eine Sekunde befürchtet, der Schelm Nunes habe auch noch das Happy End gestrichen. Natürlich nicht: Der ""Reitende Bote" kommt auf auf einem veritablen Apfelschimmel ins Bühnenrund geritten, dreht ein paar brave Runden, holt sich den Publikumsjubel ab und entschwindet im Triumph. Pferd muss man haben. Gut, dass keine Kulissen herumstanden, aber die hatte man - Imagination! - inzwischen auch nicht mehr vermisst.
Dass Nunes nun mit einem märchenhaft verklärten Schlussbild die Wandlung der Verbrecher und Korrupten zu guten Bürgern in pastellhaften Zuckerkostümen übergeigt, passt dann auch schon wieder. Letztlich siegt die Ironie, aber das ist eben auch Brecht pur. Kein Erbe wird da ein Haar in der deftigen Suppe finden.
Natürlich gab es rauschende Applaus für alle, und Brecht wird die Thalia-Hütte auf absehbare Zeit mal wieder füllen. Wenn man sie so ernst nimmt, kann man die "Dreigroschenoper" heute also doch noch spielen.
"Dreigroschenoper" am Hamburger Thalia-Theater. Vorstellungen unter anderen am 16., 24., und 25. September, Start jeweils um 20 Uhr.
Tickets und weitere Termine unter www.thalia-theater.de .