Fotostrecke

Magazin "Flow": Nichts ist so erfolgreich wie die Zeitschrift von gestern

Magazin-Erfolg "Flow" "Landlust" für Latte-Macchiato-Mädchen

Mit Retro-Ästhetik die Realität ausblenden: Das neue Gruner+Jahr-Magazin "Flow" wirkt wie ein Gegenentwurf zu modernen Medien - und ist damit erstaunlich erfolgreich.

Gerade noch saß man "fröhlich und entspannt mit einer Tasse Kaffee am Küchentisch" - und nun das: "Amokläufe, Erdbeben und der Dow-Jones-Index auf Talfahrt". Hätte man sich doch die Frühstückslektüre verkniffen: "Egal welche Zeitung man aufschlägt, sofort sind wir mit beängstigenden, brutalen oder traurigen Nachrichten konfrontiert." Mehr noch: "Auch im Fernsehen und im Netz bekommt man das Elend der Welt in geballter Form zu sehen."

Kein Grund, gleich das Aktiendepot zu kündigen. Jetzt gibt es "Flow", ein neues Magazin von Gruner+Jahr, das nicht nur, wie es auf dem Titelblatt heißt, "Inspiration, Ideen, Einblicke" vermittelt, sondern unter der Überschrift "Keine Chance für schlechte Nachrichten" auch erklärt "wie man es schafft, beim Zeitunglesen ein gutes Gefühl zurückzubehalten". Weitere Themen des Heften sind "Meditieren - so geht's", "Scheitern ist völlig okay" und "Granny Chic", die Kunst, sich so altmodisch einzurichten wie Oma.

Mit diesem Konzept ist "Flow" erstaunlich erfolgreich. Seit der ersten Ausgabe im November 2013 konnte das Magazin seine Auflage mehr als verdreifachen. Bei der dritten, nun erscheinenden Nummer liegt sie bei 180.000 Exemplaren. Sollte die auch nur annähernd verkauft werden, wäre das eine Sensation - nicht nur für die Branche, die in eigener Sache allzu häufig "beängstigende, brutale oder traurige Nachrichten" produziert, sondern besonders für Gruner+Jahr selbst: Die "Financial Times Deutschland" hat der Verlag eingestellt, der "Stern" musste trotz aufwendigen Relaunchs einen dramatischen Auflageneinbruch hinnehmen. Sogar ein Verkauf des Verlagssitzes am Hamburger Baumwall wird in Erwägung gezogen. 

Illustrierte als Poesiealbum

Der Axel-Springer-Verlag hat angesichts der Zeitungskrise einen drastischen Schnitt gemacht und sich von Traditionstiteln wie der "Hörzu" oder dem "Hamburger Abendblatt" getrennt. Die Zukunft sieht Springer-Chef Mathias Döpfner im Netz. Sollte man aus dieser Strategie die Erkenntnis ableiten können, Papier sei von gestern, so setzt "Flow" - beworben als "Magazin für Paperlovers" - sie konsequent um.

Erfunden wurde "Flow" von einem kleinen niederländischen Verlag, Gruner+Jahr hat das Blatt lizensiert. Es wirkt, als sei es komplett in einem Jungmädchenzimmer des 20. Jahrhunderts entwickelt worden, erinnert weniger an eine Illustrierte, als an ein Poesiealbum.

Das Editorial ist in Schreibmaschinenschrift verfasst. Als Beilage gibt es einen Briefumschlag mit Häschenmotiv, der "mit der Schneckenpost" verschickt werden soll. Das Layout des ganzen Hefts wird bestimmt von Blümchentapeten oder Scherenschnitten, es gibt drollige Illustrationen, Fotos kuschelig eingerichteter Küchen und Wohnräume, ein paar Rezeptseiten. Dazu kommen mit Schrabble-Steinen gelegte Lebenshilfe-Weisheiten wie "Follow your Dreams". Es gibt sogar eine Bildstrecke mit Zeichnungen von Maria Sibylla Merian, bereits seit Mitte des 17. Jahrhunderts die grande dame der erbaulichen Naturbetrachtung.

Musealisierung des Print-Journalismus

Alles ganz entzückend, ziemlich naiv und selbstverständlich retro - in der Optik, wie auch im Weltbild: "Flow" richtet sich offenbar an eine Zielgruppe von Leserinnen, die nicht nur vor den Zumutungen der Zeitungslektüre geschützt werden möchte, sondern ganz Allgemein den Rückzug aus einer als bedrohlich empfundenen Welt angetreten hat.

"Verängstigt wie ein Kind rannte ich zurück in den Hotelgarten" heißt es programmatisch in einem Text, dessen Autorinnen vor keiner Binsenweisheit zurückschrecken: Warum nicht mal "einen anderen Weg zur Arbeit nehmen"? Es könnte ja helfen, mit eingefahrenen Gewohnheiten zu brechen. Die "Flow"-Frau mag jung sein, sie mag Geschmack haben - vom Leben, so scheint es, ist sie ziemlich überfordert. Das Magazin für sie ist auch ein Magazin für alle, denen die Beschleunigung des modernen Lebens zu viel ist.

Wie der Erfolg von "Landlust", der Illustriertenneugründung des Jahrzehnts, steht auch der Erfolg von "Flow" für die Flucht ins Idyll. "Landlust" setzt der hässlichen Wirklichkeit der industrialisierten Nahrungsmittelproduktion potemkinische Bauerndörfer entgegen. "Flow" wirkt, als wolle die kleine Redaktion das "Landlust"-Modell für Latte-Macchiato-Mädchen fortschreiben. "Flow" ist viel urbaner als das Landfrauenblatt - letztlich aber genau so provinziell: Bloß keine echten Nachrichten, sondern die heile Welt in ihrer ganzen Banalität.

Dass sich gerade derartige Magazine gut verkaufen, sagt einiges über die Wünsche der Leserschaft. Noch mehr aber über die Zukunft des Printjournalismus. Schließlich zeigt Gruner+Jahr mit "Flow", dass man auch in der Medienkrise noch Erfolg haben kann: mit einem Magazin, das schon bei Erscheinen fast so alt wirkt, wie die Zeitung von gestern - und damit der Musealisierung des Print-Journalismus Vorschub leistet.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten