Georg Diez

S.P.O.N. - Der Kritiker Die zurechtgestutzte Katastrophe

Wenn eine Künstlergruppe Flüchtlingsleichen zu Grabe trägt, sprechen Medien von "politischer Pornografie". Der Journalismus hat einen Panzer gebildet gegen die Erschütterungen der Welt - die Grenzen, an denen Menschen sterben, werden im Feuilleton neu errichtet.
Beerdigungsaktion in Berlin: "Irgendetwas ändert sich"

Beerdigungsaktion in Berlin: "Irgendetwas ändert sich"

Foto: Gregor Fischer/ dpa

Der Journalismus ist ein merkwürdiges Metier. Angetrieben einerseits von einem gewissen Geltungsdrang und andererseits zerfressen von einem psychoanalytisch wohl leicht zu deutenden Selbsthass - was dazu führt, dass das mächtigste Buh immer darin besteht, dass irgendjemand oder irgendetwas zu "medienwirksam" ist.

Es ist natürlich ein performativer Widerspruch, wenn man jemandem vorwirft, dass er zu sehr nach der Aufmerksamkeit giert, die man ihm genau in dem Augenblick gewährt - und damit eigentlich das Problem erst herstellt, das man beklagt.

Aber andererseits ist es ja auch gar kein Problem: Es ist der Job der Journalisten, sie stellen Öffentlichkeit her oder sollten das jedenfalls tun - und so ist der Vorwurf der "Medienwirksamkeit" nicht nur oft gespeist von eigenen Ressentiments, sondern im Grunde auch nicht besonders demokratisch.

Der Trick dabei ist, dass man sich mit so einer Kritik selbst ins Recht setzt - außerdem lässt sich der Vorwurf je nach Lage und Laune beliebig eskalieren, bis hin zur guten alten "Pornografie": Ein Urteil, das so viele Widersprüche und Annahmen zusammen knautscht, dass es unentwirrbar ist.

Was soll es zum Beispiel heißen, wenn jemand sagt, die Aktion des Zentrums für Politische Schönheit, tote Flüchtlinge in Berlin zu begraben, sei "politische Pornografie", wie es in der "Süddeutschen Zeitung" zu lesen war : Wer geilt sich denn genau daran auf, dass Menschen sterben, weil die westliche Politik es zulässt?

Wer soll hier diskreditiert werden? Die Menschen, die sich davon bewegen lassen? Wie roh muss man sein, um in diesem Fall eine Verbindung von Tod und Sexualität so drastisch herzustellen?

Und wann genau wurde etwa Thomas de Maizière oder überhaupt ein Politiker mit ähnlich scharfen Worten kritisiert? Mit wie vielerlei Maß wird hier gemessen?

Und überhaupt: Was soll es heißen, wenn in der "Süddeutschen Zeitung" weiter zu lesen ist, diese Aktion nehme den Toten "das Letzte, was sie haben"?

Undurchlässigkeit für die Erschütterungen der Welt

Ihre Würde also? Warum genau? Weil sie unter Teilnahme der Medien beerdigt wurden? Was ist daran schlecht? Vor allem aber, und das steht in dem Text nicht: Die Frau, um die es geht, lag zuvor in einem anonymen Grab, verscharrt, irgendwo, und ihre Familie wusste nicht, wo sie war.

Wenn sie nun in Berlin ein Grab gefunden hat, wie genau, liebe "Süddeutsche", hat sie dann das Letzte verloren, was sie hat?

Und ist es nicht gerade andersherum das Problem, dass der Journalismus in Deutschland zu sehr einen Panzer gebildet hat, ein professionelles Hinnehmen und Schulterzucken, eine Undurchlässigkeit für die Erschütterungen der Welt.

Was bedeutet es also, wenn in der "Frankfurter Allgemeinen" in einem Text über diese Aktion des Zentrums für Politische Schönheit folgender Satz zu lesen ist: "Paradoxerweise demonstriert das eine Grenze der Kunst in ihrem Grenzverletzungsfuror: In diesem Fall wäre sie der Realität näher gekommen, wenn sie eine Grenze respektiert hätte."

Merkt der Autor gar nicht, welche bittere Ironie darin steckt, in einem Satz fast zwanghaft dreimal das Wort Grenze zu wiederholen - in einem Text, in dem es genau darum geht, wie Menschen ihr Leben riskieren und verlieren, weil sie an Grenzen scheitern, realen Grenzen, die hier mit feuilletonistischem Schnischnaschnu wieder errichtet werden?

Irgendetwas ändert sich

Aber sie sind eben immer schnell da, die Bedenkenträger von der Behörde, die noch jeden Völkermord, noch jede humanitäre Katastrophe zurechtstutzen, wenn sie über ihren Schreibtisch wandert, zwischen Lunch und Coffee Break - der eine sagt, Schlingensief war besser, was gerade aber nichts zur Sache tut, die andere sagt, es ist alles zu verwirrend, ich wäre auch lieber ein besserer Mensch, aber es geht leider nicht.

Der Stunt, den diese Aktion bedeutet, die Radikalität, auch gedanklich, der Mut, der Schock, all das findet nicht statt in diesem tiefgefrorenen Milieu: Sie sind gern bereit, über Europas Werte und Ideale zu debattieren, wenn es darum geht, die ganze griechische Nation zu erziehen - aber wenn es um Tote und die humanitäre Realität Europas geht, finden sie das pornografisch.

"Die Ordnung herrscht in Berlin", so hat der Philosoph Francesco Masci diesen Zustand beschrieben: Eine Politik, die sich in der eigenen Machtlosigkeit einrichtet, eine Kultur, die diese Machtlosigkeit restaurativ oder reaktionär überwölbt.

Es wird also wieder ein Flüchtling begraben, es wird wieder ein Schiff kentern, es wird wieder ein Weltflüchtlingstag ignoriert an diesem Samstag, es wird den "Marsch der Entschlossenen" geben am Sonntag, es geht zum Kanzleramt, mit Baggern und Parolen, und weil die Welt auch am Montag noch die gleiche sein wird, werden die Schulterzucker wieder sagen, seht ihr, wir hatten doch recht, es ist wie immer.

Aber irgendetwas ändert sich, wir werden es schon noch merken.

Video: Die Protest-Beerdigung

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