Fotostrecke

Historische Fasten-Tipps: Bitte ein Brunnen-Ferkel!

Foto: David Silverman/ Getty Images

Fasten mit Genuss Fisch und Bier, euch lob ich mir!

Bikinifigur, wo bist du nur? Derzeit ist für viele Menschen Fastenzeit, also Leidenszeit. Doch ein Blick in die religiöse Geschichte der Hungerkur zeigt uns Wellness-Jüngern ein paar Wege auf, um den Abmager-Marathon entspannter zu überstehen: Bier, Fisch und Hirsche aus dem Fluss sind erlaubt.

Wer die allgemeine Askese von Aschermittwoch bis Gründonnerstag nur aus den Rezepten der "Brigitte"-Frühjahrsdiät kennt, darf gern einmal einen Blick in die diesjährige Fastenbotschaft von Papst Benedict XVI.  riskieren: "Liebe Brüder und Schwestern, durch die persönliche Begegnung mit unserem Erlöser und durch Fasten, Almosengeben und Gebet führt uns der Weg der Umkehr auf Ostern hin zur Wiederentdeckung unserer Taufe. Empfangen wir in dieser Fastenzeit wieder neu die Gnade, die Gott uns in jenem Moment geschenkt hat, damit er all unser Handeln erleuchte und leite."

Um Erleuchtung und innere Führung geht es - neben der Wiederherstellung der Bikinifigur - vielen Fastenden dieser Tage auch unabhängig von ihrer Kirchensteuerveranlagung. Ähnlich wie der Dauerläufer, der nach dem Einschlag des Runners High lockeren Schrittes bis zum Organversagen weiter laufen kann, erscheint vielen Fastenden nach ein paar Tagen des Nichtessens jegliche Notwendigkeit der Nahrungsaufnahme als Relikt aus einer fernen Zeit der Kalorienknechtschaft. Die Körperstraffheit, oft begleitet von der Geradlinigkeit der Gedanken, nimmt zu, wenigstens ein Weilchen. Wie es danach weiter geht, könnten Verhungerte aller Couleur erzählen, vom Expeditions-Nichtheimkehrer bis zum frühverschiedenen Supermodel-Magermädchen. Wenn sie nicht gestorben wären.

Nur drei Pfund Bier für die Nonne

Schweigen, innere Einkehr, das Erhören der tiefsten Stimmen unseres Körpers - das ist der nächste große Topos dieser Wochen. Ein schwieriges Thema, gerade für flinkzüngige Frauenportalchatterinnen auf der Suche nach dem verschütteten Ich. Wochenlang hören sie hinein in ihren Körper, glühbackig hoffend, die neue Stille sei etwas anderes, höheres als die alt bekannte Leere. Wenn sie Glück haben, lernen sie dabei ein bisschen. Zum Beispiel, dass äußere Schönheit nur ein paar Hautschichten tief reicht, meist noch nicht einmal bis zum Unterhautfettgewebe, aus dem heraus rasch die Schokoladenpickel der unausweichlichen Fastenbrechverzweiflung sprießen.

Und so wird aus den Askesewochen der 18-60-Jährigen (für jüngere und ältere Menschen ist Fasten nicht empfehlenswert) eine Art Magen-Marathon, bei dem Dabeisein alles ist, und, selbst bei Aufgabe vor dem Erreichen der halben Strecke, noch immer der Weg das Ziel sein kann. Hier helfen dann nicht nur solche fernöstlichen Religionsversatzstückchen weiter, sondern schon der kurze Griff in den Katechismus-Kanon mitteleuropäischer Fastenregeln.

Denn wie bei allen eisernen Regeln des Daseins sind auch beim Fasten vor allem die Ausnahmen interessant. Das beginnt schon mit der täglichen Flüssigkeitsaufnahme: Die meisten Biere des Mittelalters waren süsslich-dickflüssig gebraut, und damit als "flüssiges Brot" hervorragend geeignet, die schlimmsten Hungerphasen der kirchlichen Fastenperioden zu überwinden. "Liquida non frangunt ieunum" - Flüssiges bricht das Fasten nicht, weswegen schon im Jahr 817 auf dem Konzil zu Aachen exakt geregelt werden konnte, wie viel Bier Klosterinsassen zusteht: "Der Chorherr bekommt fünf Pfund Bier, die Nonne aber nur drei Pfund." Täglich.

Fische sind erlaubt. "Fischartige" Tiere auch

"Cervisiam bibat" empfahl denn auch Hildegard von Bingen in ihrem medizinischen Werk "causa et curae". "Trinket Bier." Damals ein guter Tipp nicht nur zur Fastenzeit, weil diese beim Brauprozess lange Zeit "abgekochte" Flüssigkeit in Waffenbruderschaft mit dem antiseptischen Hopfen eines der keimärmsten Getränke darstellte.

Was kulinarisch sonst noch aus den Fastenvorschriften heraus fällt, hat Paul Jakob Marperger 1716 in seinem Werk "Vollständiges Küch- und Keller-Dictionarium, in welchem allerhand Speisen und Beträncke, bekannte und unbekannte, gesunde und ungesunde, einheimische und ausländische, wohfeile und kostbare nothwendige und entbehrliche und andere wie sie Nahmen haben mögen mehr beschrieben" verzeichnet: "Die Fische aber (...) darf man essen, denn es haben solche kein rechtes wahres Fleisch."

Die Franzosen, seit jeher gläubig wie schleckermäulig zugleich, erlaubten den Genuss von Enten, weil diese, obschon als Vögel verboten, kaltes, fischähnliches Blut haben, während die Deutschen auf dem Fastenfleisch von "fischartigen" Tieren herumkauten, das sie in der Form von Fischotterbrust, Biberschwanz oder den "Grimbart" genannten Dachsbraten auf die Teller brachten.

Was man aus dem Wasser zieht, darf verspeist werden

Andererseits gibt es aus der Sicht des Feinschmeckers, der sich beim Lebensmitteleinkauf primär jahreszeitlich orientiert, ohnehin keine geeignetere Zeit, wenig bis gar nichts zu essen, als diese Wochen im März und April. Die Obst- und Gemüse-Lager der Vorjahressaison sind leer gefuttert, die Kartoffeln verschrumpelt, der Speck der letzten Vorweihnachtsschlachtung aufgezehrt, die im Winter geborenen Nutztiere aber noch zu jung und als Lamm denn auch erst am Ostersonntag groß genug, die Familie zu sättigen.

Trotz dieses perfekten Timings der Fastenzeit war auch in den Jahrhunderten ohne transglobale Kühlkettenlogistik das Fleisch des Menschen immer wieder schwächer als sein Geist willig, wie weiland Jeschua von Nazaret 40 Tage fastend und betend in der Wüste zu verbringen. Vor allem Benediktinermönche galten als Top-Performer beim Herrgottbescheißen. Sie umgingen das Alkoholverbot, indem sie das Bierbrauen erfanden, warfen Spanferkel in den Klosterbrunnen und blutig gejagte Hirsche in den Fluss - was man aus dem Wasser zieht, kann ja nichts anderes als ein Fisch sein.

Und wer in diesen Tagen trotz der bekannten Vorzüge von Omegasonstwasfettsäuren noch nicht mal auf Fisch ausweichen möchte, kann den beliebten Rabbiwitz beim Metzger nachspielen: "Gib' mir von die Fisch", sagt er, auf die Rinderlende deutend. "Aber das ist Rinderlende", entgegnet der Schlachter.

"Ist doch mir egal, wie Du nennst die Fisch!"

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten