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Leben ohne Fleisch: Warum Jonathan Safran Foer verzichtet

Foto: Jerry Bauer

Ess-Ethiker Foer "Manchmal fühlt es sich schrecklich an, Vegetarier zu sein"

Kinderarbeit findet er nicht okay, warum sollte er also Massentierhaltung unterstützen? Im SPIEGEL-ONLINE-Interview erklärt der US-Autor Jonathan Safran Foer, warum wir alle auf Fleisch verzichten sollten, warum er es seinen Kinder trotzdem nicht vorschreibt - und was seine Oma von der Sache hält.

SPIEGEL ONLINE: Herr Foer, was bedeutet Ihnen Fleisch?

Jonathan Safran Foer: Es überrascht Leute immer, dass ich den Geschmack von Fleisch wirklich liebe. Ich bin noch nicht mal ein ausgeprägter Tierfreund, ich betrachte die ganze Problematik der industrialisierten Fleischproduktion von der Warte eines durchschnittlichen Menschen aus. Und ich finde sie, nach allem, was ich darüber erfahren habe, inakzeptabel. Man muss weder spezielle Überzeugungen teilen noch besonders hohe Ansprüche an Tierschutz, Umweltschutz oder Gesundheit haben, um zu dieser Überzeugung zu gelangen. Jeder durchschnittliche Mensch wäre entsetzt.

SPIEGEL ONLINE: Nach drei Jahren Recherche zum Thema "Massentierhaltung und Fleischproduktion" haben Sie sich entschieden, auf Fleisch zu verzichten. Fiel es Ihnen schwer?

Foer: Nein. Aber es ist eine sehr persönliche Entscheidung, und ich würde sie nicht von anderen verlangen. Doch als mir klar wurde, wie schwer die Herkunft von Fleisch meistens zu ergründen ist, habe ich mich für einen klaren Schnitt entschieden. Selbst wenn einige wenige Landwirte nach guten Kriterien arbeiten: Ich möchte das System der Fleischproduktion nicht unterstützen, so wie ich das System der Kinderarbeit nicht unterstützen will. Ich habe auch nicht die Zeit und die Energie, um bei jedem Bissen herauszufinden, woher er wirklich kommt.

Es verkompliziert mein Leben überhaupt nicht, ein Vegetarier zu sein. In den Küchen des Nahen Ostens, in den asiatischen oder auch in der italienischen Küche gibt es zahlreiche Alternativen zu Fleisch. In Paris fand ich es ein bisschen schwierig, mich vegetarisch zu ernähren, und auf dem Land in Großbritannien ebenfalls. Und manchmal vermisse ich Fleisch auch. Aber ich vermisse alle möglichen Dinge im Leben.

SPIEGEL ONLINE: Wie verhalten Sie sich bei offiziellen Anlässen, etwa bei Empfängen oder Abendeinladungen?

Foer: Das war noch nie ein Problem. Wenn meine Frau und ich zu einem privaten Essen eingeladen werden, kündigen wir vorher an, dass wir Vegetarier sind. Vor zehn Jahren erregte so eine Mitteilung wohl noch Aufsehen. Heute fragt niemand mehr nach: Warum das denn? Es gibt inzwischen ein viel größeres kulturelles Bewusstsein für solch eine Entscheidung.

SPIEGEL ONLINE: Das Lieblingsgericht Ihrer Kindheit war Hühnchen mit Möhren. Ihre Großmutter, so schreiben Sie in Ihrem Buch, hat es immer für Sie gekocht, und sie war glücklich, wenn es den Enkeln schmeckte. Wie haben Sie ihr erklärt, dass Sie fortan auf Hühnchen verzichten werden?

Foer: Als das Buch gerade erschienen war, habe ich zum ersten Mal mit ihr über das Thema gesprochen. "Glaubst Du, dass Tiere Schmerzen empfinden können?" habe ich sie gefragt, und sie sah mich an, als habe ich die dümmste Frage der Welt gestellt. Dann antwortete sie mir: "Natürlich tun sie das. Und was wir ihnen antun, ist wirklich schrecklich. Aber ich bin zu alt, um mich noch zu ändern." Dafür habe ich volles Verständnis.

SPIEGEL ONLINE: Sie bauen also auf die Einsicht und die Flexibilität der jüngeren Generation?

Foer: Jüngeren Menschen fällt es natürlich viel leichter, ihr Verhalten zu ändern. Ein Beispiel: In Amerika sind mittlerweile vier bis fünf Prozent der gesamten Bevölkerung Vegetarier. Aber in den Colleges sind es schon 18 Prozent - und damit gibt es dort mehr Vegetarier als Katholiken. Die Bereitschaft, fleischlos zu leben, wächst, weil mehrere Gründe zusammentreffen: Es sind zunehmend mehr Informationen über Massentierhaltung verfügbar. Die Konsequenzen erfordern dringlicheres Handeln. Die jungen Menschen sind willig, ihr Verhalten zu ändern. Und es geht vielen längst nicht mehr um eine Wahl des Lebensstils. Es geht ihnen darum, dass Fleischverzicht besser ist für die Welt. Immer mehr Menschen wollen sich an dem Schaden, den der Fleischkonsum in dieser Welt anrichtet, nicht beteiligen.

SPIEGEL ONLINE: Fühlen Sie sich besser, weil Sie auf Fleisch verzichten?

Foer: Manchmal fühlt es sich schrecklich an, ein Vegetarier zu sein. Wenn jemand kocht, den man liebt - und dann isst man es nicht. Der Verzicht bereitet zwar auch ein Vergnügen, aber es ist eine ganz andere Art von Vergnügen. Es ist ein bisschen mit meinem Beruf vergleichbar: Ich schreibe wirklich nicht gerne, aber ich liebe es, ein Schriftsteller zu sein. Ich hasse die Leere am Anfang eines Kapitels, aber am Ende der Woche bin ich doch sehr froh über die Lebensform, für die ich mich entschieden habe. Aber davon abgesehen: Sich gut zu fühlen, sollte vielleicht nicht unser Maßstab im Leben sein.

SPIEGEL ONLINE: Was haben Sie dagegen?

Foer: Uns gut zu fühlen, das ist nicht das Wichtigste, das wir im Leben machen können. Es gehört sicherlich zu einem guten Leben dazu, aber es kann nicht das Ziel sein. Man sollte versuchen, sich so in der Welt zu bewegen, dass man Leiden reduziert. Ein gutes Leben bedeutet, sich im Spiegel anzusehen und sagen zu können: Das bin ich, und ich bin nicht perfekt, aber ich versuche, achtsam mit den Dingen umzugehen, die wirklich zählen.

SPIEGEL ONLINE: Sie haben zwei Söhne, die ein Jahr und vier Jahre alt sind. Haben die schon einmal Fleisch probiert?

Foer: Das weiß ich nicht. Von meiner Frau und mir bekommen sie es nicht. Aber irgendwann werden sie es wahrscheinlich irgendwo probieren. Ich wäre sehr überrascht, wenn nicht eben das passieren würde. Ich würde den Kindern auch nicht verbieten, Fleisch zu essen; ich habe es ja selbst so oft getan. Aber es ist für Kinder eigentlich logischer, kein Fleisch zu essen. Man liest ihnen Bilderbücher vor, in denen Tiere eine Rolle spielen; sie haben Haustiere, mit denen sie liebevoll umgehen sollen. Die Idee, dass man Tiere tötet, um sie zu essen, ist für Kinder seltsam. Es ist schwer zu verstehen, warum man einen Hund nicht schlagen, das Lamm aber essen soll.

SPIEGEL ONLINE: Ist es denn nicht auch Teil einer kulturellen Erziehung, einen Geschmack für Fleisch auszubilden?

Foer: Das ist kein Argument. Es ist noch gar nicht lange her, da gehörte es auch zu unserer Kultur, Frauen nicht als gleichberechtigt anzusehen. Und ein großer Teil der Menschheit sieht Frauen immer noch als Wesen zweiter Klasse an. Sollten wie deshalb unsere Kinder in diesem Sinne erziehen? Doch wohl kaum.

SPIEGEL ONLINE: Haben Sie heute, als Vegetarier, überhaupt ein anderes Verhältnis zum Essen?

Foer: Es mag sich merkwürdig anhören: Ich habe mehr Lust am Essen, seit ich Vegetarier bin. Ich denke mehr darüber nach, und ich esse abwechslungsreicher. Die Wahl einzuschränken bedeutet manchmal ja, den Horizont zu erweitern. Meine Frau und ich verbringen viel mehr Zeit mit Kochen und Einkaufen.

Einige halten mich nun für den Experten für Massenfleischproduktion, aber geplant war das nicht. Ich habe dieses Buch geschrieben, weil ich so viel über das Thema erfahren hatte, aber keine Bücher gefunden hatte, die sich unideologisch damit auseinandersetzen. Wüsste ich, dass jemand hundert Meter neben mir Dreck ins Wasser schmeißt, würde ich womöglich in der örtlichen Zeitung auch darüber schreiben.

Ich möchte zu einer Debatte beitragen, in der es darum geht, wie wir es besser machen können. Und es gibt keinen guten Weg, um sechs Milliarden Menschen mit 50 Milliarden Tieren zu ernähren. Also müssen wir es lassen.

Das Interview führte Katja Thimm
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