Fichtners Tellergericht Im Land der dehydrierten Tomatenhäute

Zum Mitschreiben: Das Traubenkernöl in einen Espumabehälter geben und begasen, dann in den Stickstoff sprühen und verkochen lassen - Hobbyköche haben es in der Molekularküche wirklich nicht leicht, findet Ullrich Fichtner. Er rät deshalb: Don't try this at home!

Beim Streit über Wohl und Wehe der Molekularküche kommt in der Regel die Frage zu kurz, ob die großartigen Kreationen der Meister überhaupt ins alltägliche Leben einsickern können. Dürfen wir damit rechnen, bei privaten Einladungen künftig Gummibärchen aus Olivenöl serviert zu bekommen? Weiße Kaffee-Emulsionen? Salziges Nugat? Wird die Hausfrau der Zukunft ihrer Familie geräucherte Gelatine an gehobeltem Stör zum Abendessen hinstellen, verziert vielleicht mit einem Klecks Senf-Luft?

Diese Fragen sind nicht polemisch gemeint, und man muss sie stellen dürfen. Mir fielen sie wieder ein, als ich in dem neuen Buch "Verwegen Kochen" geblättert habe, das jedem zu empfehlen ist, der wissen will, worum es eigentlich die ganze Zeit geht. Die Autoren sind der Koch Heiko Antoniewicz und der Journalist und "Kompottsurfer" Klaus Dahlbeck, ausgewiesene Fachleute alle beide, sie erzählen am Beginn noch einmal knapp und präzise, wie und warum es überhaupt zu El Bulli und Co. kommen konnte, und das allein ist sein Geld wert. Danach folgen auf gut 200 schön bebilderten Seiten die Rezepte.

Ich zitiere hier, wahllos, aus den Anweisungen für ein Makrelengericht mit "Meerwasser-Espuma, heißem Süßkartoffelsaft, Traubenkernölgries", und das geht unter anderem so: "Das Traubenkernöl in einen ISI-Espumabehälter geben und begasen. Den flüssigen Stickstoff in eine Sauteuse gießen. Das Öl direkt in den Stickstoff sprühen und den Stickstoff verkochen lassen. Bis zur weiteren Verwendung einfrieren." So, und teils noch viel toller, geht das immer weiter und weiter.

Bald wird Tomatenhaut im Dehydrator getrocknet, es wird Kürbiskochwasser mit Sucro montiert. Kartoffeln werden pulverisiert, es wird Olivenmilch konstruiert (oder dekonstruiert?), es wird "Hummerporex" hergestellt, es gibt Rezepte für Äpfel, die klingen wie aus einem Handbuch für Ingenieure abgeschrieben, und wenn endlich Kiefernzweige in den Rotationsverdampfer kommen und Fischfond durch den Superbag passiert wird, dann, ehrlich gesagt, kapituliere ich als Leser und als Koch.

Es ist mir zu hoch, zu geschraubt, zu verzwickt. Es ist Spezialistentum in absurder Ausprägung und gehört, offensichtlich, in die Hände von Profis. Über die Molekularküche an und für sich, und das will ich hier ausdrücklich betonen, ist damit nichts Böses gesagt. Das Spektakel eines Abendessens bei Juan Amador oder Heston Blumenthal ist ganz gewiss unvergesslich - und die Leistung der Köche bewundernswert. Aber ihre Künste fallen doch auch eindeutig in die Kategorie der Vorführungen Marke: "Don't try this at home!"

Ist das eigentlich noch Essen?

Schließlich käme auch niemand auf die Idee, den Dreifachsalto eines Trapezkünstlers an den Vorhangstangen des eigenen Wohnzimmers nachzustellen. Und was das Kochen angeht, muss man diesbezüglich noch nicht einmal an seine molekulare Spielart denken. Selbst wer nur versucht, den konventionellen Großmeistern nachzueifern, wer in der Küche dauernd nach Sterneniveau trachtet, der mag für sich ein schönes Hobby gefunden haben - seiner Familie und seinen Gästen kann er aber schnell zum penetranten Quälgeist werden.

Ich komme also nach der wirklich spannenden Lektüre von "Verwegen Kochen" zu dem Schluss, dass von der Molekularküche für unseren Alltag nicht viel zu erwarten ist. Gewiss, die vielen neuen Möglichkeiten des Gelierens sind auch für Normalsterbliche interessant, und auch wie die Burschen mit Temperaturen umgehen - da gibt es Sachen, die man sich auch in der eigenen Küche durchaus vorstellen kann. Aber im Großen und Ganzen? Bleibt doch ein ziemlich schaler Nachgeschmack.

Er rührt bei mir daher, dass es den Molekularen eindeutig mehr um Technik als um Genuss zu gehen scheint. Sie erinnern mich ein wenig an die alte Spezies der Hifi-Fanatiker, die Musik nur dann mochten, wenn sie aus absolut perfekten Boxen kam. Auch die neue Küche ist so eine Verschiebung vom Eigentlichen, dem Essen eben, zum eher Unwesentlichen, seiner technischen Herstellung. Das kann, wie gesagt, Spaß machen, lustig und beeindruckend sein - aber macht es wirklich satt? Und ist es eigentlich noch Essen?

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