"Ein Traumspiel" im Technoclub Nummernrevue im Darkroom

Eher Wachkoma als "Traumspiel": Barrie Kosky brachte Strindbergs kompliziertes Drama im angesagten Berliner Technoclub Berghain auf die Bühne - ein Coup, zu dem ihm nicht viel einfiel. Stattdessen mäanderte die Inszenierung zäh durch die Industrieruine.
Von Christine Wahl

Strindberg im Darkroom: Daran, dass die jüngste Premiere des Deutschen Theaters Berlin vorab auf diese pseudoknackige Formel gebracht worden war, trägt der Regisseur Barrie Kosky keine Schuld. Selbst wenn er in Interviews bereitwillig seine Freude darüber kundtat, dass sich erstmals in seinem Berufsleben die Chance zur klangvollen Regieanweisung "Alle Schauspieler bitte zurück in den Darkroom" eröffnete.

Denn bei der Suche nach einem Asyl für die Strindberg-Produktion des Deutschen Theaters, das wegen Asbestfunden länger als geplant saniert wird, kam der Interimsintendant Oliver Reese (beziehungsweise, wie man hört, eher seine Teenager-Tochter) auf den angesagtesten Technoklub der Hauptstadt, das Berghain: Strindbergs "Traumspiel" rollt in dieser Industrieruine auf einem Szenario mit Betonsäulen ab, in dem bei Normalbetrieb auch Sexparties gefeiert werden und das die Darsteller eben durch einen Darkroom erreichen.

Leider ist zu konstatieren, dass der Veranstaltungsort auch nach der Vorstellung das spektakulärste Element an dieser Produktion bleibt. Das Theatervolk, das sich größtenteils zum ersten Mal in den Technoschuppen verirrte, hatte in Ermangelung theaterbrisanten Gesprächsstoffs allen Grund, schnell zu Spekulationen über die performativen Qualitäten des Party-Normalbetriebs überzugehen.

Das ein Jahr nach Sigmund Freuds "Traumdeutung" entstandene "Traumspiel" ist ein ziemlich kompliziertes Stück, ein Mekka für theaterwissenschaftliche Relevanztheoretiker. Es versucht – wie der Autor in seiner Vorbemerkung vorsichtshalber noch mal erklärt – "die unzusammenhängende, aber scheinbar logische Form des Traumes nachzubilden". Entsprechend krude geht es in der Passionsgeschichte der Göttertochter Agnes, die zwecks Erkundung der Menschen zur Erde herabsteigt, dann auch zu.

Das himmlische Kind treibt sich an so bizarren Schauplätzen wie dem "Strand der Schande" herum und trifft auf illustres Personal wie den "Quarantänemeister" oder die "hässliche Edith", die mutlos vorm Ballsaal hockt, weil sie ihre Marktchancen trotz Traumlogik ziemlich real einschätzt. So gesehen ist es keine große Überraschung, wenn Agnes in jeder Szene mehrfach zur Erkenntnis gelangt, wie "schad" es um die Spezies sei.

Und außerdem kann man aus dem "Traumspiel" lernen, dass Göttertöchter mit selbstlos-karitativer Ader offenbar äußerst anfällig für schlechten Männergeschmack sind: Nicht nur, dass Agnes sich ausdauernd die Verbalergüsse des Offiziers (Horst Lebinsky) anhört, der erst jahrlang auf seine Angebetete wartet, irgendwann plötzlich promoviert und hinterher als Fall für die Pisa-Kommission wiederkehrt, der im Grundschulunterricht am Einmaleins scheitert. Agnes ehelicht auch einen an schwerem Ordnungszwang laborierenden Advokaten, dem man den Korinthenkacker schon zehn Meter gegen den Wind anhören kann.

Schale Witze mit Fatsuits

Wenn man dieses Stück inszeniert, das locker zwischen Schauplätzen springt und auch verbal der bedeutungsschweren Sinnfreiheit der REM-Phase folgt, muss man eine zwingende Idee haben. Und genau dieser Eindruck vermittelt sich beim australischen Sprech- und Musiktheaterregisseur Kosky, der sich zuletzt vorwiegend auf die Oper verlegt hat und ab 2012 die Intendanz der Berliner Komischen Oper übernehmen wird, leider nicht.

Zumindest, was die Schauspielebene betrifft. Zwar hat Kosky mit dem Engagement des auf Barockmusik spezialisierten Vocalconsort Berlin sowie einem musikalischen Crossover vom elisabethanischen Komponisten John Dowland über Puccini und Mozart bis zum Musicalkomponisten Harry Revel zunächst eine sehr verheißungsvolle klangliche Ebene geschaffen, der man sich in dieser maximal kontrastierenden Industrieruine gern überlässt.

Aber für die Schauspieler scheinen ihm – mit Verlaub – tatsächlich nicht wesentlich mehr Regieanweisungen eingefallen zu sein als "zurück in den Darkroom". Sie wirken jedenfalls derart allein gelassen, dass hier jeder seine Nummer nach eigenständig entwickelter Gangart durchzuziehen scheint. Dass das auf einem akzeptablen Niveau stattfindet, dürfte Kosky allein dem Glücksumstand zu verdanken haben, am amtierenden "Theater des Jahres" auf gute Schauspieler zurückgreifen zu können. Aber von Regiekonzept kann bei dieser Nummernrevue, die trotz sechzigprozentiger Kürzung des Textes zweieinhalb Stunden lang zäh über die leere Betonsäulenbühne mäandert, keine Rede sein: Mit vergoldeten Fatsuits, abgenudelten veralberten Tutu-Nummern und ägyptischen Masken ist nun beim besten Willen keiner mehr hinter dem Ofen hervorzulocken.

So sind die Freuden, von der Musik abgesehen, rar und kostbar: Wenn in Minute 100 Lotte Ohm und Matthias Bundschuh ihr Duett aus Mozarts "Don Giovanni" mit einer gewagten akrobatischen Hebefigur unterlegen, in deren Verlauf der spießige Herr horizontal auf den Damenfüßen in der Luft liegt, freut sich das Publikum aus lauter Erleichterung fast wie über den Witz des Jahrhunderts. Subtileren Grund zur Freude liefert immer wieder Sven Lehmann, der als Advokat zwischen hinterhältiger Kumpelhaftigkeit, Pedanten-Parodie und Leck-mich-Kälte bei jedem Auftritt recht einsam ein bisschen Leben in die Technobude bringt.

Und Ernst Stötzner sorgt mit seinem tänzelnden Revel-Solo "Did you ever see a dreamwalking" kurz vor Schluss zwar auch noch mal für einen Frischekick, zieht sich aber ansonsten – wie fast alle seiner in anderen Produktionen großartigen Kollegen – verständlicherweise auf Bewährtes im Standby-Modus zurück. Die Hauptdarstellerin Agnes (Stefanie Eidt) muss bei Kosky gleich von vornherein darauf beschränkt bleiben, dem Geschehen abendfüllend mit zwei wechselnden Gesichtsausdrücken zuzuschauen: entweder naiv-fröhlich oder schwer besorgnistragend.

Seinem von der Kritikerjury der Fachzeitschrift "Theater heute" für die letzte Saison verliehenen Titel "Theater des Jahres" hat das Deutsche Theater in dieser Spielzeit leider noch keine Ehre gemacht.

Mehr lesen über

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten