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Flüchtlingsunterkünfte: So erleichtern Architekten die Integration

Foto: Markus Guhl

Architektur für Flüchtlinge Es müssen nicht immer Container sein

Gebäude können integrieren, sagt der Direktor des Deutschen Architekturmuseums. Sein Atlas über Flüchtlingsunterkünfte zeigt, wie sie beim Zusammenleben helfen - etwa, indem genug Platz für Schuhe eingeplant wird.

SPIEGEL ONLINE: Herr Schmal, wie baut man Heimat?

Schmal: Kommunen sollten sich als Ankunftsstadt begreifen. Mit Wohngebäuden in einem bestehenden Gefüge, mit Schulen, Kindergärten, Supermärkten in der Nähe. Sie sollten Flüchtlingsbauten nicht hinter der entlegensten Abfalldeponie verstecken, nach dem Motto: Wir bauen das am Stadtrand, da sieht es keiner und es macht keinen Ärger. Das kann nicht funktionieren.

SPIEGEL ONLINE: "Making Heimat"  ist auch Titel des Flüchtlingsbautenatlas samt Datenbank mit über 70 Beispielen, den Sie parallel zur Ausstellung im Deutschen Architekturmuseum veröffentlichen. Wie soll das Material genutzt werden?

Schmal: Wir hoffen, dass die Flüchtlingsstäbe der Kommunen sich ein besseres Bild machen können darüber, was möglich ist, was bei anderen geklappt hat, was nicht. Diese Informationen werden immer restriktiver gehandhabt.

SPIEGEL ONLINE: Restriktiver?

Schmal: Kommunen verboten uns plötzlich, Projekte zu zeigen, weil sie möglichen AfD-Wählern nicht zu viele Informationen an die Hand geben wollen. In letzter Zeit haben es sich manche Städte leichtgemacht. Sie haben nichts Neues gewagt, entstehende Projekte zu Sozialwohnungen umgebaut oder ganz eingestellt.

SPIEGEL ONLINE: Sie seien auf Misstrauen gestoßen, schreiben Sie im Vorwort.

Schmal: Einige Städte haben Angst. Im vergangenen Jahr gab es 3500 Anschläge auf Flüchtlinge. Auch von Morddrohungen gegen Flüchtlingsstäbe und Architekten hören wir immer wieder. Andere Städte sagen dagegen: Wir müssen offen sein, um zu überzeugen.

SPIEGEL ONLINE: Und Sie veröffentlichen nun diesen Atlas: Hat sich die Rolle Ihres Museums geändert?

Schmal: Was wir machen, ist ungewöhnlich für ein Museum. Aber es fühlt sich richtig an, denn es gibt keinen bundesweiten Überblick über solche Projekte. Und wir gehen davon aus, dass die Beispiele bei der Integration helfen.

SPIEGEL ONLINE: Zum Beispiel?

Schmal: Wir wollten vor allem zeigen, wie die Häuser bewohnt wirken. Etwa beim "Schwarzen Haus" in Ostfildern: eine freundliche Häusergruppe in einem normalen Wohnumfeld ohne Zaun, wo junge Menschen wohnen, draußen mit Spielanlagen für Kinder. In Bremen gelang es

Zur Person
Foto: Kirsten Bucher/ picture alliance / dpa

Peter Cachola Schmal, 56, ist seit 2006 Direktor des Deutschen Architekturmuseums in Frankfurt. Für die Architekturbiennale in Venedig kuratierte er 2016 den Deutschan Pavillon zum Thema "Making Heimat. Arrival Country".

Architekten sogar, Metallcontainer - die man ja eigentlich vermeiden will - wohnlich anzuordnen, weil sie Innenhöfe entstehen ließen.

SPIEGEL ONLINE: Eine Einrichtung in Neuss in Ihrem Buch ist dagegen für 1000 Menschen gedacht, ohne die Möglichkeit, selbst zu kochen und zu waschen. Das soll funktionieren?

Schmal: Die Flüchtlinge sind erst im Januar eingezogen, das muss man abwarten. Das Projekt war nur für kurze Aufenthalte gedacht, wird aber jetzt von der Realität in Frage gestellt. Denn viele kommen nicht auf dem freien Wohnungsmarkt oder in Sozialwohnungen unter und müssen somit länger in den Erstunterkünften bleiben. Auch finde ich es problematisch, dass in Neuss eine Kantine eingebaut wurde, die alle versorgt. Das hilft den Bewohnern nicht, ihren Tag sinnvoll zu gliedern, indem sie etwa einkaufen gehen und Essen kochen.

SPIEGEL ONLINE: Um Heimat wenigstens schmecken zu können.

Schmal: Auch das. Eine Familie muss selbst bestimmen können, was sie isst - und wann. Schlau wäre es, einen Laden oder einen Markt zu integrieren oder die Möglichkeit zu schaffen, Gemüse anzubauen.

SPIEGEL ONLINE: Sie haben auch mit Bewohnern neuer Flüchtlingsbauten gesprochen. Macht sich bemerkbar, dass da viele Wohnkulturen aufeinandertreffen?

Schmal: Bei einem Frankfurter Flüchtlingsheim dachte ich während der Bauzeit: Da lässt es sich doch angenehm wohnen. Als ich wiederkam, sah ich, dass die Bewohner die Fenster verklebt hatten, damit die muslimischen Frauen nicht angeschaut werden können. Wie transparent Architektur sein darf, damit die Bewohner sich wohl fühlen, ist nicht leicht zu klären. Und noch etwas, das nicht bedacht wurde: Die Schuhe bleiben immer draußen - und es gibt keine Vorrichtung, um sie vor Regen zu schützen. Genau wegen solcher Momente ist es wichtig, die Gebäude bewohnt zu erleben.

SPIEGEL ONLINE: Wieso holen sich die Architekten keine Kollegen aus dem Kreis der Geflüchteten?

Schmal: Wir hoffen, dass sich das etabliert. Viele der allein reisenden Männer sind ja gut ausgebildet: Sie sind die Pioniere der Familien, um in der Fremde einen Anker zu werfen, etwas aufzubauen.

SPIEGEL ONLINE: Wie könnte Architektur denn dabei helfen?

Schmal: Etwa über die Möglichkeit für Gewerbe auf Erdgeschossniveau: Das muss baulich mitgedacht werden. Und es muss eine entsprechende Bevölkerungsdichte geben, der Kundschaft wegen. Eben wie in Kreuzberg oder auch Offenbach: Wer da entlanggeht, merkt, dass es gelingen kann.

SPIEGEL ONLINE: Aber das sind organisch gewachsene Viertel - wie soll das auf dem Reißbrett entstehen?

Schmal: Stimmt, man plant Little Italys selten, sie entstehen einfach. Aber die Städte können helfen, dass so etwas wachsen kann, etwa über Quartiersmanagement. Nur so können Einwanderer auch in der Gesellschaft ankommen.

SPIEGEL ONLINE: Nur: Wie viele wann und für wie lange unterkommen müssen, ist schwer planbar. Wie flexibel kann Architektur sein?

Schmal: Die Städte, die sich auf viele kleine Projekte konzentriert haben, nicht nur auf eine Zielgruppe ausgerichtet sind, sind am besten gefahren. Am wichtigsten wäre, dass die Politik neue Stadtteile baut, um bezahlbaren Wohnraum für alle zu schaffen. Und Grundstücke, die der Stadt gehören, weiterentwickelt, statt sie an Investoren zu verkaufen. Etwa öffentliche Parkplätze.

SPIEGEL ONLINE: Moment, Parkplätze?

Schmal: Eines der radikalsten neuen Konzepte ist das Haus des Architekten Florian Nagler in München: ein Holzbau über einem Parkplatz, mit 100 Wohnungen auf vier Geschossen. Die Hälfte ist für Flüchtlinge, die andere für Studenten oder Wohnsitzlose. Als klar war, dass der Parkplatz nur überbaut wird, war jeglicher Protest verschwunden. Es gibt keine Security, keinen Zaun. Ich war vor Kurzem dort: Die Dachterrasse hoch über den Bäumen wird im Sommer der Hit. Man kann neidisch sein auf die, die da wohnen dürfen.

SPIEGEL ONLINE: Müssen Architekten politischer werden?

Schmal: Nicht nur Architekten. Alle sollten sich fragen, was sie beitragen können. Die Zeit, in der man sich mit Luxusproblemen beschäftigen konnte, ist vorbei.


Ausstellung: "Making Heimat. Arrival Country", Deutsches Architekturmuseum Frankfurt , bis 10. September

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