
Frank Schirrmacher: "FAZ"-Herausgeber und Bestsellerautor
"FAZ"-Herausgeber Frank Schirrmacher ist tot
Frankfurt am Main - Seit 1994 war Frank Schirrmacher Mitherausgeber der "FAZ". Verantwortlich für Feuilleton und Wissenschaft, prägte er die intellektuelle Debatte in der Bundesrepublik. Mit Sachbüchern wie "Das Methusalem-Komplott" und "Minimum" wurde er zum Bestsellerautor. Völlig unerwartet ist Schirrmacher nun im Alter von 54 Jahren verstorben. Das bestätigte die "Frankfurter Allgemeine" auf Nachfrage von SPIEGEL ONLINE.
Frank Schirrmacher wurde 1959 in Wiesbaden geboren. Er studierte Germanistik, Anglistik und Philosophie und promovierte mit einer Arbeit über Franz Kafka und den US-amerikanischen Dekonstruktivismus. 1985 wurde er Feuilletonredakteur der "Frankfurter Allgemeinen". Im Januar 1989 übernahm er als Nachfolger von Marcel Reich-Ranicki die Leitung des "FAZ"-Ressorts Literatur.
Spätestens nachdem Schirrmacher Mitte der Neunzigerjahre ins Herausgebergremium der Zeitung aufgerückt war, erwarb er sich den Ruf "ein geniales Gespür für Themen" (so die "Welt am Sonntag") zu haben. Das herkömmliche Verständnis von Kulturjournalismus stellte Schirrmacher immer wieder lustvoll infrage - so in der viel gerühmten Ausgabe vom 27. Juni 2000, in der anlässlich der Entschlüsselung des menschlichen Genoms auf mehreren Feuilleton-Seiten DNA-Sequenzen abgedruckt waren.
Federführend war Schirrmacher auch bei der erfolgreichen Gründung der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" im Jahr 2001. Mit den bis 2002 erscheinenden "Berliner Seiten" der "FAZ" schuf Schirrmacher eine Lokalbeilage, wie es die in der Bundesrepublik noch nicht gegeben hatte - der von Florian Illies geleitete Teil war derart geistreich und verspielt, dass ihn sich Hans Magnus Enzensberger angeblich eigens nach München schicken ließ.
"Die Kontrolle über unser Denken zurückgewinnen"
Durch seine Weigerung, Martin Walsers Roman "Tod eines Kritikers" vorab zu veröffentlichen, löste Schirrmacher 2002 ebenso eine heftige öffentliche Debatte aus, wie mit dem im August 2006 publizierten Gespräch mit Günter Grass, in dem der Nobelpreisträger eingestand, Mitglied der Waffen-SS gewesen zu sein.
In der Finanzkrise des Jahres 2008 wandte sich Schirrmacher gegen die neoliberale Doktrin: "Ein Jahrzehnt enthemmter Finanzmarktökonomie entpuppt sich als das erfolgreichste Resozialisierungsprogramm linker Gesellschaftskritik." Unter der Überschrift "Demokratie ist Ramsch" diagnostizierte er 2011 eine Deformation des Parlamentarismus im Namen einer höheren, "finanzökonomischen Vernunft".
Immer wieder setzte sich Schirrmacher mit den kulturellen Folgen von Internet und Digitalisierung auseinander. Er veröffentlichte das Buch "Payback" mit dem Untertitel "Warum wir im Informationszeitalter gezwungen sind zu tun, was wir nicht tun wollen, und wie wir die Kontrolle über unser Denken zurückgewinnen".
Noch Anfang Juni 2014 schrieb er über Jaron Lanier, den Träger des Friedenspreises des deutschen Buchhandels - eine Entscheidung, die er begrüßte: "Was wäre optimistischer als die Hoffnung, dass Menschen, Gesellschaft und Politik imstande sind, die normative Kraft von Technologien zu regulieren?"
Die "FAZ" würdigt ihren langjährigen Herausgeber in einem Nachruf als "sprach- und wirkmächtigsten Kulturjournalisten, den Deutschland je hatte". Niemand, der sich auch nur ein wenig für die Welt des Geistes interessiere, "wird diese Nachricht fassen können", heißt es weiter. In einer ersten Stellungnahme hob die "FAZ" seinen analytischen Blick hervor, der "das Wesentliche im Wandel" erfasst habe. "Indem er das Feuilleton zu einem Forum der Zeitdiagnose ausbaute, war er ein Aufklärer in der besten Tradition des Wortes."
Das ist wahrscheinlich untertrieben. Frank Schirrmacher war ein universal denkender Zeitdiagnostiker mit Breitenwirkung, ein intellektueller Publizist und Zeitungsmacher, wie es in Deutschland nach seinem Tod keinen mehr gibt.