Erzürnte Wissenschaftler "Rettet den Fußball vor der Sportschau"

Die "Sportschau" im Ersten verkommt zu einer Werbegameshow - dieser Ansicht sind Wissenschaftler mehrerer Hochschulen. In einem offenen Brief an die ARD machen sie ihrem Unmut über das Format Luft. Der Sender kann die Kritik nicht verstehen.
Von Jürgen Schmieder

Seit 30 Monaten ist die Bundesliga wieder in öffentlich-rechtlicher Hand. Nach "Anpfiff" und "ran" rollt der Fußball am Samstag um 18.10 Uhr wieder in der "Sportschau". Dennoch kehrt auf dem medialen Fußballplatz keine Ruhe ein. Eine Gruppe von Wissenschaftlern hat heute einen offenen Brief an die ARD und den Deutschen Fußballbund geschickt, in dem sie das Format der Sendung heftig kritisiert. Der Sender weist die Vorwürfe zurück."Ich habe vor drei Wochen die Initiative ergriffen und zusammen mit Kollegen den Brief formuliert", sagte Dieter Jüttig SPIEGEL ONLINE. Der Professor ist Sportwissenschaftler an der Universität Münster und beschäftigt sich auch mit der Sportberichterstattung. "Die Bundesliga berichtet nicht mehr über Fußball, sondern gerät mehr und mehr zu einer Werbesendung für Produkte, Personen und Sendungen", heißt es in dem Brief. Die Sendung verkomme zu einer Gameshow. "Wir haben den Brief absichtlich an die ARD und den DFB geschickt, die Redakteure der 'Sportschau' können ja am wenigsten dafür", sagt Jüttig.Bei der ARD ist man überrascht über den Brief und weist die Kritik zurück. "Ich kann nicht verstehen, warum anerkannte Wissenschaftler aufgrund eines Zeitungsberichtes einen offenen Brief verfassen, anstatt sich auf wissenschaftliche Daten zu verlassen", sagte ARD-Sprecher Burchard Röver SPIEGEL ONLINE. Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" hatte am 8. August in einem Artikel bemängelt, dass bei einer Sendezeit von 90 Minuten nur etwa 36 Minuten an Spielszenen gezeigt würden. "Diesen Vorwurf kann ich zurückweisen", sagt Röver. "Am ersten Spieltag liefen 57:40 Minuten Spielberichte." Zu Spielberichten gehörten aber auch Interviews, Grafiken und Analysen.Die "Sportschau"-Kritiker richten sich in dem Brief vor allem gegen die aufdringliche Berichterstattung: "In den sowieso schon kurzen Berichten dominieren Spielelemente, die zwar elementar zum Fußballspiel gehören wie Fouls, Abseits, Fehlschüsse oder Tore, die aber keineswegs die Gesamtheit eines Fußballspiels ausmachen noch den Verlauf eines einzelnen Spiels wiedergeben." Dazu würden auch die Reporter und Moderatoren ihren Beitrag leisten: "Die Sportschaujournalisten haben sich in ihrer Arbeit immer mehr von einer fachlichen Berichterstattung, die erläutert, kommentiert, einordnet und bewertet, entfernt."Röver kann die Kritik der Wissenschaftler nicht verstehen: "Die Beobachtungen in dem Brief decken sich nicht mit den Reaktionen der Zuschauer." Nach einer Studie der "Bild am Sonntag" würden 75 Prozent der Zuschauer die "Sportschau" besser beurteilen als die anderen Formate, die über die Bundesliga berichteten. Zusätzlich sei bei öffentlich-rechtlichen Sendern die Werbezeit rechtlich beschränkt, so dass ein Übermaß an Werbung gar nicht möglich sei.Jüttig will die Verantwortlichen der ARD zu einem gemeinsamen Diskurs Ende des Jahres einladen, um über die Zukunft der Fußballberichterstattung zu sprechen. "Wir wollen einen Weg finden, die der Faszination und spielerischen Bedeutung des Fußballsports angemessen ist", heißt es am Ende des Briefs.Der Brief wurde von 25 Wissenschaftlern aus verschiedenen Fachrichtungen unterzeichnet. Neun der Unterzeichner sind Mitglied im Beirat der Deutschen Akademie für Fußball-Kultur in Nürnberg.

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