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Attentat auf Rudi Dutschke: Bachmann, Stasi, brauner Sumpf

Foto: Joachim Barfknecht/ dpa

Enthüllung über Dutschke-Attentäter Schrecken aus dem braunen Sumpf

Schon wieder muss die 68er-Geschichte in neuem Licht gesehen werden: Dutschke-Attentäter Josef Bachmann war kein Einzelgänger, wie lange behauptet. Er hatte nach SPIEGEL-Informationen enge Kontakte zu Neonazis, die von der Stasi beobachtet und der Polizei gedeckt wurden - es gab ihn doch, den braunen Sumpf.
Von Reinhard Mohr

Stasi

Fast scheint es, als müssten alle paar Monate dramatische Momente der jüngsten deutschen Zeitgeschichte umgeschrieben werden. Dabei erweisen sich bislang unbekannte -Akten immer wieder als geradezu unheimliches Langzeitgedächtnis der gesamtdeutschen Historie - mit eingebautem Zeitzünder.

Benno Ohnesorg

Karl-Heinz Kurras

Erst im Mai dieses Jahres wurde bekannt, dass der Todesschütze des am 2. Juni 1967 gestorbenen Studenten , der Westberliner Polizeibeamte , jahrzehntelang ein wichtiger Stasi-Spitzel war und dazu Mitglied der "Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands" (SED). Noch grotesker: Er arbeitete ausgerechnet in jener Abteilung, die für die Suche nach feindlichen Agenten innerhalb der Westberliner Polizei zuständig war.

Studentenrevolte von 1968

Rudi Dutschke

Nun sorgt eine weitere Enthüllung aus Stasi-Quellen dafür, dass auch das zweite zentrale Ereignis der , das Attentat auf die SDS-Ikone , in neuem Licht erscheint - wenige Tage vor dem 30. Todestag des Studentenführers an Heiligabend.

Josef Bachmann, ein 23-jähriger Hilfsarbeiter, der am Gründonnerstag 1968 Dutschke mit drei Schüssen lebensgefährlich verletzte, galt stets als wirrer, rechtsradikaler Einzeltäter, aufgehetzt von "Bild"-Schlagzeilen und Parolen der "Deutschen Nationalzeitung": "Stoppt Dutschke jetzt! Sonst gibt es Bürgerkrieg."

Der SPIEGEL fand heraus, dass sich Bachmann vor dem Mordversuch an Dutschke schon länger in der aktiven Neonazi-Szene im niedersächsischen Peine bewegt hatte, von dem Neonazi Wolfgang Sachse Waffen und Munition erhielt, an Schießübungen teilnahm und mit seinen braunen Gesinnungsfreunden mehrfach die innerdeutsche Grenze zur DDR attackierte - mit Schüssen, Steinwürfen auf Minen und dem Niederreißen einzelner Zaunabschnitte.

Braunes Biotop in Peine

Und auch die Polizei in Peine machte gerne mit: "Unter den Polizisten gab es viele, die einfach Spaß am Ballern hatten", erinnert sich Sachse, der "Schießwart" der braunen Szene, heute noch. "Wir wurden von der Polizei in jeder Hinsicht gedeckt."

Das abenteuerliche Treiben geschah aber nicht nur unter den Augen der offensichtlich sympathisierenden Sicherheitsbehörden, sondern zugleich unter Beobachtung von ostdeutscher Stasi und westdeutschem Verfassungsschutz: Denn ein weiterer Aktivist, Wolfgang L. alias IM Otto Folkmann, mischte nicht bloß kräftig mit in der braunen Szene, sondern war auch ein ost-westdeutscher Doppelagent.

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68er-Bewegung: Das Attentat auf Rudi Dutschke

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Mehr als 40 Jahre später ist dies ein doppelter Skandal. Erstens hatte sich in Peine Mitte der sechziger Jahre offenbar ein nationalistisch-rechtsradikales Biotop entwickelt, zu dem auch Teile der Staatsmacht gehörten. Und zweitens, schlimmer noch: Nach der Festnahme Bachmanns kurz nach dem Attentat gingen Polizei und Staatsanwaltschaft in Berlin bei ihren Ermittlungen den auch ihnen bekannten Hinweisen und Spuren, die in die braune Giftküche von Peine führten, nicht nach. Das Motiv liegt auf der Hand: Man wollte die eigenen Leute und die rechte Schießplatz-Allianz decken.

So wurde Bachmann 1969 als fehlgeleiteter unpolitischer Krimineller zu sieben Jahren "Zuchthaus" verurteilt. Nach mehreren gescheiterten Versuchen nahm er sich am 24. Februar 1970 in seiner Zelle das Leben.

Zuvor hatte Rudi Dutschke ihn in einen eigentümlichen Briefwechsel verwickelt. Als guter Christ wollte Dutschke ihm verzeihen und zugleich auf den richtigen, linken Weg führen: "Du wolltest mich fertigmachen", schrieb er Bachmann in den Knast. "Ich mache Dir einen Vorschlag: greife die herrschenden Cliquen an. Warum haben Sie Dich zu einem bisher so beschissenen Leben verdammt? Also schieß nicht auf uns, kämpfe für Dich und Deine Klasse."

Fast rührend Dutschkes Trostversuch: "Höre auf mit den Selbstmordversuchen, der antiautoritäre Sozialismus steht auch noch für Dich da."

Bachmann nahm das gut gemeinte revolutionäre Angebot nicht an, aber immerhin bedauerte er, "was ich Ihnen angetan habe", und dachte sogar darüber nach, ob er vielleicht eine "ganz verkehrte Auffassung" von seinem Opfer gehabt hatte.

Die jüngste deutsche Geschichte, hier wird sie zum abgründig faszinierenden Filmstoff, der immer wieder neu die Vorstellungskraft beflügelt.

Die hässliche Wahrheit vertuscht

Polizei und Justiz machen mit Neonazis gemeinsame Sache oder vertuschen die hässliche Wahrheit: Wie perfekt hätte das in die These vom "neuen Faschismus" gepasst, die nach dem Tod von Benno Ohnesorg aufkam? In den Worten der RAF-Terroristin Gudrun Ensslin: Mit der Generation von Auschwitz kann man nicht reden. Auf die muss man schießen.

Wie schon im Fall Kurras fragt man sich: Was wäre gewesen, wenn das alles schon damals bekannt geworden wäre? Hätte sich die Wut der empörten Studenten dann nicht nur gegen den Axel-Springer-Verlag gerichtet? Wären Radikalität und Militanz noch viel größer und anhaltender geworden?

Denn wie überzeugend hätte die braune Peine-Connection pars pro toto stehen können - als symbolhaftes Beispiel für die Verbindung von Teilen des Staatsapparates mit reaktionären und rechtsradikalen Gruppen? Es war ja wohl kein Zufall, dass in den sechziger Jahren die neonazistische NPD ihre größten Erfolge errang und in mehrere westdeutsche Landtage einzog. Bei der Bundestagswahl 1969, aus der Willy Brandt als erster sozialdemokratischer Bundeskanzler hervorging, erhielt die NPD 4,3 Prozent, 1.422.000 Stimmen.

Die aktuelle SPIEGEL-Enthüllung veranschaulicht noch einmal, dass die Bundesrepublik von 1966/67 eine ganz andere war als das Deutschland von 2009 - dass es also jenseits aller ideologischen und verschwörungstheoretischen Ableitungen gute, ja beste Gründe für eine antiautoritäre Protestbewegung gab, die von der großen Weltpolitik bis ins Private und Biografische reichte.

Gesamtdeutsche schlagende Verbindung

Selbst im vergleichsweise freigeistigen Westberlin amtierte damals ein Polizeipräsident namens Erich Duensing, der zwischen 1941 und 1943 als Generalstabsoffizier der Wehrmacht in der Ukraine an der berüchtigt brutalen Partisanenbekämpfung beteiligt war. Wenige Monate nach dem Tod Benno Ohnesorgs musste er zurücktreten. Bis dahin aber hatte er jenen militanten Korpsgeist der Berliner Polizei geprägt, von dem auch der bis heute renitente Todesschütze Karl-Heinz Kurras erfasst war.

Die Geschichte der 68er-Bewegung muss deshalb nicht gleich umgeschrieben werden. Aber es ist auffällig, dass sowohl Kurras als auch Bachmann, die beiden Ballermänner gegen die antiautoritäre Revolte, gleichermaßen verbohrte Waffennarren und extrem autoritär geprägte Charaktere waren. Stasi hin, Verfassungsschutz her - es war eine gesamtdeutsche schlagende Verbindung aus dem Geist der vordemokratischen Marschkolonnen.

Rudi Dutschke aber, der in ganz anderer Weise von einem bewaffneten Kampf für die antiautoritäre Revolution geträumt hatte, starb am Heiligabend 1979 in der Badewanne. Als späte Folge des Attentats hatte er wieder einmal einen epileptischen Anfall erlitten.

Der Historiker Gerd Koenen erinnert sich daran, dass Rudi Dutschke, ein früher DDR-Flüchtling, immer wieder die Befürchtung geäußert hatte, eines Tages könnte ihn die Stasi umbringen. Heute wissen wir, dass es ein Neonazi war, dessen Treiben weder der Stasi noch Polizei und Verfassungsschutz unbekannt blieb.


Alle Details zu den Enthüllungen über Dutschke-Attentäter Josef Bachmann und seine Verstrickungen lesen Sie im aktuellen SPIEGEL.

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