Feminismus-Debatte Durch schick und dünn
179 Tonnen Silikon ließen sich 360.000 deutsche Frauen zwischen 1996 und 2006 in ihre Brüste implantieren, so meldete es die Zeitschrift "Tempo" in ihrer Revival-Ausgabe nach zehn Jahren Pause. Und informierte weiter: "5.500 Euro kostet im Schnitt die Busenvergrößerung mit Silikonkissen. Implantate mit Kochsalzlösung sind deutlich günstiger, verursachen aber nervenzersägende Gluckergeräusche." Die Suizidrate kunstbusiger Frauen, so der lakonische Schluss dieser kleinen Wahrheit über die Welt von heute, sei übrigens 73 Prozent höher als die, Zitat, "naturbelassener" Frauen.
Was aber ist die "Natur" der Frau? In der langen Geschichte des theoretischen und philosophischen Raisonnements darüber, was "die Frau" und was "Weiblichkeit" ausmacht, ist darunter viel subsumiert worden, und meist sind von der Biologie der Frau die fragwürdigsten Rückschlüsse auf ihr "Wesen", auf ihren Charakter, geschlossen worden.
Noch vor 100 Jahren war es angeblich die Natur der Frau, hysterisch, gefühlsbetont und irrational zu sein. Man vermaß ihr Hirn und schloss aus dem Ergebnis, Frauen sollten besser nicht studieren. Heute gelten Mädchen als besonders angepasst und somit besonders erfolgreich in der Schule, und ihre Natur erlaubt es ihnen, ziemlich gut Fußball zu spielen.
Biologie ist eben nicht Schicksal: Viele Frauen haben bewiesen, dass ihre weibliche Natur ihnen keinen Lebensweg und kein Identitätsmodell vorschreibt: Es gibt Frauen mit Kindern und ohne, Frauen, die Frauen lieben oder Männer, Frauen, die Karriere machen, und Frauen, die das nicht tun und dann gibt es auch noch Frauen, die sich entscheiden, keine mehr zu sein, sondern Männer, sei es als soziale Rolle oder physisch durch Operation. Kurz: Wer die Natur der Frau ins Feld führt, gibt zwar vor, mit einem unhintergehbaren Faktum zu argumentieren doch er betreibt dabei Politik. Wer heute von der "Natur der Frau" spricht, muss sich darüber im Klaren sein, dass er damit gerade nicht eine irgendwie ursprüngliche, eben "natürliche" Kategorie benutzt, sondern ein ideologisch hoch aufgeladenes theoretisches Konzept.
Trotzdem gibt es im alltäglichen Sprachgebrauch und natürlich auch im Empfinden der Frauen etwas, was man vielleicht weniger die weibliche Natur nennen sollte als einfach den eigenen weiblichen Körper. Und wie man der kleinen "Tempo"-Meldung über die Silikonbrust-Epidemie entnehmen kann, ist das Verhältnis der Frauen zu diesem Körper prekär, und es ist in den letzten Jahren nicht leichter geworden.
Zwar haben Frauen immer schon wie auch, wenn auch meist in geringerem Maße, die Männer ihren Körper den herrschenden Schönheitsnormen entsprechend gepflegt, bemalt, verändert, manipuliert.
Doch heute erscheint die künstliche Be- und Überarbeitung des weiblichen Körpers mit Hilfe von im wahrsten Sinne des Wortes einschneidenden Maßnahmen als absolute Selbstverständlichkeit: Kein Fernsehsender ohne seine Schönheitsoperations-Soap, keine Frauenzeitschrift ohne Artikel über die neuesten Facelifting-Techniken plus der entsprechenden Werbeanzeigen der Privatkliniken.
Die Anti-Aging-Konzepte der Zukunft, so informiert beispielsweise die Zeitschrift "Amica", bestehen in "medizinischer Vorsorge", die schon 25-Jährige beginnen. Zwar habe sich in den letzten Jahren der Trend in der "Beauty-Medizin" grundlegend geändert: Die Barbie-Ästhetik, die alle Frauen nach einem Facelifting die gleichen starren Gesichtszüge verlieh, sei passé, stattdessen solle jetzt alles was sonst? "natürlich" aussehen.
Doch diese "Natürlichkeit" muss mit einer ganzen Serie von frühen Eingriffen mühsam hergestellt werden! Das erste Fruchtsäurepeeling ist mit 25 fällig, kurz danach werden die ersten Augenfältchen unterspritzt. Auch Botox, das aus der Epilepsietherapie stammende Lähmungsgift Botulinumtoxin, das höchstverdünnt in die Falten-Zonen gespritzt wird, soll neuerdings schon vorbeugend angewandt werden. Es legt für einige Monate den Muskel, der die Falte verursacht, lahm, die Haut darüber bleibt glatt.
Wer also ab 25 mit teilweise gelähmten Gesichtsmuskeln herumläuft, kann das Lifting des Gesichtes, so die frohe Botschaft des "Amica"-Artikels, um Jahre herauszögern: "Der frühe Einsatz hat sich gelohnt: Petra, 47, sieht aus wie 35 und verschwendet keine Gedanken an ein Facelifting wie so manche ihrer Altersgenossinnen."
Woran Petra, 47, allerdings sicherlich Gedanken verschwendet, ist ihre Figur. "Girls just wanna have fun", steht in der "Vogue" neben den Fotos von den Models, die die neuesten Sommerkleider präsentieren. Doch zumindest an der Nahrungsaufnahme scheinen diese jungen Frauen nicht besonders viel Spaß zu haben: Puppenhaft zart sind ihre Gliedmaßen, die Oberschenkel unter den kurzen Röcken haben den Umfang anderer Leute Oberarme.
Einer französischen Studie zufolge konsumieren die durchschnittlich 1,78 Meter großen jungen Models dort bei 55 Kilogramm Körpergewicht täglich nicht mehr als 1000 Kalorien halb so viel, wie eine erwachsene Frau zu sich nehmen sollte. Die klassische Model-Diät, kein Fleisch und viel Salat, führt zu Kalzium- und Eisenmangel; bei 60 Prozent der Models bleibt durch Stress und falsche Ernährung die Menstruation aus. Schönheitsköniginnen der zwanziger Jahre hatten noch einen gesunden Body-Mass-Index (Körpergewicht geteilt durch Körpergröße zum Quadrat) von 20 bis 25, die heutigen Models haben um die 18,5 ab 17,5 beginnt die Magersucht.
Askese, nicht nur bei Models
Die extreme Askese ist nicht auf den Berufsstand der Models beschränkt: Auch Schauspielerinnen, Sängerinnen und andere Celebrities treten heute vorwiegend fettfrei in die Öffentlichkeit, und die Yellow Press wird nicht müde, die jeweiligen Taillenumfänge zu diskutieren: Nehmen sie einen Zentimeter zu, vermutet man gleich Schwangerschaft, nehmen sie einen Zentimeter ab, wird baldige Einlieferung in eine Klinik für Essstörungen erwartet. Und ein weibliches Hinterteil stellt man sich heute so schmal und dellenfrei vor wie auf der Werbung für die Tanga-Unterhosen der Marke Sloggi. Nur dass die Sloggi-Popos ihre makellose Symmetrie nur zum Teil von Mutter Natur, zu einem anderen aber von der digitalen Bildbearbeitung geschenkt bekommen haben.
Defizitäre Natur oder natürliche Schönheit?
So ist das weibliche Idealbild unserer Zeit von dem, was zumindest der gesunde Menschenverstand als "natürlich" auffassen würde, weiter entfernt denn je. Das Verhältnis von Weiblichkeit und Natur erscheint immer widersprüchlicher. Einerseits geht im wissenschaftlichen Mainstream wie auch in den populären Diskussionen in den Medien zurzeit nichts ohne den Rückgriff auf die Biologie. Der Titel "Warum Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einparken" des Autorenduos Allan und Barbara Pease ist so sprichwörtlich geworden wie in den siebziger Jahren "Der kleine Unterschied" von Alice Schwarzer. Hemmungslos spricht das Ehepaar Pease von "räumlich beschränkten, quasselnden Sammlerinnen" und "schwerhörigen, sehschwachen, aber sich hervorragend orientierenden Jägern".
Auch in der Alltagspädagogik hat der Glaube an die Gene wieder eingesetzt: Anstatt das Lied der geschlechtsneutralen Sozialisation zu singen, stattet die heutige Elterngeneration ihre kleinen Mädchen wieder mit rosafarbenen Puppen und Kleidchen und ihre Jungs mit futuristischen Lego-Kampfrobotern und hässlichen grüngrauen Outdoor-Hosen aus. Sogar Kinder-Söckchen sind "gegendert". Und in Deutschland fallen publikumswirksame Autorinnen wie Eva Herman in das alte Lied von der "natürlichen Bestimmung" der Frau ein: Die nämlich sei Mutterschaft und Nächstenliebe. So wird die unterschiedliche Rollen- und Machtverteilung zwischen Männern und Frauen in unserer Gesellschaft mit Verweis auf Evolutionsbiologie, Gene und Hormone rhetorisch naturalisiert.
Doch gleichzeitig hat das massenmedial vermittelte Frauenbild, an dem sich jeder und jede orientieren muss, und sei es durch Abgrenzung, weder mit der Natur noch mit der durchschnittlichen weiblichen Physis viel zu tun. In Schönheits-Operations-Sendungen wie "The Swan" wird im Detail gezeigt, wie aus einem Durchschnittskörper ein Normkörper hergestellt wird; wer das einmal gesehen hat, der sieht die aufgemalten Linien für die nötigen Operationsschnitte auf den Fettpolstern gleichsam mit, wenn er einen nackten Frauenkörper wahrnimmt. Der weibliche Körper ist heute ein zu verbessernder, ein zu bearbeitender, ein defizitärer, der erst durch immer ausgefeiltere künstliche Hilfsmittel, Prothesen und Veränderungen zu seiner Bestimmung zu finden scheint: der alterslosen Schönheit.
Und die Idealfrau, wie sie in den Medien erscheint, ist, streng genommen, nicht mal eine Frau. Schauspielerinnen und Models, die in Mainstream-Filmen und Zeitschriften den Frauen als Role Models dienen, sind mager wie viele Mädchen zu Beginn der Pubertät. Auch die Frauenkörper, die in den so genannten Männer-Magazinen erscheinen, haben diese frühpubertäre Magerkeit, und ihre makellos retouchierte Pfirsichhaut und die meist rasierte Scham verstärken den sauberen Lolita-Effekt nur die Brüste sind aufgepumpt, wie blinkende Sexualisierungs-Marker.
Aber noch ist Schönheitschirurgie teuer und insofern nichts für jede. Anders die Diät. Das Hungern ist bei Frauen und Mädchen der häufigste Versuch, den eigenen Körper zu kontrollieren, zu modellieren und an die herrschenden Schönheitsnormen anzupassen.
Nach einer Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung aus dem Jahr 2006 fühlt sich nur knapp die Hälfte aller Mädchen zwischen 14 und 17 in ihrem Körper wohl gegenüber drei Viertel der Jungen. Siebzehn Prozent der Mädchen würden sich einer Schönheitsoperation unterziehen, ein Viertel aller deutschen Mädchen fühlt sich zu dick bei den Jungen ist es ein Achtel. Das Schönheitsideal, das diesen Mädchen in den Medien entgegenlächelt, wird von Frauen geprägt, denen die Weltgesundheitsorganisation gefährliches Untergewicht bescheinigen würde.
Von ärztlicher Seite wird Magersucht als Berufskrankheit der Models sowie als mögliche Folge bei den Konsumentinnen von Bildern dünner Super-Frauen immer wieder kritisch thematisiert, schließlich leiden in Deutschland um die 700.000 Menschen an Magersucht oder Bulimie, zehn bis fünfzehn Prozent der Betroffenen sterben an den Folgen der Krankheit.
Die Modebranche versucht zaghafte Gegenmaßnahmen: Bei den Madrider Modewochen im September 2006 durfte erstmals kein Model mehr auf den Laufsteg, das einen BMI unter 18 hatte, und auch in Italien soll diese Regel zukünftig gelten. Immer wieder regt sich in der Yellow Press und beim Publikum ein Hauch von Protest gegen die supermageren Körper der Models und Filmstars: Magersucht bei Stars ist ein beliebtes Skandal-Thema, und wer in den Verdacht gerät, seine Diäten nicht mehr unter Kontrolle zu haben, bekommt schlechte Presse.
"Bügelbrett mit Silikontüten", so lautete der Kommentar entnervter Fernsehzuschauerinnen im Internet über Sarah Jessica Parker, den blonden Star der beliebten Serie "Sex in the City". Und Calista Flockhart, bekannt geworden als Fernseh-Anwältin Ally McBeal, musste ständig Gerüchte über eine Essstörung dementieren. Dass die "Ally McBeal"-Serie eingestellt wurde, hatte nicht zuletzt mit dem Überdruss des Publikums angesichts der superdünnen Darstellerin zu tun.
Radikal minimal
Trotzdem ist der Trend zum aufs Minimum reduzierten Frauenkörper nicht zu brechen. Kate Moss, die Ikone des mangelernährten, ein bisschen kaputten Punk-Chic der frühen Neunziger, ist populär wie nie, und von Victoria Beckham bis Paris Hilton tragen die Celebrities die neuen Jeans der Größe Zero: ein Format, in das normalerweise nur zehnjährige Mädchen hineinpassen dürften.
Die Absurdität dieses Frauenbildes und auch die Zwanghaftigkeit, mit der der weibliche Körper per Skalpell an seine Normen angepasst wird, sind offensichtlich, und die meisten Frauen, die sich zum Feminismus bekennen oder auch nur einer emanzipierten Haltung zustimmen, würden beim Kaffee gemeinsam über Bügelbretter mit Silikontüten und über Victoria Beckhams magere Schenkel lästern. Doch eine ernsthafte Kritik dieses Frauenbildes wird allenfalls sehr zurückhaltend vorgetragen.
Das liegt einerseits daran, dass das Feld der Schönheit ein Bereich ist, in dem immer noch, und immer wieder Frauen untereinander konkurrieren. Hier aus Gründen der Solidarität bestimmte Zuschreibungen und Zumutungen abzulehnen, würde einen Rückzug aus dem Spiel der Geschlechter bedeuten, und dazu ist die heutige Generation von Frauen nicht bereit. Die Girlies der neunziger Jahre haben die Verbindung eines leicht trotzigen Postfeminismus mit kurzen Röcken und offensiver Sexyness etabliert. Auch und gerade selbstbewusste Frauen definieren weibliche Attraktivität heute wieder sehr klassisch, vom Push-Up-BH bis zu den verlängerten Wimpern.
Wenn sogar Männer sich zunehmend um Teint, Waschbrettbäuche und straffe Bizeps sorgen, dann können sich Frauen dieser äußerlichen Selbstsorge erst recht nicht entziehen; sich begehrenswert zu fühlen ist eine der wichtigsten Grundlagen für Zufriedenheit mit sich selbst, und selbst wenn man rational Kritik an herrschenden Schönheitsidealen formulieren könnte, heißt das noch längst nicht, dass man ihnen nicht erliegt.
Doch nicht nur, weil man selbst schön sein will, ist es schwer, den Schönheitsterror systematisch zu kritisieren. Es kann Freiheit bedeuten, seinen eigenen Körper zu genießen, wie er ist, ohne ihn herrschenden Schönheitsnormen unterwerfen zu müssen. Aber persönliche Freiheit muss auch heißen, dass frau diesen Körper manipulieren und verändern kann, wenn sie es will denn Biologie sollte ja kein Schicksal sein. Es ist wie bei dem in der feministischen Bewegung weiterhin umkämpften Bereich der Reproduktionsmedizin: Techniken künstlicher Befruchtung gehen reduktionistisch mit dem weiblichen Körper um, sie unterwerfen ihn einer maschinellen Logik und verursachen Schmerzen und Qualen, oft mit wenig Erfolg. Trotzdem ist es problematisch, wenn Frauen andere Frauen dafür kritisieren, dass sie alle Möglichkeiten nutzen wollen, ein Kind zu bekommen.
Von der Freiheit zur Normierung
Die ambivalente Haltung in der Frage nach der weiblichen Natur ist seit jeher auch unter Feministinnen präsent. Diejenigen, deren vorrangiges Ziel die Gleichheit zwischen den Geschlechtern war, haben sich zu Recht vehement gegen die Zuschreibungen gewehrt, die die Identifikation der Frau als soziale Akteurin mit ihrer Natur mit sich bringt, schließlich war die so genannte Natur der Frau jahrhundertelang das vorrangige Argument des Patriarchats beim Versuch, die Frauen von der Teilhabe an sozialer und wirtschaftlicher Macht auszuschließen.
Wer, wie die Feministinnen der siebziger Jahre, um gerechte Bezahlung und politische Gleichberechtigung kämpft, der neigt dazu, den berühmten Unterschied möglichst zu vernachlässigen. Die Fähigkeit der Frau, zu gebären und das Kind zu stillen, ist der biologische Anlass dafür, dass die Frauen offensichtlich nicht genauso am Arbeitsleben teilnehmen wie die Männer und so war das Kinderkriegen für bestimmte Feministinnen zunächst die Wurzel allen Übels. Genauso die verschiedenen weiblichen Techniken, ihre Attraktivität auf Männer zu erhöhen: Sie sind nicht zuletzt als Indiz für die untergeordnete Stellung der Frau lesbar, für den Status der Frau als subjektloses Sexualobjekt des Mannes.
Kritische Sexyness
So gehört es heute zum Klischee der Siebziger-Jahre-Feministin, dass sie nach herrschenden Normen unattraktiv ist. Und diejenigen Frauen, die heute das Prinzip der Gleichheit im Feld der Ökonomie und Politik alltäglich leben, die Businessfrauen und Politikerinnen, benutzen die modische Strategie der Camouflage: Wer in der Männerwelt mitspielen will, muss sich selbst symbolisch als Mann tarnen, mit Zweiteilern in Grau und mit Bügelfalte und die Ratgeberspalten der Zeitschriften geben Tipps, wie frau mittels Kostümschnitt und Lippenstift ein Quantum Weiblichkeit im Outfit retten kann, ohne anzuecken.
Früh haben bestimmte Strömungen des Feminismus den Versuchen, im politischen Kampf vom weiblichen Körper zu abstrahieren, vehement widersprochen. Vor allem die französischen Theoretikerinnen der Differenz wie Hélène Cixous und Luce Irigaray versuchten, gerade die spezifischen Merkmale der weiblichen Natur wertzuschätzen und zu argumentieren, dass Frauen anders sind. Sie liefen damit zwar nicht mehr Gefahr, den weiblichen Körper schlicht zu ignorieren, rutschten dafür aber gelegentlich in die Esoterik ab und schlossen weibliche Identität wieder allzu simpel mit dem Körper kurz.
So hat es seine Logik, wenn verschiedene avantgardistische Strömungen im Feminismus den weiblichen Körper als möglichst künstlich, das Geschlecht als konstruiert interpretieren wollten. Der Mensch ist nicht, was seine Biologie ihm vorschreibt er handelt, er verhält sich, er agiert und erschafft erst dadurch seine geschlechtliche Identität, kurz Gender. Der Drag King und die Drag Queen, die Transsexuellen, sie alle haben uns gelehrt, dass die sexuelle Identität sich eben nicht automatisch von den Chromosomen und den primären und sekundären Geschlechtsorganen ableitet, sondern dass sie ein soziales Spiel ist, deren Regeln geändert werden können. Und Donna Haraway mit ihrer Theoretisierung des Cyborg-Feminismus hat die These, dass Biologie kein Schicksal ist, mit der Utopie vom befreiten Prothesen- und Roboterkörper kurzgeschlossen.
Von diesen theoretischen Avantgarden führt durchaus ein Weg zu den avancierten Techniken, mit denen eine Frau heute ihr Gesicht, ihre Brüste, ihren Bauch, ihre Schenkel verändern lassen kann. Wenn die Botschaft der plastischen Chirurgie lautet, dass Frauen alles sein können, was sie wollen wenn sie sogar lautet, dass Männer Frauen sein können und Frauen Männer, oder auch irgendetwas dazwischen , dann bedeutet das nicht zuletzt, dass es unmöglich wird, Individuen auf bestimmte Geschlechterrollen festzuschreiben.
Genau dieses Freiheitsversprechen macht die Schönheitschirurgie zu Geld, wenn sie ihre Dienste als Hilfe zur Selbstverwirklichung verkauft. Sie entspricht dabei dem, was ihre Kundinnen selbst als Motiv angeben. Wie bei allen Maßnahmen zur Verschönerung des Körpers, vom Schminken angefangen, geben Frauen, die sich operieren lassen, nicht in erster Linie als Grund an, dass andere Männer, die Umwelt es von ihnen erwarten: Sie tun es "für sich selbst". Das kann man vielleicht sogar so sehen: Den eigenen Körper mit den Schönheitsnormen der Gesellschaft, in der man lebt, in Einklang zu bringen, verspricht Konfliktreduktion, verspricht Befriedigung durch Anerkennung. Dass eine Schönheitsoperation aber nicht automatisch glücklicher macht, darauf könnte nicht zuletzt die vom Tempo erwähnte erhöhte Suizidrate bei Frauen mit Brustimplantaten sprechen. Doch wer sollte sich anmaßen, der einzelnen silikonverstärkten Frau ihre Entscheidung vorzuwerfen?
Kritische Sexyness
Der so genannte Dritte-Welle-Feminismus von heute ist, wie die amerikanische Autorin Leora Tanenbaum kürzlich schrieb, ein "Feminismus mit dem Lippenstift": ein Feminismus, der sich vom lustfeindlichen Image der Vorgängerinnen der sechziger und siebziger Jahre der "Zweiten Welle", bewusst absetzt, der kokett betont, dass es durchaus möglich ist, Feministin zu sein und sexy im Sinne der heterosexuellen Konvention. Eigentlich ist dies ja eine Selbstverständlichkeit: Selbstbewusstsein wirkt schließlich bei allen Geschlechtern attraktiv. Doch noch wirkt der Lippenstift in der Hand einer Feministin manchmal wie eine Trotzgeste in Richtung der ungeschminkten Müttergeneration. Das Trauma des Kampf- und Mannweibes sitzt tief: Auch deutschen Autorinnen wie Thea Dorn merkt man die Anstrengung an, trotz feministischer Forderungen nicht als humorlos zu gelten und vor allem nicht als unattraktiv.
Doch eigentlich souverän wird ein zeitgemäßer Feminismus erst dann, wenn er sich traut, kritisch zu sein, ohne dabei Angst zu haben, als Spaßbremse zu gelten. Und so sollte es auch möglich sein, die Schönheitsindustrie als das zu markieren, was sie ist: ein Business, an dem einige vor allem einige Männer viel Geld verdienen, eine Normierungsmaschine, die Freiheit verspricht, aber selten schenkt.
So ist auch in Bezug auf den Körper der Feminismus eine erfolgreiche Revolution mit Strickfehlern geblieben. Biologie ist längst nicht mehr Schicksal. Alle wissen, dass alles möglich ist, von queer bis kreuz. Es gibt fröhliche Drag Kings mit Holzfällerhemd und Dildo in der Hose, lesbische Paare mit per Samenspende gezeugtem Baby, eine Familienministerin mit Hochsteckfrisur und sieben Kindern. Und doch wird im gesellschaftlichen Mainstream mit seinem Überangebot an sexualisierten Frauenkörpern, mit seinen allgegenwärtigen Silikon-Starlets, mit seinen ultradünnen Role Models, die Normierung des weiblichen Körpers immer gnadenloser. Unsere Bäuche gehören uns. Aber jetzt tragen wir sie zum Chirurgen, zum Fettabsaugen.
Elke Buhr, geboren 1971, ist Kritikerin und Autorin für die Frankfurter Rundschau sowie verschiedene andere Printmedien und Radiosender. Sie lebt in Berlin.