
Flüchtlinge im Theater: Auftritte für Asylbewerber
Flüchtlinge im Theater "Quatsch, fürs Predigen ist die Kirche zuständig"
Deutsche Theater sammeln Spenden, stellen Schlafplätze zur Verfügung, organisieren Diskussionsrunden - und inszenieren ein Stück nach dem anderen zum Thema Flüchtlinge, darunter immer wieder Elfriede Jelineks "Die Schutzbefohlenen".
Ganz vorne mit dabei ist das Nationaltheater Mannheim, an dem Jelineks Text vor gut einem Jahr als Gastspiel des Hamburger Thalia-Theaters uraufgeführt wurde. Auf dem Mannheimer Spielplan steht Lutz Hübners neues Zuwanderungsstück "Phantom (Ein Spiel)", geplant ist zudem eine Volker-Lösch-Bearbeitung von Aischylos' "Die Schutzflehenden".
Am Tag der Deutschen Einheit kombiniert der Intendant Burkhard C. Kosminski zunächst Arthur Millers klassisches Flüchtlingsdrama "Blick von der Brücke" mit dem dokumentarischen Stück "Mannheim Arrival", das der Journalist Peter Michalzik aus Interviews mit Flüchtlingen destilliert hat. Teil der Inszenierung sind ein Chor und eine Band aus Flüchtlingen.

Burkhard C. Kosminski, Jahrgang 1961, ist Intendant des Nationaltheaters Mannheim. Er studierte Regie und Schauspiel am Lee Strasberg-Institute und am William-Esper-Studio in New York und inszenierte unter anderem an der Schaubühne Berlin, dem Schauspiel Frankfurt, dem Staatsschauspiel Dresden, dem Düsseldorfer Schauspielhaus sowie an der Deutschen Oper am Rhein. Zusammen mit Matthias Lilienthal kuratierte er 2014 das Festival Theater der Welt.
SPIEGEL ONLINE: Herr Kosminski, hat es eine symbolische Bedeutung, Flüchtlinge auf die Bühne des Nationaltheaters zu holen?
Kosminski: Ich kann darin keine Symbolik sehen. Wir sagen nicht, dass sie damit Deutsche werden. Wir sagen nicht, dass sie die Nachfolger von Schiller sind. Aber, mal im Ernst, wir sagen: Sie sind hier.
SPIEGEL ONLINE: Was haben die Flüchtlinge davon?
Kosminski: Sie sind nicht mehr isoliert. Sie profitieren von Teilhabe, Integration, Beschäftigung, von Auseinandersetzung mit sich und der Gesellschaft. Sie wollen etwas tun, sie wollen eine Stimme.
SPIEGEL ONLINE: Ihr angekündigtes Ziel ist es, die Flüchtlinge auch über die Aufführungen hinaus ans Theater zu binden. Wie soll das funktionieren?
Kosminski: Wir versuchen, die Flüchtlinge dort abzuholen, wo sie sind. Im Rahmen der Mannheimer Bürgerbühne können sie Workshops und Seminare geben, in denen sie Zuschauern ihre Qualifikationen und Kenntnisse vermitteln. Zudem bekommen alle am Projekt beteiligten Flüchtlinge Bildungsgutscheine, zum Beispiel für Sprachförderung. Wir versuchen, ihnen Chancen zu eröffnen, und haben uns dafür mit vielen Partnern vernetzt: Landes- und Stadtpolitik, Sozialverbände wie die Caritas, Wirtschäftsverbände und Unternehmen wie BASF, Beratungsstellen wie das interkulturelle Bildungszentrum.
SPIEGEL ONLINE: Gehört es zu den Aufgaben eines Theaters, Sozialarbeit zu leisten?
Kosminski: Nein! Aber wir leben in einer Zeit, in der uns Theatermachern nachdrücklich bewusst wird, dass das Theater eine zentrale gesellschaftliche Einrichtung ist. Das Theater muss sich auf dem Gebiet der Zuwanderung engagieren, wie alle anderen Institutionen auch. Wir kommen nicht an der Frage vorbei: Wie können wir unsere Kompetenz, aktuelle Problemlagen auf die Bühne zu bringen, so erweitern, dass sie der Not der Flüchtlinge und der ungelösten Aufgabe unserer Gesellschaft gerecht wird?
SPIEGEL ONLINE: Auch sehr viele andere Theater starten zurzeit Flüchtlings-Projekte. Was können Kunst und Theater, was Politik und Sozialarbeit nicht besser können?
Kosminski: Unser Projekt wurde vor über einem Jahr entwickelt. Aber so sehr wir uns auch mühen, wir können selbstverständlich nur Kunst und Kultur wirklich, nicht Sozialarbeit. Wir können in unserer Stadt Impulse geben und Arbeitgeber, Politik, Verwaltung und Flüchtlinge vernetzen.
SPIEGEL ONLINE: Helfen die Flüchtlinge den Theatern dabei, wieder relevanter zu werden?
Kosminski: Wenn Theater sich nicht mit dem Heute beschäftigen und solche Themen umschiffen, dann bekommen sie ein Relevanzproblem.
SPIEGEL ONLINE: Das postdramatische Theater der vergangenen 15 bis 20 Jahre sah seine Aufgabe darin, Gewissheiten aufs Spiel zu setzen. Ändert sich das gerade? Predigt das Theater wieder?
Kosminski: Quatsch, fürs Predigen ist die Kirche zuständig.
SPIEGEL ONLINE: Im Ernst: Beobachten wir einen Paradigmenwechsel? Hin zu einem Theater, das politisch wieder deutlicher Position bezieht?
Kosminski: Mein persönlicher Eindruck ist, dass sich die Gesellschaft und die Theater danach sehnen, politische Themen und Konflikte aufzugreifen und auf der Bühne zu verhandeln. Ob das ein Trend ist, vermag ich nicht zu sagen. Dabei gehen wir ein Risiko ein: Wir alle meinen zu wissen, Theater mit Flüchtlingen geht nicht. Sie wirken leicht ausgestellt und benutzt. Gleichzeitig wissen wir, wir müssen es versuchen. Zur humanitären Katastrophe unserer Zeit kann das Theater nicht schweigen.
SPIEGEL ONLINE: Kann engagierte Kunst denn gute Kunst sein? Ist gute Kunst nicht immer ambivalent?
Kosminski: Gute Kunst ist immer in irgendeiner Beziehung engagiert, und gute Kunst ist immer ambivalent. Wir werden schon damit umgehen müssen, dass unsere Welt schwierig und widersprüchlich ist. Auch beim Thema Flüchtlinge. Es gibt einfach Dinge, die man tun muss, auch wenn sie scheitern können.
Die Flüchtlingskrise auf der Bühne
- "Ein Blick von der Brücke"/"Mannheim Arrival": Premiere am Samstag, 3. Oktober, weitere Aufführungen am 8., 17. und 30. Oktober, Nationaltheater Mannheim .
- "Phantom (Ein Spiel)": Nächste Aufführungen im Nationaltheater Mannheim am 4., 9. und 16. Oktober.
- "Die Schutzflehenden": Premiere im Nationaltheater Mannheim am 21. Mai 2016.