Ausnahme-Performance "Fever Room" Ein Fest der Lebenden und der Toten

Handlung und Darsteller sucht man in "Fever Room" von Apichatpong Weerasethakul vergebens: Die Erzählung des Theaterabends in Graz verliert sich im Spiel der Erinnerungen und des Lichts.
Szene aus "Fever Room"

Szene aus "Fever Room"

Foto: Chai Siris / Kick the Machine Films

Bis zur 50. Minute von "Fever Room" könnte man denken, es handelte sich bei der ersten Theaterarbeit des thailändischen Regisseurs Apichatpong Weerasethakul um einen Film. Um einen Film, der lediglich in einem Theater gezeigt wird - das in diesem Fall noch nicht mal ein richtiges Theater ist, also so ein Ernsthafte-Kunst-Theater. Denn der Ort, in dem "Fever Room" seine Premiere im deutschsprachigen Raum feiert beim Festival Steirischer Herbst in Graz, ist das Orpheum, ein Raum für Konzerte, ursprünglich Varieté-Bühne, hier wurde der Circus Roncalli gegründet. Und in dieser unscheinbaren Räumlichkeit ist nun eine der unglaublichsten Bühnenarbeiten unserer Zeit zu sehen.

"Fever Room" beginnt als Film. Der Zuschauer sitzt auf dem Bühnenboden und schaut auf eine Leinwand, die vor dem geschlossenen Vorhang heruntergefahren ist. Zu sehen sind Bilder, die man aus Apichatpong-Weerasethakul-Filmen kennt oder die so aussehen, als ob man sie daher kennen könnte. Weerasethakul hat 2010 in Cannes die Goldene Palme gewonnen für "Onkel Boonmee erinnert sich an seine früheren Leben". Anfang dieses Jahres kam sein - von "Lindenstraßen"-Erfinder Hans W. Geißendörfer koproduzierter - jüngster Film "Cemetery of Splendour" in die deutschen Kinos.

Das, was in "Fever Room" auf der Leinwand zu sehen ist, könnte eine Art Sequel von "Cemetery of Splendour" sein. Zu hören sind Jen und Itt, die Frau und der Soldat im Krankenhaus, der von ihr gepflegt wird, zwei Charaktere aus dem Film, wobei Charaktere für die Filme von Weerasethakul große Worte sind. Plot sucht man im Kino Weerasethakuls vergebens, das, was in konventionellen Filmen Narration heißt, verliert sich im Spiel mit Erinnerungen und der Logik vom Träumen. Auftretenden Figuren lassen sich Erzählungen aus dem Off zuordnen, die über dokumentarisch anmutenden Aufnahmen liegen.

Regisseur Apichatpong Weerasethakul

Regisseur Apichatpong Weerasethakul

Foto: Chai Siris

Wie effektiv dieses Erzählen ist, zeigt der Anfang von "Fever Room", der eine Art Memory spielt. Die Frauenstimme von Jen benennt Bilder ("Dracula", "King Kong", "Pavillon") auf verschiedene Weise: Mit "Dracula" und "King Kong" werden tollende Hunde bedacht, während "Pavillon" wirklich einen "Pavillon" und "Berge" wirklich Berge meint und der Blick der Kamera bei "Hexagon" auf sechseckige Fußbodenfliesen geht. Danach sind die gleichen Bilder noch einmal zu sehen, nur dass sie diesmal die Stimme von Itt festzumachen versucht. Und wenn Itt sie falsch oder gar nicht benennt, ergänzt man im Stillen die richtigen Zuordnungen und wundert sich nur, wenn dem Memory plötzlich andere Bilder untergemischt sind.

Die Filmbilder zeigen Weerasethakul-Topoi - Passagen zwischen Tod und Leben wie Krankenhäuser, die in den Filmen des Arztsohns immer wieder vorkommen. Außerdem Grenzorte, an denen sich Zivilisation und Natur begegnen: Auf der Straße sind goldgeschmückte Prachtbauten zu sehen, am Ufer unterhalb des Asphalts sprießt das wilde Grün ungestört. Vom wogenden Wasser geht es in eine Höhle hinab.

In "Fever Room" wird der Animismus von Weerasethakuls Filmen, das ständige Miteinander von belebt und unbelebt, noch einmal weitergedacht: Es setzt sich nämlich allmählich der Vorführapparat in Bewegung, das Kino verwandelt sich zum Theater. Eine zweite Leinwand kommt dazu, die Musik, deren Beat die Bilder voranzutreiben scheint, das Licht, das in den Szenen durchdekliniert wird vom Papieranzünden über die Grubenlampe bis zur Straßenlaterne - was ein toller Schnitt ist: Unten in der Höhle sitzt ein Mann in der Vergangenheit oder Zukunft unseres Lebens und macht sich Feuer, und dann ist im nächsten Bild die Straßenlaterne vor einem Wandrelief zu sehen, das der Industrialisierung huldigt.

Szene aus "Fever Room"

Szene aus "Fever Room"

Foto: Chai Siris

Und dann geht nach gut zwei Dritteln des Abends der Vorhang auf und im Zuschauerraum des Orpheum wackelkontaktet die Straßenlaterne, die vorher als Filmbild zu sehen war. Vom Rang her nähert sich ein Licht, das wiederum an die Grubenlampe erinnert, und das für die nächsten 20 Minuten zum Hauptakteur von Weerasethakuls Theater wird.

Das Publikum schaut also ins Licht, wenn es in "Fever Room" Theater guckt, und das Licht modelliert aus Kunstnebel einen Schlund, einen Tunnel, einen Schlauch, von dem man nicht sagen kann, ob er hinab oder herauf führt, ins Leben oder den Tod. Die Mittel von Großraumdisko und Stadionkonzerts definieren hier auf eine überwältigende Weise den Raum, der Theater heißt: Mal trennen Farbschichten den Innenraum des Schlunds, dann gerät alles ins Rollen, und die Lichter produzieren auf dem Nebel Digitaleffekte. Der Höhepunkt des darstellerlosen Theaters ist der Moment, da Filmbilder als Schatten auf den angeleuchteten Kunstnebel projiziert werden.

Für Heiner Müller, der 1985 seinen traumhaften Text "Bildbeschreibung" für den Steirischen Herbst in Graz schrieb, war Theater die Arbeit an der Wiederauferstehung der Toten. Vermutlich muss man sich diese Geister so vorstellen wie in "Fever Room".


"Fever Room" läuft auf dem Festival Steirischer Herbst in Graz. Weitere Informationen finden Sie hier .

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