Florian Gerster bei Christiansen Die kleine Bundesagentur
Es ist Winter und bitterkalt. Im australischen Dschungelcamp von RTL wachsen die Lianen wieder ungestört, und die Verzweiflung der Deutschen über ihre Politiker erklimmt neue Rekordmarken: 86 Prozent der Bürger sind inzwischen mit der rot-grünen Bundesregierung "weniger" oder "gar nicht" zufrieden - sage und schreibe ein Befragter von 1000 zeigte sich in der jüngsten Umfrage für den SPIEGEL mit der Regierung Schröder/Fischer "sehr zufrieden" - buchstäblich ein Promillewert.
Selbst um die Wahl des neuen Bundespräsidenten spinnt sich ein undurchschaubares Geflecht aus falschen Fährten, echten Intrigen und verborgenen Ambitionen. Von Würde des Amtes keine Spur.
Nur eine Person erhebt sich rein und wie aus einer anderen Welt über diesem irdischen Chaos, Gewimmel und Gewese: Sabine Christiansen, die Hohepriesterin der politischen Kommunikation. Was einst als durchschnittlich belangloser Talk am Sonntagabend begonnen hatte, ist zur Institution geworden.
An "Sabine Christiansen" kommt keiner vorbei - am allerwenigsten Guido Westerwelle und Hans Eichel. Was hier nicht verhandelt wird, existiert nicht. Andererseits gilt: Was irgendwann im Bundestag oder auf dem nächsten SPD-Parteitag beschlossen wird, wurde Monate zuvor im Fernsehstudio an der Berliner Gedächtniskirche getestet.
Kurz: "Sabine Christiansen" ist das Entscheidungszentrum der Republik, der zivile "war room" der nationalen Reformanstrengung. Das allwöchentliche Christiansen-Konklave ist aber auch das Stimmungsbarometer der Volksseele samt ihrer nicht selten abrupt wechselnden Erregungskurven. Ob Gewalt an den Schulen oder Dosenpfand, ob LKW-Maut oder Praxisgebühr - jedes heiße Eisen kommt auf die Ledersessel. Da kennt sie keine Gnade. Das wird durchdiskutiert wie früher in der Wohngemeinschaft. Eine damals allerdings seltene Eigenschaft kommt Sabine Christiansen dabei zugute - ihre Fähigkeit, exakt im spannendsten Augenblick der Diskussion zu unterbrechen. So schwebt stets der wärmend diffuse Konsensgedanke über dem manchmal hässlichen Krieg der Worte.
In der vergangenen Woche erschütterten, trotz Terror im Irak, Hunger in Afrika und Atomschmuggel im Fernen Osten, allerdings nur zwei Fragen das Land: Taugt "Dschungelkönig" Costa Cordalis ("Jungle Step") zum Vorbild für den erwachsenen deutschen Mann, und: Wann muss Florian Gerster endlich seine Sachen packen? So war es nur logisch, dass der frisch weggemobbte Chef der "Bundesagentur für Arbeit" gestern Abend bei "Sabine Christiansen" zum Betroffenen-Verhör angetreten war und sich sogleich als Opfer einer "Kampagne" bezeichnete - locker umkränzt von Unternehmensberater Roland Berger, BASF-Vizevorstand Eggert Voscherau und CDU-Vize Christian Wulff, die zeitweise mit ihrer eigenen Streitkultur in den Vordergrund drängten.
Erst in dieser Woche will sich Gerster vor der gemeinen Presse äußern - die aber hat heute Morgen schon ihre schlagzeilenträchtigen Informationen brav aus der Talkshow abgeschrieben.
Selbstverständlich nutzte Sabine Christiansen nicht nur die Gelegenheit, die wahren Umstände des durchaus merkwürdigen Gerster-Bashing herauszufinden, sondern auch gleich, sozusagen in einem Aufwasch, die vakante Stelle höchst persönlich zu besetzen. Doch BASF-Vorstand Voscherau, Mitglied der erkenntnisleitenden und reformfördernden "Hartz-Kommission", lehnte höflich ab. Es wäre auch zu schön gewesen. Dennoch zeigt der Vorgang, dass womöglich nicht nur die Bundesagentur für Arbeit überflüssig ist, sondern auch weite Teile von Regierungsapparat und Parlament.
Mehr noch und mal konsequent gedacht in all dem Hickhack: Wäre Sabine Christiansen nicht die ideale Bundespräsidentin?
Nach ihrer Wahl könnte sie umgehend eine bunt gemischte Abordnung der Bundesversammlung zum Talk ins Studio laden. Thema: "Die erste Frau als Bundespräsident - Risiko oder Chance?"