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EM-Müdigkeit: Und dann geht das Gehupe wieder los

Foto: Franziska Kraufmann/ dpa

EM-Blog Schlaaand? Ich bin raus!

Ein Sommermärchen verpasst - und schon ist alles falsch, was man über Fußball sagen könnte. Im EM-Blog sammeln SPIEGEL-ONLINE-Autoren die schönsten Nebensachen zum Turnier. Diesmal: Einer, der sich durchaus für das Turnier interessiert, verzweifelt an Fahnen, Hupen und den Toten Hosen.

25.6. An Tagen wie diesen

Turniermüdigkeit. "An Tagen wie diesen". Von den Toten Hosen. "Eine Art zweite deutsche Nationalhymne", wie sogar das "Handelsblatt" bemerkt hat. Mannomann. Man hält's im Kopf nicht aus: "Wo alles laut ist, wo alle drauf sind, um durchzudreh'n/ Wo die Anderen warten, um mit uns zu starten und abzugeh'n/ An Tagen wie diesen/ Wünsch ich mir Unendlichkeit". Gütiger Himmel. An Tagen wie diesen? Ich bin raus.

Ich bin raus und komme nicht mehr rein. Ein mentaler Migrant im eigenen Land, seit ich im Sommer 2006 für vier Wochen in Südeuropa unterwegs war. Frische Luft und Zeltplätze, WM-Ergebnisse gab's in französischen Tageszeitungen - während daheim etwas Großes passiert sein muss. Ein emotionaler Erdrutsch. Ein fröhliches Trauma. Zum Finale war ich wieder daheim, aber es war zu spät. Alle sprachen schon eine andere Sprache. Alle wedelten mit Fähnchen. Gewisse Witze ernteten plötzlich Unverständnis, Spott wurde getadelt, die Ironie war abgeschafft. "Schland!" fand ich sehr lustig, verwendete es aber immer falsch. Überhaupt ist seitdem alles falsch, was ich über Fußball sagen könnte. Offenbar Entscheidendes war von allen erlebt und verarbeitet worden, nur nicht von mir. Ich hatte kaum ein Spiel gesehen.

An Tagen wie diesen werden mir an der Supermarktkasse die Fußball-Sammelbildchen nur so nachgeworfen. Ich habe kein Interesse. Immer findet sich jemand vor oder nach mir in der Schlange, der den Tand freudig einstreicht. Auf den Straßen das posttriumphale Gehupe, immer schön tut-tuuuuut. Lasst einen Gorilla an die Autohupe, er wird sich nicht mehr auf die Brust trommeln. Überfallartiges "Deutschland!"-Gebrüll aus offenen Seitenfenstern. Adipöse Trikotträger in Adiletten, die torkelnd jeden Biergarten ansteuern, in dem ein Fernseher läuft. In der Altstadt große Fahnen, die in diesen eisernen Fahnenhaltern stecken, die in einer Zeit angebracht wurden, als man da noch ganz andere Fahnen reinsteckte, was ja heute wieder geht, immer locker bleiben. Gegen welche Fröste hilft eigentlich dieses Tuch? An Tagen wie diesen.

Dabei interessiere ich mich durchaus für das Turnier. Aber "interessiere mich durchaus" sagt schon alles. Wie die fußballferne Bekannte, die neulich zu Besuch war, eine Schwester im Geiste: "Ach, Fußball? Das habe ich neulich bei Freunden auch gesehen und muss sagen, eigentlich ganz unterhaltsam". Wer gegen wen spielte? Wusste sie nicht mehr. Während ich diese Zeilen schreibe, läuft nebenbei der winzige Fernseher am anderen Ende eines großen Zimmers. Wenn ich die Augen zusammenkneife, kann ich den Ball erahnen. Ansonsten nur weiße und blaue Punkte. Und 83:05 ENG 0:0 ITA. Mein Freund T. sitzt direkt vor dem Bildschirm. Meine gedankenlose Bemerkung, ich würde es "den Engländern aber auch mal gönnen", weist er so kühl zurück, als hätte ich sie bei Waterloo gegenüber Napoleon fallen lassen. Wieder falsch. An Tagen wie diesen.

Im Haus gegenüber gibt es ein einziges Dachfenster, von dem aus in unsere beiden Kinderzimmer gespäht werden könnte. Manchmal schaut ein Mann heraus. Ist er irre? Ist er okay? Irgendwann hängte er eine Bayern-Fahne unter das Fenster, und da wussten wir - er ist Fan. Irre, aber okay. Seit Bayern alles verloren hat, ist die Bayern-Fahne verschwunden. An Tagen wie diesen hängen dort gleich zwei Deutschlandfahnen. Ein Autowimpel und eine große, mit Adler. Als Deutschland gegen Griechenland spielte, zupfte er zuvor noch seine Fahne zurecht. Ein Mittvierziger mit Schnauzbart in einem Deutschland-Trikot. Plötzlich Gebrüll, als die Griechen ausgleichen. Das Fenster springt auf, er trägt nur noch Feinripp, ruft: "Ich bin doch nicht bescheuert hier, oder was?!" und holt grob die Fahnen ein. Erst beim 3:1 für Deutschland öffnet sich wieder das Fenster, werden beide Fahnen still wieder ausgebracht. Na also, geht doch. Einmal Fan, immer Fan.

An Tagen wie diesen wünsch' ich mir Endlichkeit. Sehe, wo ich gerade die Augen zusammenkneife, 120:00 ENG 2:4 ITA. Den Italienern gönne ich's auch. Für genau 65 Sekunden bedauere ich, dass es ja jetzt nur noch drei Spiele sind. Dann hebt draußen das Gehupe wieder an.

Arno Frank

24.6. Tippfehler

Spanien-Fans im Viertelfinale: Bereits das dritte Viertelfinale ohne Elfmeterschießen

Spanien-Fans im Viertelfinale: Bereits das dritte Viertelfinale ohne Elfmeterschießen

Foto: Jacques Brinon/ AP

Um 20.15 Uhr überlege ich, O. eine SMS zu schreiben. Ein wenig unangemessen erscheint es mir schon, ihn am Wochenende zu kontaktieren. Ich weiß auch gar nicht, ob er sich nicht gerade mit seiner Freundin trifft. Aber eine Aussage, die er letztens ganz beiläufig gemacht hat, lässt mich nicht mehr los: "Ab jetzt zählen bei euren Tipps die Tore aus dem Elfmeterschießen wie ganz normal erzielte Treffer." Ich hab in keinem der Viertelfinale auf Elfmeterschießen getippt. Soll ich mein "2:1 für Spanien" zurücknehmen? Ist nicht 5:4 nach Elfmeterschießen viel wahrscheinlicher? Ratlos starre ich auf mein Handy. Dann beginnt das Spiel Spanien gegen Frankreich.

Der soziale Stress, der von Europa- und Weltmeisterschaften ausgeht, liegt ja nicht nur in dem Umstand begründet, dass für einen knappen Monat die Abendplanung von Fußball bestimmt ist. Ich persönlich finde Tippspiele den anstrengendsten Teil solcher Turniere. Immer hadere ich mit meinen Tipps, will nicht aus Sympathiegründen abstimmen und prognostiziere oft mit großen Gewissensbissen das Aus für meine Lieblingsmannschaft (England!) - und kann mich, wenn sie gewinnen (3:2 gegen Schweden!), dann noch nicht einmal richtig freuen, schließlich gehen mir dadurch wichtige Punkte im Tippspiel verloren.

In meinem sehr, sehr netten Büro sahen es die Kollegen ganz ähnlich: Auf ein Tippspiel hatte eigentlich nur Kollege P. Lust. Aber der arbeitet im Sport. Schließlich schlug Kollege O. vor, kein gewöhnliches Tippspiel zu veranstalten, bei dem man Geld einsetzt. Seine Idee war: Der Preis ist ein gemeinsamer Abend in der Kneipe, der Letztplatzierte muss für alle bezahlen, der Erstplatzierte darf die Auswahl der Getränke bestimmen. Darauf konnten wir uns alle einigen - kein Stress, wenn man nur im Mittelfeld landet, eigentlich gilt es nur, den letzten Platz zu vermeiden.

Nach drei Spieltagen hatte uns der übliche Tippspiel-Kleinmut wieder eingeholt: Kollege M. war heimlich ausgestiegen, als er sah, dass er weit abgeschlagen wahrscheinlich für den Rest des Turniers auf dem letzten Platz bleiben würde. Kollege H. hatte bemerkt, dass sein Ressortkollege C. vor ihm lag, weshalb er öffentlich bekannte: "Hauptsache vor C., alles andere ist mir egal!" Und C.? Liegt mit mir gleich auf, weshalb er mich morgens mit den Worten "Auch nur einen Punkt geholt?" begrüßt. Vorne liegt übrigens Kollege P. Aber der arbeitet im Sport.

Ich selbst war am Samstagabend hingegen total entspannt. Spanien - Frankreich: 2:0. Bereits das dritte Viertelfinale ohne Elfmeterschießen - hatte ich doch von vornherein so getippt! Nur bei den Engländern bin ich mir jetzt noch unsicher. Die haben bei dieser EM ja viel besser als erwartet gespielt. Aber reicht das auch, um Italien zu schlagen? Bei dem Spiel wäre ein Elfmeterschießen durchaus möglich. Ich hole mein Handy heraus und suche die Nummer von Kollege O. heraus.

Hannah Pilarczyk

23.6. Gyrotechnik

Gyros-Teller beim Türken: Das einzig coole an der Idee, hierherzukommen, war die Idee

Gyros-Teller beim Türken: Das einzig coole an der Idee, hierherzukommen, war die Idee

Foto: SPIEGEL ONLINE

Der Grieche war tabu. Das Spiel beim Griechen zu schauen und dann drüber schreiben, gähn! Griechen gucken beim Griechen ist der Per Mertesacker unter den EM-Blog-Ideen, ganz nett, kann man mal bringen, aber ist jetzt nicht wirklich kreativ.

Verworfen wurden aus meist ganz offensichtlichen Gründen auch folgende Vorschläge von Freunden: den Griechen beim Türken schauen ("wegen der Rivalität!"), mit einer Gruppe Maurer ("Maurer, verstehst du, die mauern doch!"), beim Pfandleiher ("ist halt echt um die Ecke"). Irgendwas mit Bankern ("Euro-Krise. Das könnte man super verbinden"). Menschen einfach so anrufen, die man im Telefonbuch findet und die den Namen von griechischen Spielern tragen. Bei Otto Rehhagel gucken ("Beate, seine Frau, kredenzt Schnittchen und ihr redet über Fußball"). Aha.

Am Abend stehe ich vor einem weißgestrichenen Restaurant, vor dem ein weißes Zelt aufgebaut ist. Das Restaurant trägt den Namen einer griechischen Stadt und das Zelt ist leider schon voll. Lauter Menschen mittleren Alters in Deutschland-Trikots und -Jacken und -T-Shirts sitzen an weißen Tischen. Sie essen Lamm, Pommes, Gyros. Sie trinken Ouzo. Ein Mann baut gerade einen riesigen Fernseher auf. Gyrotechnik.

Drinnen, vor gelbgestrichenen Wänden, stehen griechische Säulen aus Gips. Es duftet lecker nach gebratenem Fleisch, alles in allem ist das hier ein Grieche wie er im Märchenbuche steht. Denn der Besitzer heißt Mehmet und ist Türke. Ein Kollege hat ihn empfohlen, "ein Grieche, der Türke ist!".

Das schlägt den Griechen natürlich um Längen und zwei Fliegen mit einer Klappe, weil man ja gleichzeitig irgendwie auch beim Türken guckt ("wegen der Rivalität!"). Mehmet ist im Megastress, Deutschland gewinnt, sagt er noch. Dann muss er wieder in die Küche, sein Grieche ist nämlich auch drinnen gerammelt voll. Mit Deutschen.

Auf dem Großbildfernseher erzählt ZDF-Moderatorin Kathrin Müller-Hohenstein etwas über mutige Griechen, in 15 Minuten fängt das Spiel an, die ZDF-Kulisse auf Usedom tobt. Beim türkischen Griechen klappert Besteck.

Gleich spielt Deutschland, und ich denke zum ersten Mal, dass das einzig coole an der Idee, hierherzukommen, die Idee war. Immerhin will jetzt eine ältere Dame, dass der Fernseher lauter gestellt wird. Aber vielleicht hört sie auch nur schlecht.

Anpfiff. Zaghafter Applaus im Raum, eher ein Schmatzen als ein Klatschen. Was hier wohl los wäre, wenn das ein richtiger Grieche wäre! Mit Griechen und so. Eine dieser Ratschen rattert, als Deutschland das 1:0 macht, "jawollja" ruft einer und mir fällt ein, dass mein Opa das auch immer gesagt haben soll, wenn Fritz Walter wieder getroffen hatte. Alles in allem bleibt zu konstatieren: Das Applaudieren ist hier der emotionalste Ausdruck von Freude. Operettenpublikum. Wenigstens der Gyros-Teller ist eine echte Pracht.

1:1. Plötzlich eruptiert etwas hinter mir. Samaras hat getroffen, der Mann, der sich angeblich Schuhcreme in die Haare schmiert. Drei Damen tanzen, Griechinnen offenbar, fallen sich in die Arme, schreien, jubeln. Für einen ganz kurzen Moment ist das hier wie im Stadion, groß und laut, geil, denke ich, obwohl Deutschland gerade den Ausgleich kassiert hat! Was hier wohl los wäre, wenn das ein richtiger Grieche wäre! Mit Griechen und so.

Beim 2:1 ballen zwei 50-Jährige die Fäuste, es ist insgesamt etwas lauter jetzt, wie eine Revanche für den Ausbruch der Damen eben. Aber eben nicht Deutschland-kämpft-ums-EM-Halbfinale-mäßig. Ich bin sauer mittlerweile, aber wenigstens war der Gyros-Teller eine echte Pracht. Als Klose ausgewechselt wird, der Torschütze zum 3:1, huldvoller Applaus. Klose war schon bei der WM 2002 dabei, damals, einst. Er hat hier viele Fans. Als Reus rausgeht, der Torschütze zum 4:1, bleibt es ruhig.

Als ich vom Griechen, der kein Grieche ist, sondern Türke, nach Hause komme, geht es mir schlecht. Sehr schlecht. Der Magen. Ich weiß, dass man in diesem Zustand eigentlich auf keinen Fall einen Text schreiben sollte. Aber nun ist es eh zu spät.

Christian Gödecke

22.6. Bei Twitter

Franz Beckenbauer (hier 1974): Raclette und Wein mit Sepp Blatter

Franz Beckenbauer (hier 1974): Raclette und Wein mit Sepp Blatter

Foto: DPA

Alle reden übers Wetter. Wir nicht. Wir reden über Twitter. #59zeichen.

Twitter ist das ganz große neue Ding im Fußball. Dieses Turnier in Polen und der Ukraine ist schließlich die erste Social-Media-EM der Menschheitsgeschichte. Und alle machen mit.

Das ZDF überträgt interne Twitter-Schulungen öffentlich für ein Millionenpublikum - wenn auch das Seminar mit nur zwei Teilnehmern (Müller-Hohenstein/Kahn) relativ dünn besetzt war. Der Titan war zu Beginn noch etwas scheu mit dem neuen fremden Medium. Sein erster Tweet "Wir werden #Europameister!!!" wirkte noch etwas ungelenk.

Mittlerweile ist @OliverKahn aber ein alter Hase, hat innerhalb von zehn Tagen sieben Tweets abgesetzt und sich den leicht ranschmeißerischen Twitter-Ton perfekt angeeignet. Nachdem er mit KMH vereinbart hatte, dass er im Fall eines griechischen Sieges gegen Deutschland in voller Montur in die Ostsee steigen werde, griff er unverzüglich zum Smartphone: "@dfb_team, lasst mich bitte nicht baden gehen #ostsee #viertelfinale." Der traut sich was.

Oliver Kahn. Schön und gut. Aber nur eine Fußnote der Fußball- und Twitterhistorie gegenüber dem, was sich seit Mittwoch im Netz tut. Der Kaiser ist jetzt bei Twitter. Auch @beckenbauer konnte sich der Sogkraft nicht entziehen. Mit einem lässigen "Also gut, dann lasst uns halt ein bisschen zwitschern" eröffnete er. Und lässt seitdem die staunende Netzgemeinde Anteil nehmen an einem Leben, wie es jeder gerne führen würde. Gleich ein Erdbeben zu Beginn: "A special hello to my dear brother @Pele." Es hat lange gedauert, bis der Fußball den Fängen der Banalität entrissen wurde.

Beckenbauer, die Lichtgestalt, ist naturgemäß noch etwas zurückhaltend, was das Schließen neuer Kontakte mit dem Twitter-Plebs angeht. Er hält sich eher an seinesgleichen, also an Fifa-Boss Joseph Blatter. Blatter ist ein Twitter-Pionier, Mann der ersten Stunde. Ihm verdanken wir Einträge wie "we work for tomorrow's Youth" (29. April), "Rome: Great pleasure to be recognised in such country" (24. April) und "Last week Zico, today Johan Cruyff, tomorrow Günter Netzer - great to be so close at footballs heartbeat". Für den Kaiser macht Blatter es auch auf Deutsch: "Raclette, Wein und anregende Gespräche mit @beckenbauer über Mittag."

Gut. Manchmal ist dieses Medium auch zu schnell für diese Welt. Als Portugals Cristiano Ronaldo gegen Dänemark beim Stand von 2:1 allein vor dem Tor auftauchte, twitterte die Uefa bereits in den Kosmos hinaus: "Tor für Portugal. 3:1. Cristiano Ronaldo." Ronaldo vergab kläglich. Aber überall auf der Erde, sagen wir in einem portugiesischen oder dänischen Fischerdorf, wo die Leute naturgemäß so arm sind, dass sie sich keinen Fernseher, sondern nur einen Twitter-Account leisten können, hat diese Falschmeldung möglicherweise furchtbare emotionale Folgen gehabt. Auch so etwas muss man berücksichtigen, wenn man über die neuen Medien nachdenkt.

Was machten die Menschen nur den ganzen Tag, bevor es Twitter gab? Vor allem bei einem solchen Regenwetter wie derzeit in Danzig, wenn man nicht vor die Tür gehen mag. Ja, über das Wetter müssen wir auch noch mal ausführlich reden.

Peter Ahrens

21.6. Zurück in Danzig

Nationalspieler Sami Khedira: Im Einsatz für den nächsten Griechen-Witz

Nationalspieler Sami Khedira: Im Einsatz für den nächsten Griechen-Witz

Foto: EDDIE KEOGH/ REUTERS

Zurück aus der Ukraine, wieder in Danzig. Aus dem einen Gastgeberland ohne aktuellen EM-Teilnehmer ins andere Gastgeberland ohne aktuellen EM-Teilnehmer. Statt der Polen dürfen bekanntlich die Griechen weitermachen. Mit dem Kollateralschaden, dass wir dieser Tage von einer Monsterwelle an schalen Griechen- und Euro-Witzen überschwemmt werden. Ich schätze, Waldi Hartmann und die "Bild"-Zeitung befinden sich längst in einem harten internen Wettbewerb mit dem einen oder anderen passionierten Twitterer darüber, wer am häufigsten Pleite und Ouzo in einem Sinnzusammenhang nennen kann. Costa Cordalis, Costa Concordia. Das ganze Programm.

Man könnte in diesem kleinen Blog unter Umständen einen Versuch starten, einen flammenden Appell an das vernünftige Deutschland zu richten, bitte, bitte bis zum Deutschland-Spiel am Freitag auf jegliche Griechen-Kalauer zu verzichten. Plus Redeverbot für Rehakles. Der Aufstand der Anständigen. Aber es würde natürlich komplett zwecklos sein. Die Wortwitze werden auf uns niederprasseln wie die Frösche in dem Film "Magnolia".

Ich erzähle da lieber mal als Kontrapunkt einen Holländerwitz. Die sind ja ähnlich ruhmlos ausgeschieden wie unsere Gastgeber, und ein Freund aus Amsterdam hat mir dies zugeschickt: "Die niederländische Nationalmannschaft hat in der Ukraine ein Kinderheim besucht (was sie übrigens wirklich getan hat). 'Es war erschütternd, die Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung in den leeren Augen zu sehen.' Sagte anschließend der fünfjährige Sergej." Ich fand das eigentlich lustig.

Die Niederländer sind mittlerweile alle wieder daheim, beziehungsweise auf irgendeinem Campingplatz an der Côte d'Azur, und ihr Spielort Charkiw ist dadurch wieder komplett orange-frei. Das dürfte auch den Machthaber Janukowitsch, den in Charkiw durchaus beliebten Präsidenten, beruhigen.

Was ohne große Überleitung zu der Frage führt, was eigentlich aus dem in den Vorwochen so aufgeregt diskutierten Protest der deutschen Fußballfamilie gegen die Haft der in Charkiw einsitzenden Julija Timoschenko geworden ist, als das DFB-Team letztens in der Stadt gegen die Niederlanden anzutreten hatte. Ist wohl unter der ukrainischen Sommersonne weggeschmolzen. Es war aber auch wirklich warm dort drüben.

Die Polen haben keine ähnlich gelagerten Wetterprobleme, bei ihnen funktioniert die Demokratie einigermaßen. Hier ist es den Juni über konstant kühl, das Team ist ausgeschieden - also alles Petitessen, die das sogenannte EM-Fieber nicht weiter berühren. Die Danziger Autofahrer fahren unbeirrt weiter tapfer ihre Polska-Fähnchen spazieren, als wäre nichts gewesen. Das ist eben Sommermärchen. So etwas ist nicht auszutreiben.

Und die deutsche Nationalmannschaft? Die Bundeskanzlerin hat angekündigt, dass sie am Freitag gegen die Griechen auf der Tribüne sitzen werde. Na, ja, besser sie als Khedira.

Peter Ahrens

26. bis 2. Juli: Ach, würde die EM doch niemals enden!
16. bis 20. Juni: Lernen von den Trendsettern
15. Juni: Der Ball ist rutsch
11. bis 14. Juni: Männer, die auf Ziegen starren
Blog-Einträge vom 7. bis 10. Juni: Die Frisur sitzt

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