Margarete Stokowski

Streit um Gedicht an Hochschulfassade Sind Männer nicht auch hübsch?

Aufregung um ein Wandgedicht von Eugen Gomringer: Ein Berliner Asta erkennt patriarchale Muster darin. Eine Lyrik-Debatte, wie schön eigentlich! Wenn nicht bloß wieder nur Totschlagargumente kämen.
Eugen-Gomringer-Gedicht an Hausfassade

Eugen-Gomringer-Gedicht an Hausfassade

Foto: DPA/ASH Berlin/David von Becker

An der Fassade der Alice-Salomon-Hochschule in Berlin hängt seit 2011 ein Gedicht des Schriftstellers Eugen Gomringer, mit dem Titel "avenidas", auf Spanisch. Auf Deutsch geht es so: "Alleen / Alleen und Blumen / Blumen / Blumen und Frauen / Alleen / Alleen und Frauen / Alleen und Blumen und Frauen und ein Bewunderer".

Der Streit, der sich an diesem Gedicht entzündet hat, wäre vielleicht nicht der großen Rede wert: Bisschen Kunst an einer Wand und ein paar Leute stören sich daran. Nur finden die Kritikerinnen und Kritiker des Gedichts die paar Zeilen nicht einfach nur nicht schön, sondern sexistisch, und es geht um eine Hochschule.

Die Debatten darum, was an Unis gesagt oder geschrieben werden darf, werden seit einer Weile als Gradmesser für die vermeintliche Übergeschnapptheit politischer Korrektheit gesehen. Dann geht es zum Beispiel darum, ob literarische Klassiker noch gelesen werden sollten, wenn sie rassistische oder sexualisierte Gewalt beschreiben, oder ob eine Mensa Sushi oder Bánh mì in einer Billigversion anbieten darf, die mit den Originalrezepten wenig zu tun hat.

Das "avenidas"-Gedicht scheint aufgrund seiner Kürze ein besonders simpler Fall zu sein. Weder wird eine Kultur lächerlich gemacht noch jemandem Gewalt angetan. Ein Mann steht rum und guckt. Ein Spanner scheint es nicht zu sein, bloß ein "Bewunderer".

Gute Sexismus-Probe

Trotzdem sei das Gedicht an der Fassade nicht besonders gern gesehen, schrieb der Asta der Hochschule im Frühjahr 2016 in einem offenen Brief : Das Gedicht wiederhole das patriarchale Muster "Mann guckt Frau als Muse an und wird dadurch schöpferisch tätig", außerdem erinnere der Text an die sexuelle Belästigung, die für Frauen Alltag sei - auch an der Uni: Die U-Bahn-Station und der Platz neben der Hochschule seien Orte, an denen Frauen sich oft unwohl fühlten, und das Gedicht wirke somit "wie eine Farce und eine Erinnerung daran, dass objektivierende und potentiell übergriffige und sexualisierende Blicke überall sein können". Nun läuft bis Mitte Oktober eine Ausschreibung, aufgrund derer Vorschläge eingereicht werden können, was mit der Fassade geschehen soll: "avenidas" abnehmen, erweitern, stehen lassen, oder ganz anders.

Vom Dichter, der inzwischen 92 Jahre alt ist, ist kein öffentliches Statement bekannt, nur seine Tochter Nora-Eugenie Gomringer - auch Dichterin - erklärte auf Facebook  und in der "Welt" , dass die Sexismusvorwürfe albern seien, und versuchte eine Rettung per Gedichtanalyse: Der "Bewunderer" sei kein Macho oder Beherrscher, sondern einfach Teil einer Szene. Es bedürfe nur des Wortes "und", um Menschen zu verbinden, und dieses "und" wünsche sie auch allen Beteiligten.

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Das klingt schön simpel, aber ist auch etwas billig, denn es nimmt die Kritik des Asta nicht direkt auf: Dort ist ja gerade nicht davon die Rede, dass das Gedicht einen ekligen Typen zeigt, der Frauen hinterhergafft, sondern es ist von einer Kultur die Rede, in der Frauen eher zu Objekten gemacht werden als Männer, und eben oft zu Objekten für Männer - und dieser Kritik kann sich "avenidas" schwer entziehen, wo doch der einzige Mann, der vorkommt, eben nicht "ein Mann" ist, sondern "ein Bewunderer", und die Frauen keine speziellen Rollen haben, sondern eben einfach "Frauen" sind.

Jetzt könnte man sagen, das ist übertrieben: Lasst den Mann doch gucken. Aber würde das Gedicht andersrum funktionieren? (Gute Sexismus-Probe: Rollen umkehren und sehen, ob es bizarr wird. Wenn ja: erhöhte Sexismus-Wahrscheinlichkeit.) Würden wir es auf dieselbe Art, nur "andersrum" verstehen, wenn da stünde "Alleen und Blumen und Männer und eine Bewunderin"? Vielleicht.

Würden wir es anders verstehen, wenn da nicht "Frauen" stünde, sondern "Menschen"? Oder "Notärztinnen" oder "Obdachlose"? Sind "Frauen" an sich bewundernswerter als "Menschen"? Sind sie schöner? Männer sind doch auch bewundernswert und schön, manchmal, könnte man sagen. Geht es überhaupt um Schönheit, oder könnte es auch um Intelligenz gehen, zum Beispiel, auch wenn die Aneinanderreihung mit Alleen und Blumen das jetzt nicht unbedingt nahelegt?

Manche Diskriminierung ist wohlwollend gemeint

Es ist nicht so verkehrt, darüber zu diskutieren. Wenn nicht ständig Dichterfürsten wie Gunnar Schupelius von der "BZ"  in die Debatte grätschen würden, die schreiben: "Nun wird mitten in Berlin im Jahr 2017 ein Liebesgedicht zensiert. Auf Betreiben einer Art politischer Studentenpolizei. Wer hätte das gedacht!" Ja, wer hätte das gedacht, außer denen, die meinen, wir leben in einer feministischen Diktatur? Niemand, und mit Recht.

Andere schaffen es, die Sache etwas differenzierter zu sehen. So sagte die Literaturwissenschaftlerin Barbara Vinken im Deutschlandfunk , es handle sich um ein "sehr bewundernswürdiges Gedicht, das die Schönheit der Welt einfach in fünf Wörtern erblühen lässt", allerdings sei die Welt offenbar nicht bloß schön, sondern auch so, dass gewisse frauenfeindliche Interpretationen für einige Leute näher lägen als frauenfreundliche - und das sei bedenklich. Das wiederum dürfe man nur eben nicht "Gomringer in die Schuhe schieben".

Wenn man zusätzlich die Kommentare zur "avenidas"-Debatte in den sozialen Netzwerken liest, scheint es ein paar festgelegte Ausfahrten zu geben, die man in dieser Frage nehmen kann: Entweder man stimmt dem Asta zu und sieht in dem Gedicht etwas, das patriarchale Ungleichheiten fördert. Oder man stimmt nicht zu und hält wahlweise den Asta für bekloppt (wie Schupelius) oder die Kunst für schöne, unschuldige Kunst (wie Vinken). Die einen verstehen nichts von Kunst, die anderen nichts von Politik, so scheint es.

Etwas unter geht dabei die Variante, dass an der Kritik des Asta etwas dran sein könnte und trotzdem die bloße Abschaffung des Gedichts vielleicht gar nicht das Mittel der Wahl ist. Offensichtlich gibt es auch Diskriminierung, die wohlwollend gemeint ist - etwa wenn man Frauen immer als besonders sozial oder Leute aus Afrika als besonders musikalisch beschreibt.

Aber vielleicht wäre es trotzdem möglich, diese Form von Debatten (eine Lyrik-Debatte, wie schön eigentlich!) zu führen, ohne dass es allzu bald darum geht, wem etwas weggenommen wird: ein Liebesgedicht der Uni, Komplimente den Frauen, Augenbewegungsfreiheit den Männern. Sondern ganz, ganz vielleicht könnte das mal eine Debatte sein, in der am Ende rauskommt, dass Leute Dinge unterschiedlich wahrnehmen, ohne dass jemand "politische Korrektheit" ruft, denn sobald dieser Begriff fällt, kann man meistens direkt schlafen gehen, ist gesünder.

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