
ZDF-Verwaltungsrat: Die Mitglieder des Kontrollgremiums
Entscheidung im ZDF-Verwaltungsrat Machtmensch Koch gewinnt, der Rest verliert
Berlin - Kurt Beck sieht aus, als ob er an schlechter Verdauung litte. Der Blick trübe, die Wangen schlaff, die Stimme gedämpft. Eine Trauerrede. Der Vertrag des ZDF-Chefredakteurs sei nicht verlängert worden, sagt der SPD-Ministerpräsident im Tonfall des Arztes, der das Abschalten der lebenserhaltenden Apparate verkündet. "Ich bedauere diese Entscheidung außerordentlich."
Der Fall Nikolaus Brender ist geklärt. Mehr als neun Monate dauerte der Streit, den CDU-Mann Roland Koch im Februar begonnen hat. Am Freitagnachmittag hat er sein Ziel erreicht: Sieben zu sieben geht die geheime Wahl im Verwaltungsrat aus, neun Stimmen hätte Brender gebraucht, um bleiben zu können. Aber neun Stimmen hatte eben auch das Unionslager um Koch. Und obwohl davon zwei Mitglieder ausscherten - also für Brender stimmten -, reichte es für die Absetzung des Journalisten. Es habe "keine stichhaltigen Argumente" gegen den Vorschlag des Intendanten gegeben, Brenders Vertrag zu verlängern, sagt Beck. Er selbst habe sich "eindeutig für eine Fortsetzung ausgesprochen".
Man habe der Gegenseite ja sogar Hilfestellung gegeben: Statt der noch ausstehenden fünf Jahre hätte man Brenders Engagement auf 22 Monate verkürzt. Ein Vorschlag des Intendanten Markus Schächter. "Aber noch nicht mal über diese Brücke ist man gegangen." Und die Staatsferne des ZDF? Ist die jetzt überhaupt noch gesichert? "Eine äußerst bedenkliche Entwicklung", sagt Beck und tritt ab.
Roland Koch erscheint, lässig, eine Hand in der Hosentasche, der Gewinner des Abends. Der, der die Brücke nicht überqueren wollte. Warum auch? "Es geht nicht um die journalistische Integrität von Herrn Brender, wir beurteilen einen wichtigen Teil des führenden Managements innerhalb eines Fernsehsenders."
Für Koch ist alles klar: Man habe unternehmerische Entscheidungen im Blick gehabt, nicht parteipolitische Mauscheleien. Letztlich also alles eine Frage von Business-Innovationen: "Es gab die Frage", erklärt Koch mit dem Schneid eines McKinsey-Beraters, "ob man durch einen Neuanfang nicht eine neue Offenheit jenseits politischer Fragen schaffen kann." Zukunft gestalten, nur eben ohne Brender.
Intendant Schächter ist düpiert
Dass Politiker diejenigen auswählen, die später über sie berichten, das sei aber doch bedenklich, kommt der Einwand. "Und dass Bischöfe diejenigen aussuchen, die über sie Bericht erstatten, damit haben Sie keine Probleme?", lautet Kochs Replik. Eine Anspielung auf den Fernsehrat, in dem auch kirchliche Würdenträger sitzen.
Bevor man sich jetzt aber weiter in institutionellen Fragen verliert: Was war nochmal das Manko von Brender? Markus Schächter jedenfalls weiß es nicht. Der düpierte ZDF-Intendant weiß dafür viel Gutes von seinem Kollegen zu sagen: "große Stütze im Team der Geschäftsleitung", "journalistisch unabhängig", "solide Haushaltsführung". Gebracht hat es bei der Abstimmung nichts. Auch Schächter benutzt die Unmutsformel, die Frustration mit Diplomatie kaschiert: "Ich habe kein Verständnis für die Nichtverlängerung des Vertrags."
Brender selbst sieht durch die Umstände seiner Ablösung das öffentlich-rechtliche Rundfunksystem beschädigt. "Das Ergebnis zeigt, dass das machtpolitische System im öffentlich-rechtlichen Rundfunk zur Selbstheilung nicht in der Lage ist", sagte er der Nachrichtenagentur dpa. Die einzige Institution, die die Unabhängigkeit sichern könne, sei das Bundesverfassungsgericht. Brender betonte, die große Unterstützung für ihn vor der Verwaltungsratsentscheidung sei ein ermutigendes Signal für die unabhängigen Journalisten im ZDF.
Kritik von Opposition, Gewerkschaftern und Juristen
Eine Klage vor dem Verfassungsgericht könnte indes durchaus Aussichten auf Erfolg haben. Das zeigen die harschen Reaktionen von Juristen. Ulrich Battis von der Berliner Humboldt-Universität sagte SPIEGEL ONLINE, das ganze Verfahren sei "eine Missachtung der Rundfunkfreiheit". Er gehörte zu den 35 Staatsrechtslehrern, die den Fall Brender in einem offenen Brief problematisiert hatten. Ebenfalls unter den Unterzeichnern: Bernd Holznagel von der Universität Münster. Er sagte, die Nichtverlängerung mit schlechten Quoten zu begründen, sei "rechtswidrig".
"Der Verwaltungsrat darf nur im Rahmen seiner Aufgaben entscheiden, und zu seinen Aufgaben zählen in erste Linie die Haushaltsführung und die Untersuchung rechtswidriger Vorgänge." Die Programmgestaltung und Personalfragen seien Sachen des Intendanten. Holznagel weiter: Nach dem Grundsatz der Organtreue, die in solchen Anstalten gilt, müssten die einzelnen Organe die jeweiligen Zuständigkeiten respektieren. "Kurz: Der Verwaltungsrat darf dem Intendanten seine Kompetenzen nicht wegnehmen."
Die beiden Bundesvorsitzenden von SPD und Grünen, Sigmar Gabriel und Cem Özdemir, sprachen in getrennten Stellungnahmen von einem "schwarzen Tag für die Rundfunkfreiheit in Deutschland". Gabriel sagte weiter, dass der Verwaltungsrat aus parteitaktischem Kalkül einen erfolgreichen Chefredakteur rausschmeiße, sei ein bislang einmaliger Vorgang.
"Eine Grenze überschritten"
Und auch Gewerkschafter übten Kritik: Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) nannte den Vorgang einen "schweren Schlag gegen die Rundfunkfreiheit". "Hier haben parteipolitische Ränkespiele die Oberhand über die Unabhängigkeit und die verfassungsrechtlich gebotene Staatsferne des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gewonnen", sagte DJV-Bundesvorsitzender Michael Konken. Ver.di wird sogar noch deutlicher: Koch habe "den grundgesetzlich verbrieften Anspruch auf ein staatsfernes Mediensystem verhöhnt". Es sei eine "elementare Grenze überschritten, deren Auswirkungen weit über das ZDF hinausreichen".
Wie weit, das werden die nächsten Monate zeigen. Schächter sagt, man werde noch bis Ende des Jahres einen neuen Chefredakteur berufen. Und bis dahin wird auch die womöglich entscheidende Frage geklärt sein, ob das Verfassungsgericht angerufen wird. Die Grünen haben eine Normenkontrollklage angekündigt, sie brauchen dafür die Unterstützung von einem Drittel der Bundestagsabgeordneten. Es droht eine lange juristische Auseinandersetzung.
Doch selbst wenn es nicht dazu kommt - das Image des ZDF wie auch des Parteienstaats hat in der Causa Brender schweren Schaden genommen. So cool Koch sich auch gibt, er hat auch der Politik mit dieser schroffen Machtdemonstration keinen Gefallen getan.